Die Forschung ignoriert Frauen systematisch, sagt Buchautorin Caroline Criado-Perez. Dadurch orientiere sich die Welt hauptsächlich an den Bedürfnissen von Männern – für Frauen können die Folgen mitunter lebensbedrohlich sein. Die Autorin macht den sogenannten „Gender Data Gap“ mit eindrücklichen Beispielen sichtbar.
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Frauen verdienen in Deutschland bei gleicher Qualifikation im Durchschnitt weniger als Männer, das ist inzwischen weithin bekannt. Der „Gender Pay Gap“ ist aber nur eine von vielen Formen von Diskriminierung, die Frauen weltweit erfahren. Die strukturellen Benachteiligungen sind so tief verankert, dass sie vielen gar nicht bewusst sind.
Die Journalistin und Autorin Caroline Criado-Perez versucht, das mit ihrem 2020 erschienenen Buch „Unsichtbare Frauen“ zu ändern. Das ist allerdings gar nicht so einfach: „Unsichtbare Frauen ist eine Geschichte der Abwesenheit, weshalb es manchmal schwer ist, diese Geschichte niederzuschreiben“, schreibt Criado-Perez.
Mit „Geschichte der Abwesenheit“ meint die Autorin folgendes: Das Wissen der Menschheit basiert auf Datenerhebung. Wissenschaftliche Daten werden seit Jahrhunderten allerdings hauptsächlich von Männern und über Männer gesammelt. So entstand eine Wissenslücke über Frauen – die die Grundlage für systematische Diskriminierung ist. Wir zeigen dir einige Beispiele aus dem Buch:
Gender Data Gap: 1. Medizinische Diagnosen und Medikamente
Besonders kritisch sind Datenlücken über Frauen in der Medizin. Criado-Perez zufolge wurden Diagnoseverfahren größtenteils an männlichen Körpern entwickelt. Mit fatalen Konsequenzen: „Frauen werden in diesem System chronisch falsch verstanden, falsch behandelt und falsch diagnostiziert.“
Forschungen haben etwa gezeigt, dass Herzinfarkte bei Frauen häufiger übersehen werden. Medizinische Lehrbücher listen als typische Symptome solche auf, die vor allem bei Männern auftreten – Schmerzen in der Brust und im linken Arm. Bei jüngeren Frauen seien andere Symptome häufiger, nämlich Bauchschmerzen, Kurzatmigkeit, Übelkeit und Müdigkeit. In den Lehrbüchern werden solche Symptome als „atypisch“ bezeichnet – Ärzt:innen bringen sie daher oft nicht sofort mit einem Herzinfarkt in Verbindung.
Criado-Perez listet in ihrem Buch seitenweise Beispiele aus der Medizin auf. Mal sind es Diagnoseverfahren, die bei Frauen weniger zuverlässig sind als bei Männern. Mal sind es Medikamente, die bei Frauen nicht so effektiv wirken – oder ihnen sogar schaden. Weil der männliche Körper in der Medizin bis heute als Prototyp für den Menschen gilt, passieren in der Behandlung von Frauen Fehler. Im schlimmsten Fall sind sie lebensbedrohlich.
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2. Büros, in denen Frauen frieren
Nicht so gefährlich, aber laut Criado-Perez für viele Frauen unangenehm: die Temperatur in Büroräumen. Demnach wurde in den 60er-Jahren in den USA eine empfohlene Durchschnittstemperatur ermittelt, an denen sich Büros orientieren. Die Temperatur wurde anhand der Stoffwechselrate eines durchschnittlichen 40-jährigen Mannes von 70 Kilogramm Körpergewicht errechnet. Die Stoffwechselrate jüngerer Frauen unterscheide sich jedoch davon. Büros mit der ermittelten Temperatur seien fünf Grad zu kalt für sie.
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3. Klaviere und Handys für Männerhände
„Was Männern passt, hat allen zu passen“, lautet ein Kapitel in Criado-Perez’ Buch. Viele vermeintlich geschlechtsneutrale Produkte seien gar nicht neutral, sondern orientieren sich am Prototyp Mann. So seien etwa Standardklaviaturen und Smartphones für Menschen mit größeren Händen leichter bedienbar – also für Männer. Männer haben durchschnittlich eine größere Handspannweite als Frauen.
An der männlichen Norm angepasste Produkte sind für Frauen oft unpraktisch – können aber auch gravierendere Konsequenzen haben: Untersuchungen zufolge haben beispielsweise Pianistinnen ein um 50 Prozent höheres Risiko für Schmerzen und Verletzungen als Pianisten.
Gender Data Gap: 4. Spracherkennungssoftware bevorzugt Männerstimmen
Ein weiteres Beispiel aus Criado-Perez’ Buch: Spracherkennungssoftware. Sprachbefehle von Frauen verstehe sie schlechter als die von Männern. Der Grund: Spracherkennungssoftware wird mit Stimmaufnahmen aus großen Datenbanken geschult, welche deutlich mehr männliche Stimmen enthalten.
Nicht nur Spracherkennungssoftware wird mit Daten gefüttert, die Frauen übergehen. Ein ähnliches Problem gibt es laut Criado-Perez auch bei Bilder-Datensätzen (mehr Bilder von Männern), Übersetzungssoftware (häufigere Verwendung männlicher Pronomen bei Übersetzungen), Suchalgorithmen im Netz und verschiedenen Technologien, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten. Anhand von Algorithmen entwickelte Produkte verstärken die Ungleichheit in der Welt sogar noch, sagt die Autorin.
5. Männliche Crashtest-Dummys
Besonders deutlich wird die Gefahr durch die männerdominierte Produktentwicklung im Straßenverkehr. Studien zeigen, dass Frauen bei Autounfällen ein höheres Verletzungsrisiko als Männer haben. Autos sind so konzipiert, dass sie Männer besser schützen.
Das liegt daran, dass die Sicherheit von Autos jahrzehntelang mithilfe von Crashtest-Dummys getestet wurde, die dem männlichen Körper entsprechen. Crashtest-Dummys sind lebensgroße Puppen, die Auto-Hersteller in Unfall-Simulationen einsetzen, um beispielsweise die Auswirkungen eines Auffahrunfalls auf den Körper zu testen.
Der laut Criado-Perez am häufigsten eingesetzte Crashtest-Dummy ist 1,77 Meter groß und wiegt 76 Kilogramm. Eine Folge: Frauen werden einer Studie zufolge bei Unfällen stärker schneller nach vorne geschleudert, weil der Sitz anders auf ihre leichteren Körper reagiert.
Als den Firmen bewusst wurde, dass ihre Dummys nicht repräsentativ für Frauen sind, produzierten sie „weibliche“ Dummys. Sie veränderten zunächst aber nur die Größe der Puppen, der Körperbau blieb gleich. Laut Criado-Perez sind in den USA und der EU bis heute keine Tests an Puppen mit dem Körperbau von Schwangeren gesetzlich vorgeschrieben.
Probleme anerkennen, um sie zu lösen
„Unsichtbare Frauen“ enthält zahlreiche weitere Beispiele, die erahnen lassen, wie groß der Gender Data Gap ist. Und selbst wenn Frauen in Datenerhebungen berücksichtigt werden, profitieren nicht alle davon: „Es gibt eine Leerstelle in den wissenschaftlichen Daten in Bezug auf Frauen im Allgemeinen […] , doch über Schwarze Frauen, behinderte Frauen oder Frauen aus der Arbeiterschicht gibt es praktisch keinerlei wissenschaftliche Daten“, schreibt Criado-Perez.
Das müsse aber nicht so bleiben: „Wenn wir diese Probleme anerkennen, können wir sie lösen.“
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