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Regenerative Landwirtschaft: Die Rettung für unser Agrarsystem?

regenerative Landwirtschaft – Getreidefeld
Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – Raphael Rychetsky

Bodenschutz und Tierwohl statt Pestizide und Massentierhaltung – hinter dem langweiligen Begriff regenerative Landwirtschaft verbirgt sich ein radikaler Gegenentwurf zum industriellen Agrarsystem. Ein internationales Bündnis will die Idee weltweit bekannt machen und hat dafür sogar ein Siegel entwickelt.

Unser modernes Landwirtschaftssystem hat ein großes Problem: Es nimmt, ohne zurückzugeben. Was banal klingt, hat massive Auswirkungen auf die Umwelt und unsere zukünftige Ernährungssicherheit. Denn die Art, wie wir den Großteil unserer Nahrungsmittel anbauen, zerstört eine unserer wichtigsten Ressourcen: den Boden. Der Boden bringt Nahrungsmittel hervor, Futtermittel und Fasern, schafft sauberes Trinkwasser und hilft als Kohlenstoffspeicher das Klima zu regulieren. Ohne gesunde Böden steckt die Menschheit in Schwierigkeiten.

Auftritt: die regenerative Landwirtschaft. Diese schonende Form der Landwirtschaft verfolgt das Ziel, die Bodengesundheit zu erhalten oder zu verbessern. Wer „regenerativ“ im Duden nachschaut, findet folgende Erklärung: „die Regeneration betreffend, auf ihr beruhend, durch sie bewirkt, entstanden. Synonym: erneuerbar.“

Auf die Landwirtschaft übertragen also eine Form des Anbaus, die auf der grundsätzlichen Erneuerbarkeit der natürlichen Ressourcen beruht – insbesondere des Bodens. Der deutsche Verband „Regenerative Landwirtschaft“ schreibt: „Die Regenerative Landwirtschaft basiert auf Methoden und Verfahren, die die Naturgesetze unterstützen.“

Regenerative Landwirtschaft: Gesunde Böden
Gesunde Böden sind essenziell für die Menschheit und das Klima. (Foto: CC0 Public Domain / Unsplash - Roman Synkevych)

Das ist ziemlich nah dran an der Ursprungsidee der Nachhaltigkeit: nicht mehr entnehmen, als auf natürliche Weise nachwachsen kann. Und gleichzeitig ist es ziemlich weit weg von der Art, wie wir derzeit Landwirtschaft betreiben.

Gesündere Böden für eine gesündere Erde

„Das Lebensmittel-System ist in vielen Regionen der Welt darauf ausgerichtet, nur immer mehr und mehr Ertrag zu erzielen“, sagt Cara Chacon, Chefin des Bereichs soziale und ökologische Verantwortung beim Outdoor-Konzern Patagonia. „Die Konsequenz daraus ist eine Verschlechterung der Bodengesundheit.“

Gemeinsam mit zwölf anderen Unternehmen und Organisationen engagiert sich Patagonia in der „Regenerative Organic Alliance“ (ROA). Das Bündnis setzt sich für den Ausbau der regenerativen Landwirtschaft ein – und für einen einheitlichen Standard. Der Slogan der ROA: „Farm like the world depends on it.“

Cara Chacon glaubt, dass die Welt tatsächlich von besseren – regenerativen – Methoden in der Landwirtschaft abhängt. Dieses Wort, regenerativ, für Chacon bedeutet es, „dass man die Erde in einem besseren Zustand verlässt, als sie vorher war.“ Im Gespräch mit Utopia erklärt sie: „Es geht nicht nur um nachhaltige Praktiken, sondern auch darum, das System zu verbessern, so dass die Erde gesünder wird.“

Gesünder müssen dafür aber erst einmal die Böden werden, von denen unser Ernährungssystem abhängt – der Kernpunkt der regenerativen Landwirtschaft. Eine aktuelle Feldstudie zu Bodenorganismen zeigte unter anderem, dass schonend bewirtschaftete Böden deutlich mehr Organismen aufweisen – also gesünder und potenziell furchtbarer sind – als stark bearbeitete Ackerböden.

Chacon sagt: „Wenn wir uns um die Böden kümmern, kümmern sie sich um uns. Die Natur hat da ein gesundes, funktionierendes System, das wir nur ständig zerstören. Ich denke: Wir sollten das System nutzen.“

Die Regenerative Organic Alliance

Diese ambitionierte Idee verfolgt die ROA seit 2017. Das Bündnis hat einen umfassenden Standard für regenerative biologische Landwirtschaft entwickelt: Regenerative Organic Certified (ROC). Das ROC ist eine Zertifizierung für Produzent*innen und Unternehmen, die nach den Prinzipien der regenerativen Bio-Landwirtschaft arbeiten und dabei strenge Kriterien erfüllen.

Der neue ROC-Standard unterschiedet sich von bisher existierenden landwirtschaftlichen Standards wie etwa Bio-Zertifizierungen vor allem dadurch, dass er die drei Faktoren Bodengesundheit, Tierwohl und Soziales vereint. Für alle drei Säulen gelten strenge Kriterien, die Bewerber*innen erfüllen müssen.

Die Kühe stehen bei der neuen Verbrauchermilch mindestens vier Monate auf der Weide
Der ROC-Standard für regenerative Landwirtschaft umfasst strenge Tierwohl-Vorschriften. (Foto: CC0 / Pixabay / Alexas_Fotos)

So müssen zertifizierte Betriebe etwa die Bodengesundheit fördern, indem Fruchtwechsel, Bepflanzung mit Deckfrüchten, schonende Bodenbearbeitung und rotierende Beweidung eingehalten werden. Nutztiere müssen nach strengen Tierwohl-Richtlinien gehalten werden: Zugang zu Weiden, Grasfutter und möglichst kurze Transportwege sind vorgeschrieben, Massentierhaltung und Eingriffe wie Schnabelkürzen oder Enthornung verboten. Dazu kommt, dass Landwirt*innen und Arbeiter*innen faire Bezahlung, faire Arbeitsbedingungen und das Recht, sich zu organisieren, garantiert werden muss.

ROC erkennt bestehende Standards – etwa Bio– und Fairtrade-Zertifizierungen – an. Das bedeutet: Wer bereits Bio-zertifiziert ist, muss die Erfüllung dieser Kriterien nicht mehr beweisen, nur die darüber hinausgehenden Anforderungen des ROC werden geprüft.

„Wir sind optimistisch“

Der Standard setzt dadurch, dass er drei Säulen und hunderte Einzelkriterien umfasst, sehr hohe Hürden. Für konventionelle Unternehmen würde der Weg bis zur Zertifizierung mindestens vier bis fünf Jahre in Anspruch nehmen und mehrere andere Zertifizierungen beinhalten. Zu anspruchsvoll, um wirklich attraktiv zu sein?

„Ja, das sind hohe Hürden und wir sind uns bewusst, dass der Standard schwierig ist“, sagt Cara Chacon. „Aber wir sind optimistisch. Die Bauern erkennen langsam, dass der Klimawandel so gravierend ist, dass er ihre Lebensweise zerstören könnte.“

Es passt zu Patagonias Unternehmenskultur, dass Chacon glaubt, dass es große Ziele braucht, um Großes bewegen zu können. “Wir haben keine Angst davor, unsere Ziele nicht zu erreichen. Wir haben nur Angst davor, uns nicht genügend anzustrengen.“

Obwohl die Zertifizierung anspruchsvoll und unter Umständen langwierig ist, ist das Interesse bei Unternehmen und Landwirt*innen groß. Alleine für die kürzlich abgeschlossene Pilotphase bewarben sich über 90 Betriebe – gesucht wurden 20.

Dank dieser Pilotphase sind nun bereits die allerersten ROC-zertifizierten Produkte auf dem Markt – darunter beispielsweise ein Kokosöl der deutschen Firma Dr. Bronner’s (bisher nur in USA erhältlich). Auch Patagonia nahm am Pilotversuch teil. Das Unternehmen, das seit vielen Jahren seine Baumwolle ausschließlich aus Bio-Anbau bezieht, ließ über 800 Baumwoll-Farmer*innen nach den ROC-Richtlinien arbeiten; die ersten T-Shirts sind nun online erhältlich. Bis zum Jahr 2030 sollen nach eigenen Angaben alle verwendeten Baumwoll- und Hanf-Stoffe ROC-zertifiziert sein. Auch die Tochterfirma Patagonia Provisions, die Lebensmittel verkauft, bietet bereits „regenerative“ Bio-Produkte an.

Offiziell geht der ROC-Standard erst in den nächsten Wochen an den Markt; erst dann können sich Unternehmen für die Zertifizierung bewerben. Doch Chacon sagt: „Die ROA bekommt schon ununterbrochen Anrufe von Unternehmen, die daran interessiert sind, sich zertifizieren zu lassen.“

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