Die Grünen-Politikerin Katrin Habenschaden machte mit einem Facebook-Post auf die frauenverachtende Werbekampagne eines Streamingdienstes aufmerksam. Die Plakate wurden daraufhin abgehängt, die Kampagne geändert. Das ist gut so – aber das Problem geht viel tiefer. Ein Kommentar.
Entweder es war der unbeholfene Versuch einer bisher ziemlich irrelevanten Streamingplattform, sich ins Gerede zu bringen. Oder es war eine absichtlich frauenverachtende Werbekampagne einer absichtlich frauenverachtenden Webserie, die kaum jemand guckt. Vielleicht auch beides.
So oder so ist es richtig, dass es laute Kritik an den Werbeplakaten für die Serie „M.O.M“ der Streaming-App Joyn gab. Denn sie hat gewirkt: Joyn hat die Kampagne geändert.
„Rückständiges Format“
Eine laute Kritikerin ist Katrin Habenschaden, Grünen-Politikerin und zweite Bürgermeisterin der Stadt München. In einem Facebook-Post schrieb sie Ende Mai: „Die aktuelle Werbekampagne von Joyn macht mich wütend. In der ganzen Stadt hängen diese frauenverachtenden, herabwürdigenden Plakate.“
Sie bezieht sich damit auf große Plakate, mit denen die Streaming-App Joyn an Bushaltestellen und auf Hauswänden für die ziemlich seltsame Dating-Serie „M.O.M“ warb. M.O.M. steht dabei – Achtung, jetzt wird es fies – für „Milf oder Missy“. (Für alle, denen dieser Begriff zum ersten Mal begegnet: „Milf“ steht für „Mother I would like to f***“. „Missy“ in diesem Kontext vermutlich für sowas wie „naives, sexuell verfügbares Mädchen“.) In der Reality-Dating-Serie geht es allen Ernstes darum, dass ein End-Zwanziger und ein End-Fünfziger aus 14 Frauen zwischen Mitte 20 und Mitte 40 (!) auswählen sollen. Die Macher*innen des Formats nennen das ein „Liebesexperiment der Generationen.“
Die Serie an sich wäre eigentlich schon einen ziemlich langen, ziemlich wütenden Artikel wert, hier soll es aber um die Plakate gehen. Habenschaden bringt es in ihrem Facebook-Post ganz gut auf den Punkt:
„Dass im Jahr 2020 so ein rückständiges Format überhaupt noch produziert wird, ist schon daneben. Aber Frauen auf hunderten im öffentlichen Raum weithin sichtbaren Plakaten in Alt, Neu, Milf etc. zu kategorisieren, ist inakzeptabel. Jeden Tag laufen Mädchen und Buben an diesen Plakaten vorbei. Welches Rollenbild vermittelt ihnen diese Darstellung von Frauen?“
Katrin Habenschaden
Auf dem Foto, das sie dazu postete, sieht man ein Plakat, auf dem zwei Frauen und der Schriftzug „Was Altes? Was Junges? Was Neues!“ zu sehen ist. Davon abgesehen, dass die ältere der beiden Frauen weit davon entfernt ist alt zu sein, ist die Objektifizierung der Frauen als ein „(et)was“ an Sexismus und Menschenfeindlichkeit schwer zu überbieten. Höchstens noch durch die Unterzeile „Milf oder Missy?“. Auf anderen Plakaten der Kampagne waren ähnlich verstörende Botschaften zu sehen.
Habenschaden appellierte an Joyn „diese Plakatkampagne zu stoppen“ – und wurde in ihrem Appell von vielen Menschen unterstützt. Hinter der Streaming-App steht übrigens unter anderem die ProSieben-Sat.1-Mediengruppe.
Joyn bekam auch auf der eigenen Facebook-Seite ordentlich Kritik für die Serie und die Werbekampagne. „Kindern erklären zu müssen was auf diesem Plakat steht ist so erniedrigend. Was soll das? Ihr legitimiert demütigende Begriffe für Frauen und junge Menschen orientieren sich an sowas. Schämt euch!“, schreibt etwa eine Userin. „Nein, Milf, also Mother i‘d like to f*** ist keine einfache Bezeichnung für Frauen ab 40, sondern eine Herabwürdigung“, schreibt eine andere. Zuletzt kritisierte sogar die bayerische Landtagspräsidentin und CSU-Politikerin Ilse Aigner die Kampagne.
Erfolgreicher Protest: Joyn lässt Plakate abhängen
Die öffentliche Kritik zeigte Wirkung: Zwei Tage nach ihrem ursprünglichen Post schrieb Katrin Habenschaden, die Vermarktungsfirma Ströer wolle die Plakate nach Pfingsten abhängen.
Laut FAZ hat der Deutsche Werberat, die Selbstkontrolleinrichtung der Werbewirtschaft, insgesamt über 100 Beschwerden zu der Joyn-Kampagne bekommen. Der Protest blieb bei dem Streamingdienst nicht ungehört: Eine Userin hat uns ein Schreiben des Werberats weitergeleitet, in dem dieser alle Beschwerdeführer*innen informiert, dass Joyn die Werbekampagne ändere und die Plakate abhänge.
Joyn habe mitgeteilt, dass man „keine Werbekampagne führen möchte, welche unangenehme Gefühle in Teilen der Gesellschaft hervorruft.“ Die Datingshow werde daher nun unter dem neuen Namen „M.O.M – Die neue Datingshow“ laufen und es werde insbesondere auf das Wort „Milf“ verzichtet. Die sexistischen Plakate wurden wohl bereits entfernt.
Die Reaktion von Joyn zeigt: Öffentlicher Protest kann sich lohnen. Und zwar in zweierlei Hinsicht: Er kann ganz konkret dazu führen, dass sexistische Kampagnen zurückgezogen werden, wie nun geschehen. Er kann aber auch das Bewusstsein für frauenverachtende Kommunikation schärfen und das ist vielleicht der noch wichtigere, weil anhaltendere Erfolg.
Sexistische Werbung ist Alltag
Dass die Serie und die dazugehörige Werbekampagne Kritik auf sich gezogen hat – gerade auch durch prominente Politikerinnen – ist durchaus ein positives Zeichen: Offenbar nehmen viele Menschen inzwischen den plumpen Sexismus in Werbung und Medien als solchen wahr und wehren sich dagegen.
Leider gibt es von diesem plumpen Sexismus dennoch immer noch viel zu viel. Und gerade im öffentlichen Raum kann man sich dem nicht entziehen: Ich kann mich entscheiden, eine frauenverachtende Serie wie die oben genannte nicht anzuschauen. Ein Plakat an der Bushaltestelle kann ich aber nicht nicht sehen. Umso „gefährlicher“ sind solche Werbeformen, denn sie normalisieren Sexismus und Frauenfeindlichkeit als Teil des Alltags – gerade auch für Kinder und Jugendliche.
Wer nicht will, dass die Töchter glauben, die Bezeichnung von Frauen als „was Neues“, als „Milf“ oder „Missy“, die Darstellung also von Frauen als sexuelle Objekte, sei akzeptabel, muss ihnen das erklären. Das ist zwar wichtig, sollte aber eigentlich nicht so sein: In einer gerechten Welt sollten solche herabwürdigenden Werbekampagnen gar nicht erst zu sehen sein. Das kann man sich gar nicht oft genug ins Gedächtnis rufen, das kann man gar nicht oft genug laut sagen, kritisieren und benennen.
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