H&M wollte eigentlich kein Mohair mehr verkaufen – nun gibt es doch wieder Pullover, Mützen und mehr aus dem umstrittenen Stoff zu kaufen. Tierschutzorganisation Peta fordert in einer Petition die Aussortierung aus dem Sortiment, der Modekonzern verweist auf ein Tierschutzsiegel.
Modekonzern H&M versucht immer wieder, sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen zu schreiben. 2018 hatte das Unternehmen beispielsweise angekündigt, in kommenden Kollektionen auf Mohair zu verzichten – genau wie die Marken Zara, Tom Tailor und weitere Bekleidungskonzerne. 2022 macht die Tierschutzorganisation Peta darauf aufmerksam, dass es sehr wohl wieder Mohairprodukte bei H&M zu kaufen gibt – ebenso wie Kaschmirprodukte, deren Herstellung ebenfalls als wenig tierfreundlich gilt. Peta wirft H&M vor, seinen Verkaufsstopp für Mohair und Kaschmir zurückgenommen zu haben und fordert den Konzern per Petition auf, beide Materialien komplett aus dem Sortiment zu streichen. Utopia hat mit beiden Parteien gesprochen.
Mohair und Kaschmir: Wieso die Stoffe problematisch sind
Mohair wird oft zu Pullovern oder Hüten verarbeitet. Die glatte Wolle stammt von der Angoraziege, die eigens für diesen Zweck gezüchtet wird. Die Tiere werden zweimal pro Jahr geschoren – Undercover-Aufnahmen der Schur, die Peta Asien 2018 veröffentlichte, zeigten brutale Zustände in südafrikanischen Mohair-Betrieben auf: Auf dem Video werden Tiere unter anderem umhergeworfen und ihnen wird bei Bewusstsein die Kehle durchtrennt. Die Bilder gingen damals um die Welt; zahlreiche Bekleidungsmarken gaben daraufhin an, künftig auf Mohair verzichten zu wollen. Auch die H&M-Gruppe erklärte 2018, Mohair permanent verbieten zu wollen. Nun scheint der Konzern zurückzurudern – im Onlineshop finden sich zahlreiche Pullover, Kleider und Mützen mit Mohair-Anteil.
Sowohl für Mohair als auch für Kaschmirwolle habe H&M seinen Verkaufsstopp zurückgenommen, kritisiert Peta. Letztere besonders weiche Luxuswolle stammt von Kaschmirziegen, gerade bei der Schur werden die Tiere aber teils brutal behandelt – das hatte eine weitere Recherche Peta Asiens 2019 aufgezeigt. Aus Kaschmir gibt es aktuell unter anderem Pullover, Mützen und Babykleidung bei H&M zu kaufen.
Dabei betont die H&M-Gruppe weiterhin Tierwohlkriterien. Laut Konzernwebseite benutzt H&M seit 2020 nur Mohair, welches von Farmen stammt, die mit dem „Responsible Mohair Standard“ zertifiziert sind. Auch Kaschmir will der Konzern immer weniger verwenden – konventioneller Kaschmir soll ab Ende nächsten Jahres nicht mehr bestellt werden. Und nicht-konventioneller Kaschmir? Neben recyceltem Kaschmir gibt H&M an, auch Kaschmir zu verwenden, der mit dem Siegel „The Good Cashmere Standard“ zertifiziert ist. Die Tierschützer:innen von PETA sind sowohl vom „Responsible Mohair Standard“ als auch vom „Good Cashmere Standard“ wenig überzeugt und sehen darin eine Irreführung der Kund:innen.
Peta-Referentin: Neue Standards sollen „nur das Gewissen der Verbraucher beruhigen“
Johanna Fuoß, Fachreferentin Bekleidung und Textil bei Peta Deutschland, bezeichnet die Missstände auf den Undercover-Videos von Peta Asien als „systematisch“ – sie fänden auf fast jedem Betrieb statt. Denn einige Eingriffe lassen sich nicht von der Kaschmir- und Mohairproduktion trennen, zum Beispiel die Fixierung der Tiere, die bei ihnen Angst und Panik auslöse, oder die Schur, die Schnittwunden und andere Verletzungen verursache.
Fuoß erklärt gegenüber Utopia, dass Peta USA im Laufe des Jahres bei der Überprüfung der Website von H&M darauf aufmerksam wurde, dass der Bekleidungskonzern wieder Kaschmir- und Mohairprodukte verkauft. Im Vorhinein informiert wurden die Tierschützer:innen nicht, obwohl H&M und Peta seit der Mohair-Recherche regelmäßig in Kontakt seien und auch gemeinsam vegane Produktlinien entwickelt haben.
Standards extra für Mohair und Kaschmir seien erst nach der Veröffentlichung der Undercover-Videos von Peta Asien entstanden, stellt die Fachreferentin klar.
„Deren Sinn und Zweck ist aber nicht, die Situation der Tiere zu verbessern. An der hat sich rein gar nichts verändert. Sie sollen nur das Gewissen der Verbraucher beruhigen, während dieselben Produkte wie vorher verkauft werden.“ H&M betreibe sogenanntes „humane washing“. Der Konzern stelle ein Produkt also ethischer dar, als es ist, um es auf dem Markt halten zu können. Peta rät Verbraucher:innen deshalb generell von Mohair- und Kaschmirprodukten ab.
H&M verweist auf Tierschutzpraktiken
Wie steht H&M zu den Vorwürfen? Auf Nachfrage von Utopia betonte der Konzern die eigenen hohen Ansprüche an tierische Materialien. Bis Ende 2025 würden alle von der H&M-Gruppe verwendeten tierischen Produkte entweder aus Farmen stammen, „die nach einem glaubwürdigen Standard zertifiziert sind“, aus recycelten oder regenerierten Quellen stammen oder durch andere nachhaltige, nicht tierische Fasern ersetzt.
„Wir glauben fest an die Standards, mit denen wir arbeiten, wie den Responsible Mohair Standard, der von Textile Exchange entwickelt wurde“, so der Konzern. „Bei Mohair haben wir bereits unser Ziel erreicht, es nur von Farmen zu beziehen, in denen die Tiere angemessen behandelt werden.“ Auf die Frage, seit wann Kaschmir- und Mohairprodukte wieder bei H&M erhältlich sind und wie es zu der Wiederaufnahme ins Sortiment kam, ging H&M nicht ein.
Good Cashmere und Responsible Mohair: Wie gut sind die Standards?
H&M ist also von den Standards überzeugt – Peta dagegen kritisiert sie heftig. Der Responsible Mohair Standard zum Beispiel schließe nicht aus, dass Ziegen ohne Betäubung kastriert bzw. die Ohren teilweise abgeschnitten werden, heißt es in der Petition. Tatsächlich konnten wir nur eine Vorschrift finden, die eine Risiko-Nutzen-Analyse der Kastration vorschreibt. Zum Schlachten fordert der Standard schnelle Methoden, die wenig Stress oder Schmerz verursachen. Später wird spezifiziert, dass damit z. B. Schusswaffen gemeint sind. Dass Ziegen während ihrem Leben Zugang zu natürlichem Licht haben, ist nur eine Empfehlung.
Auch vom Good Cashmere Standard ist die Tierschutzorganisation wenig überzeugt und hebt unter anderem hervor, dass junge Ziegen durch stumpfe Gewalteinwirkung getötet werden dürfen – dies sieht der Standard für Ziegen vor, die bis zu sieben Tage alt sind. Dass Farmer:innen oder deren Angestellte für die Tötungsmethoden, die der Standard vorschreibt, ausgebildet wurden, ist nur ein Vorschlag, aber nicht Voraussetzung. Junge Ziegen bei der Kastration mit Schmerzmitteln zu behandeln, ist ebenfalls ein freiwilliges „Kriterium zu Verbesserung“.
Utopia meint: Sowohl der Good Cashmere Standard als auch der Responsible Mohair Standard setzen zumindest einige Richtlinien zum Wohlergehen der Ziegen in der Bekleidungsindustrie fest. Doch diese Standards sind teils sehr niedrig. Wir bei Utopia raten dazu, bei tierischen Fasern genau hinzusehen, und Kleidung am besten Secondhand zu kaufen. Zudem sind Klamotten aus Pflanzenfasern wie Baumwolle oder Leinen eine tierleidfreie Alternative. Wie es um die Nachhaltigkeit verschiedener Fasern bestellt ist, liest du hier: Was ist nachhaltiger: Kleidung aus Wolle, Baumwolle oder Synthetik?
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