Mit einem staatlichen Tierwohl-Label wollte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt die Verbraucher in Sicherheit wiegen. Jetzt mehrt sich Kritik. Und längst gibt es bessere Alternativen zum Tierwohllabel.
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt ließ schon im November 2016 durchblicken, dass er ein staatliches Tierwohllabel haben will. Anlässlich der Messe Internationale Grüne Woche 2017 wurden die Pläne jetzt endlich konkreter – doch für Zufriedenheit besteht kein Anlass.
Tierwohllabel: die Verbraucher wollen es
Die vielen Berichte zum Thema Massentierhaltung sorgen bei Konsumenten zunehmend für ein Umdenken. Sie wollen nicht länger tierische Produkte aus brutaler Massentierhaltung konsumieren. Verbraucher suchen nach Möglichkeiten, bessere Anbieter erkennen und schlechte Anbieter meiden zu können. Und eben da soll ein Tierwohllabel helfen.
Bedarf ist da: Laut BMEL-Ernährungsreport 2017 wünschen sich 79 Prozent der Befragten ein staatliches Tierwohllabel. 88 Prozent der Befragten würden mehr Geld für Lebensmittel ausgeben, sofern sie aus Haltung mit höheren Tierwohl-Standards stammen. Entsprechend möchte Schmidt nach eigenen Angaben bei der Entwicklung des Labels auf Information, Klarheit und leichte Verständlichkeit für die Verbraucher setzen.
Doch natürlich will Herr Schmidt der Fleischindustrie noch viel weniger weh tun als den Tieren – und das wäre nun mal der Fall, wenn dieses Label allzu aussagekräftig wäre. Böse Zungen könnten daher hinterfragen, ob ein Tierwohllabel solchen staatlichen Stellen überhaupt gelingen kann, die ja schon zu feige sind, eine Ampelkennzeichnung einzuführen; immerhin war es das BMEL unter Minister Horst Seehofer gewesen, das die Nährwertampel zur „freiwilligen Kennzeichnung“ gemacht – und damit faktisch verhindert hat.
70 Millionen Euro will der Minister in das Tierwohllabel investieren. Zum Vergleich: Allein die 10 größten Fleischunternehmen machten 2016 zusammen 20 Milliarden Euro Umsatz (Fleischranking).
Staatliches Tierwohllabel in (vielleicht) zwei bis drei Stufen
Aber man darf ja zumindest mal hoffen, dass das Label mehr bringt als ein „DLG“-Zeichen. Das geplante staatliche Tierwohllabel soll hierzu abgestuft vergeben werden. Ein Stern für weniger, zwei Sterne für mehr „Tierwohl“, später vielleicht drei Sterne für noch bessere Tierhaltungsbedingungen. Das aber auch nur, wenn sich nach der Markteinführung des Zeichens zeigt, dass die Kunden das aktiv nachfragen.
Um ab 2018, wenn das Tierwohllabel startet, ein Label fürs Tierwohl erhalten zu können, müssen Tierzüchter verschiedene Mindestkriterien einhalten. Dabei geht es unter anderem um die Größe der Ställe, Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere, Aufzuchtfragen und die Dauer von Tiertransporten. Das Label wird es zunächst nur für Schweinefleisch, dann für Geflügel geben. Offizielle Website: tierwohl-staerken.de
Alternativen zum Tierwohl-Label
Tierwohl-Initiativen sind ein denkbarer dritter Weg zwischen „Tiere sind mir egal, ich esse sie“ und „ich will vegan leben“. Denn natürlich muss man sich schon vor Augen führen, dass die Tiere bei Tierwohlinitiativen zwar besser dran sind – aber am Ende ebenfalls auf der Schlachtbank landen. Insofern ist es entlarvend, dass das Wort „Produkte“ auf der entsprechenden BMEL-Seite häufiger vorkommt als das Wort „Tiere“.
Schon jetzt kann jeder was für das „Tierwohl“ tun.
- So hat der Deutsche Tierschutzbund ein eigenes Label namens Für mehr Tierschutz.
- Der Verein Vier Pfoten vergibt das Label Tierschutz-Kontrolliert.
- Der Neuland Verein für tiergerechte und umweltschonende Nutztierhaltung ist ebenfalls eine Empfehlung: Neuland.
- Auch in der Bio-Landwirtschaft sind Tiere bereits besser dran: Am Bio-Siegel sowie an den Siegeln verschiedener Bio-Anbauverbänden wie demeter, Bioland und Naturland erkennst du biologisch erzeugte Produkte aus möglichst artgerechterer Tierhaltung. Lies dazu auch Bio-Siegel – was haben die Tiere davon?
Außerdem können wir alle weniger Fleisch essen – niemand muss gleich vegan werden, aber viele könnten wohl mühelos etwas veganer leben.
Utopia meint: Ja klar brauchen wir ein Label, an dem Konsumenten erkennen können, dass tierische Produkte aus besseren Haltungsbedingungen stammen. Noch besser wäre aber, wenn die grotesk schlechten Haltungsbedingungen in der deutschen Tiermassenproduktion gleich per se abgeschafft würden. Zynisch wird es, dass wir mit einem solchen Label dann zwangsläufig wissentlich zulassen, dass sehr, sehr viele „Produkte ohne Tierwohl“ im Handel sind, also solche mit Tierquälerei.
Uns erscheinen die Kriterien für das geplante Tierwohl-Siegel jedenfalls noch wenig überzeugend. Blöd auch, dass man sich als Namen den gleichen Begriff suchte, mit dem schon die „Initiative Tierwohl“ seit zwei Jahren hausieren geht. Bei diese Initiative zahlen Supermarktketten in einen Fonds ein, aus dem freiwillig teilnehmende Landwirte Geld bekommen. Die Initiative überzeugte offenbar so wenig, dass der ursprünglich beteiligte Tierschutzbund ausstieg und sein eigenes Label aufbaute.
Nun hat der Konsument ab 2018 wohl die Qual der Wahl zwischen vier verschiedenen Tierwohl-Zeichen.
Tierwohl-Label: die Kritik wird lauter
Inzwischen mehrt sich die Kritik am Tierwohl-Label.
- „Mit einem freiwilligen Siegel verabschiedet sich der Minister offiziell von dem Anspruch, tiergerechte Zustände für alle statt nur für einige Nutztiere zu schaffen. Er verstößt gegen das Grundgesetz, das den Staat in Artikel 20a dazu verpflichtet, tiergerechte Zustände für jedes einzelne Tier zu erreichen“, so Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer von foodwatch. „Das Siegel bedeutet nichts anderes, als dass der Staat weiterhin millionenfach vermeidbare Krankheiten, Schmerzen und Leiden für 80 Prozent der Tiere duldet.“
- Als eine „Luftnummer“ bezeichnete der agrarpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen, Friedrich Ostendorff, das Tierwohl-Label im DLF, und das Fachmagazin TopAgrar zitiert ihn mit den Worten, Schmidt habe „außer Absichtserklärungen und einem Pappschild“ wenig vorzuweisen. Weder die Finanzierung zukünftiger Maßnahmen noch die Verteilung der Gelder seien geregelt.
- „In der Einstiegsstufe des geplanten Labels wird in der Schweinehaltung noch nicht einmal der gesetzliche Mindeststandard eingehalten“, beklagt Bioland und stört sich vor allem an der Freiwilligkeit. Zum Vergleich führt man das Bio-Siegel ins Feld: „Verbraucher vertrauen Bio. Warum? Weil es für alle Biobauern verbindliche Regeln auf hohem Niveau gibt, die von staatlich anerkannten Kontrollstellen überprüft werden. Hier gibt es nämlich Gesetze. Wer sich nicht daran hält, wird bestraft.“
- „Das ist wieder nur ein freiwilliges, unverbindliches und wenig aussagekräftiges Label, von dem es schon so viele gibt“, befand der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) dem NDR. Meyer ist Vorsitzender der Agrarministerkonferenz aus Bund und Ländern.
- Die baden-württembergische Tierschutzbeauftragte Cornelie Jäger im SWR befürchtet, angesichts der schwachen Kriterien wird das Lebel in der Nische bleiben. „Es gibt sehr viele Labels inzwischen, es gibt geradezu einen Label-Dschungel. Und ich fürchte, dass es eben ein weiteres sein wird.“
- Für Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, kann das staatliche Label nur ein erster Schritt für mehr Tierwohl sein. „Hier dürfen wir aber nicht stehenbleiben. Wir brauchen eine EU-weite Haltungskennzeichnung für alle Nutztiere und eine Nutztierhaltungsstrategie, die klar definiert, wie wir die Haltungsbedingungen verbessern können.“
- „Christian Schmidt’s Tierwohl-Label ist wie erwartet unbefriedigend“, findet Andrzej Pazgan von Peta. „Es wird bestenfalls nur etwa 20% der Tiere betreffen und demnach die umfassende prekäre Situation in Deutschland nicht signifikant verändern. Gleichzeitig kann Schmidt das Label von nun an als Argument gegen gesetzliche Verschärfungen bei den Haltungsbedingungen nutzen.“
Die konkurrierende „Initiative Tierwohl“, die als Tierindustriefreundlich gilt, hielt sich mit Kritik zurück und bot statt dessen Hilfe an, falls die staatlichen Stellen auf der Suche nach Know-how seien. Das wäre zwar im Sinne der Produzenten, die gerne ein einheitliches Etikett hätten, damit ihnen das alles nicht zu viel Mühe macht; es wäre aber wohl nicht im Sinne der Konsumenten, die einem solchen Label wohl nicht mehr vertrauen würden.
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