Reformhäuser sind als Läden in vielen Städten anzutreffen. Doch was ist ein Reformhaus genau? Hier erfährst du, wie das Konzept entstand und worin der Unterschied zu Bioläden und Drogerien liegt.
Sobald Industrialisierung und konventionelle Landwirtschaft aufkamen, machte sich auch Kritik an ihnen breit. Einen frühen Gegenentwurf stellte die sogenannte Lebensreformbewegung dar, die Anfang des zwanzigsten Jahrhundert entstand. Auf die Tradition dieser Bewegung gründet sich auch das Reformhaus. Aber was ist ein Reformhaus eigentlich?
Die Menschen der Lebensreformbewegung sehnten sich nach einer naturnahen und ganzheitlichen Lebensweise. Sie hatten früh verstanden, welche Probleme ein industrialisiertes Leben mit sich bringt und wollten aktiv Möglichkeiten für ein gesünderes Leben aufzeigen. Verschiedene Bewegungen und Themenbereiche galten als Teil der Lebensreform – zum Beispiel Naturheilkunde, Vegetarismus, Tierschutz, Freikörperkultur (FKK) und auch die Anti-Alkohol-Bewegung.
Die Geschichte des Reformhauses
1887 ermunterten Mitglieder des Berliner Naturheilvereins und der vegetarischen Bewegung den Textilkaufmann Carl Braun dazu, ein Einzelhandelsgeschäft zu eröffnen, das ihren Bedürfnissen entsprach. Dies war der Ursprung für weitere Läden, die später die Bezeichnung „Reformhaus“ bekamen und sich 1927 in einer Genossenschaft zusammenschlossen.
Hier ließ sich das finden, was es sonst nirgends gab: unter anderem Heilkräuter, vegetarischer Fleischersatz, natürliche Kleidung und Kosmetik, biologisch erzeugte Lebensmittel. So sehen sich die Reformhäuser selbst: „Reformhäuser sind Vorreiter für ganzheitliche Gesundheitsprodukte, Naturkosmetik und für vollwertige Lebensmittel aus biologischem Anbau und setzen Maßstäbe, wenn es um eine gesunde, natürliche Lebensweise geht“.
Was ist ein Reformhaus im Unterschied zu Drogerien und Bio-Läden?
Das Reformhaus ist also schon seit den 1920ern eine geschützte Marke. Nur wer Mitglied oder Vertragspartner:in der Genossenschaft ist, darf seinen Laden als Reformhaus bezeichnen. Die Genossenschaft betont aber, dass sie kein Konzern mit Filialen sind, sondern ein Zusammenschluss selbstständiger Unternehmer:innen. Diese seien mit den „ganzheitlichen Idealen der Lebensreformer bis heute aktiv verbunden“, schreibt der Handelsverbund Reformhaus eG auf seiner Website.
In einem Reformhaus geht es nicht nur um den Verkauf von Waren – sondern darum, einen tieferen Bezug zu Lebensmitteln und Naturprodukten herzustellen und ein besseres Verständnis für sie zu entwickeln. Die Wertschätzung der Produkte steht im Mittelpunkt. Bei den Leiter:innen und Verkäufer:innen eines Reformhauses kannst du dich zu speziellen Anliegen beraten lassen.
Die Verkäufer:innen in Reformhäusern haben in den allermeisten Fällen eine Weiterbildung zur Reformhaus-Fachkraft besucht. Laut der Satzung der Genossenschaft ist es Pflicht, dass mindestens eine Fachkraft pro 200 Quadratmeter Verkaufsfläche im Geschäft tätig ist. Auch Ernährungsberater:innen arbeiten in manchen Reformhäusern.
Diese Tatsache macht einen Einkauf im Reformhaus oft auch informativ. Natürlich kannst du zu deinen Fragen rund um Ernährung und Gesundheit im Internet oder in Büchern Antworten finden. Zusätzlich dazu kannst du dich aber auch im Reformhaus direkt beraten lassen.
Manche Menschen zieht außerdem die charakteristisch überschaubare Ladenfläche an. Sie wollen keinen Stress beim Einkaufen und nicht durch überfüllte Geschäfte und unnötige Produkte überfordert werden.
Was haben Reformhäuser im Angebot?
Das Reformhaus ist ein Fachgeschäft für Waren, die auf den Werten und Ideen der Lebensreformbewegung basieren. Das Angebot an Lebensmitteln ist auf eine vollwertige Ernährung ausgerichtet.
Typisch für Reformhäuser sind die markeneigenen Produkte mit dem Qualitätszeichen neuform®. Dieses Zeichen steht für eine Reihe von Anforderungen, die die gekennzeichneten Produkte erfüllen müssen:
- Natürlichkeit und Bio-Qualität
- keine Zusatzstoffe wie Nitrate oder Nitrite
- keine Tierversuche
- keine Gentechnik oder Bestrahlung
- vegetarisch oder vegan
- Volldeklaration der Inhaltsstoffe
- Überprüfung auf Schadstoffe durch das neuform®-Qualitätsinstitut
- frei von: Mikroplastik, Mineralölen, synthetischen Zusatzstoffen etc.
Zum neuform®-Sortiment gehören Lebensmittel, Selbstmedikationsmittel (beispielsweise Nahrungsergänzungsmittel oder glutenfreie Produkte), Naturkosmetik und freiverkäufliche Arzneimittel.
Reformhäuser führen aber nicht nur Produkte mit dem neuform®-Qualitätszeichen. Darüber hinaus findest du Artikel von Herstellerpartnern und Marken, die sich mit den Werten der Reformhäuser vereinbaren lassen. Waren der sogenannten Exklusivpartner sind nur in Reformhäusern erhältlich. Da die Inhaber:innen der jeweiligen Geschäfte ihr Angebot selbst gestalten, kann das Sortiment variieren. Oft gibt es zum Beispiel die folgenden Produktkategorien:
- Obst und Gemüse
- frische Backwaren
- Regionalwaren
- ökologische Textilien
- Reinigungsartikel
- Geschenkartikel
Gründe für den Rückgang der Reformhäuser
Die Werte und die Philosophie, die das Reformhaus vertritt, sind heute in der Gesellschaft so präsent wie noch nie. Trotzdem zeigt der Rückwärtstrend der Ladenanzahl, dass nicht mehr so viele Menschen dort einkaufen gehen. Das hat viele Gründe:
- Wer in den vergangenen Jahrzehnten nachhaltig, biologisch, vegetarisch oder vegan leben wollte, für den war das Reformhaus die wichtigste Anlaufstelle. Auch Bio-Qualität, Naturkosmetik und freiverkäufliche Arzneimittel waren Alleinstellungsmerkmale der Reformhäuser. Doch das damals einzigartige Angebot ist heute auch in den meisten Drogerien und im Einzelhandel zu finden. Schon seit vielen Jahren wird die Kritik laut, dass Reformhäuser überholt seien und bald der Vergangenheit angehören würden.
- Das zeigt sich zum Beispiel auch in der Anzahl der Reformhäuser: Der Spiegel schreibt, dass sich die Zahl der Reformhäuser von 1999 bis 2019 mehr als halbiert habe. Von den ursprünglich 2.800 Läden, die es vor rund 20 Jahren deutschlandweit gab, sind mittlerweile nur noch rund 1.200 Läden übrig. Von diesen sind wiederung nur noch knapp 900 reine Reformhäuser. Die anderen 300 sind beispielsweise Apotheken mit einer Reformhaus-Lizenz. Ältere Beiträge machten schon früh auf den Abwärtstrend aufmerksam. Die Süddeutsche Zeitung berichtete 2008 vom „Bio-Boom“, von dem Supermärkte, Drogerien und sogar Discounter profitieren – nur eben die Reformhäuser nicht.
- Ein Artikel der Berliner Morgenpost beleuchtete 2017 auch das eingestaubte Image und die verschiedenen Konkurrenten auf dem Markt. Unter anderem gibt es heute viel mehr Bio-Supermärkte. Diese haben in der Regel ein so umfangreiches Angebot, dass Reformhäuser nicht mithalten können. Auch der Online-Handel macht es den Menschen heute leichter, an spezielle Produkte aus dem Nachhaltigkeits- und Gesundheitsbereich heranzukommen. Früher war das Reformhaus der erste Ansprechpartner dafür.
- Ein weiterer Grund für den Verlust vieler Reformhäusern ist der Mangel an Nachfolger:innen. Regionalzeitungen wie beispielsweise die Schleswig-Holsteinische Landeszeitung oder die Wolfsburger Nachrichten berichten darüber, wie jahrzehntelang geführte Geschäfte schließen müssen, weil sich niemand für eine Übernahme findet.
Wie zukunftsfähig ist das Reformhaus?
Trotz des Abwärtstrends sind in den letzten Jahren aber auch Übernahmen und Neueröffnungen zu verzeichnen. Zum Beispiel fand das Reformhaus Ferlings bei Krefeld (NRW) im März 2021 neue Inhaber. In Hamburg eröffneten 2020 gleich drei neue Reformhaus-Filialen. Hier geht die Familientradition bereits in die nächste Generation über. Ein großes Ziel der Reformhäuser ist es, ansprechender für junge Menschen zu werden.
Die Genossenschaft der Reformhäuser bemüht sich ebenso, ihrem überholten Image entgegenzutreten. Das tun sie beispielsweise durch ein erweitertes Angebot und einen Online-Shop, über ihren Newsletter, das Reformhaus-Magazin und mittels Podcasts.
Dank ihrer hohe Beratungskompetenz und ihres ganzheitlichen Ansatzes wird es Reformhäuser vermutlich auch weiterhin geben. Dennoch werden sich die kleinen Fachgeschäfte weiterhin gegen die wachsende Konkurrenz durch Bio-Supermärkte und Drogerien behaupten müssen.
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