Vor etwa zwei Jahren hat das Stern-Magazin eine kontroverse Behauptung aufgestellt: „Für vegetarische Wurst sterben mehr Tiere als für reguläre“. Bis heute kursiert die Meldung immer wieder in den sozialen Netzwerken und verunsichert Konsument*innen – zu Unrecht!
Das „Rechenbeispiel“ des Stern sorgte 2018 für Aufregung. Das Magazin hatte die Zutaten von regulärer Mortadella und vegetarischer Mortadella derselben Marke verglichen – und folgende Schlussfolgerung gezogen: Für 100 Kilogramm Mortadella müsse ein Schwein geschlachtet werden – für vegetarische Mortadella zwölf Hühner.
Die untersuchte Veggie-Mortadella besteht nämlich zu 70 Prozent aus Eiklar, für das Hühner gehalten werden müssen. Eine Henne lege im Jahr 300 Eier und werde nach 15 Monaten geschlachtet. Hinzu kommen in der Rechnung männliche Küken, die geschreddert werden.
Das Rechenbeispiel ist immer wieder Thema
Für das vegetarische Produkt sterben also mehr Tiere als für „echte“ Wurst, so die Botschaft. Nicht nur für viele Vegetarier*innen war die Rechnung ein Schock. Aktuell ist sie erneut im Gespräch: RTL.de und das Nachrichtenportal Ruhr24 haben über das Rechenbeispiel berichtet, RTL spricht dabei von „tödlichem Fleischersatz“. Auch in der Utopia-Facebookgruppe wurde es erneut gepostet.
Aber ist vegetarische Wurst tatsächlich so schlimm? Ist es im Grunde egal, ob man vegetarische Mortadella oder welche aus Fleisch isst? So einfach ist es nicht, denn die Schlussfolgerung des Stern ist aus mehreren Gründen problematisch:
1. Die Rechnung basiert auf einem Extrembeispiel
Das Stern-Magazin hat sich eine vegetarische Mortadella mit 70 Prozent Eiklar-Anteil ausgesucht. Nicht jede Veggie-Wurst enthält so viel Ei. Im „Veggie Aufschnitt“ der Eigenmarke von Aldi Süd etwa stecken nur vier Prozent Hühnerei-Eiweiß. Die Aussage, dass für vegetarische Wurst grundsätzlich mehr Tiere sterben, ist also falsch.
2. In der Rechnung fehlt das Tierfutter
Hinzu kommt: Die Rechnung des Stern ist nicht zu Ende gedacht. Das Magazin hat nämlich einen wichtigen Faktor nicht einbezogen – das Tierfutter. Ein ausgewachsenes Mastschwein braucht laut dem „Deutschen Verband Tiernahrung e.V.“ täglich etwa drei Kilogramm Futter, eine Zuchtsau benötigt während der Säugeperiode sogar bis zu 6,5 Kilogramm. Hühner hingegen fressen durchschnittlich etwa nur 130 Gramm am Tag.
Das heißt: Ein Schwein (reguläre Wurst) benötigt fast doppelt so viel Futter wie zwölf Hühner (vegetarische Wurst). Mehr Tierfutter bedeutet im schlimmsten Fall mehr Regenwaldabholzung. Deutschland importiert jedes Jahr mehrere Millionen Tonnen Soja aus Südamerika für Tierfutter. Um Platz für Soja-Plantagen zu schaffen, roden Unternehmen dort Regenwald. Dadurch verschwindet wiederum Lebensraum für heimische Tierarten. Mehr Tierfutter bedeutet also weniger Artenvielfalt. Die vegetarische Wurst schneidet in diesem Punkt besser ab als die aus Fleisch.
3. Tierleid lässt sich nicht aufwiegen
Unabhängig davon ist die Gegenüberstellung von Tierleid fragwürdig. Ist es wirklich besser, wenn für reguläre Wurst „nur“ ein Schwein stirbt statt zwölf Hühner? Wenn man schon so argumentiert, könnte man auch in Betracht ziehen, dass das Schwein zu den intelligentesten Säugetieren gehört – und sich seiner (miesen) Lebensbedingungen in der Zuchtanlage womöglich stärker bewusst ist. Solche Überlegungen zeigen vor allem eines: Mit der Art und Weise, wie wir mit Nutztieren umgehen, stimmt etwas Grundsätzliches nicht. Das Leid von einem statt zwölf Tieren billigend in Kauf zu nehmen, kann keine Lösung sein.
4. Veggie-Wurst hilft beim Umstieg – und trägt zur Verringerung des Fleischkonsums bei
Die Ernährung umzustellen und auf Fleisch zu verzichten, fällt vielen Menschen schwer. Fleischersatzprodukte wie Veggie-Wurst können den Umstieg erleichtern. Womöglich gäbe es ohne die große Auswahl an Fleischersatz heute weniger Vegetarier*innen. Die Produkte tragen dazu bei, dass insgesamt weniger Fleisch gegessen wird – denn die meisten Vegetarier*innen ersetzen ihren bisherigen Fleischkonsum nicht vollständig durch Fleischersatz-Produkte mit 70 Prozent Eiklar-Anteil.
Worauf du bei Veggie-Wurst achten solltest
Das Stern-Magazin und viele andere Medien vermitteln mit dem Rechenbeispiel einen falschen Eindruck. Für vegetarische Wurst sterben nicht per se mehr Tiere. Zugleich weist die Rechnung auf eine wichtige Tatsache hin: Veggie-Wurst ist nicht automatisch tierfreundlicher. Für Zutaten wie Ei oder Milcheiweiß werden ebenfalls Tiere gehalten. Die konventionelle Viehzucht ist mit Praktiken wie Kükenschreddern und den beengten Verhältnissen extrem problematisch. Wer das nicht unterstützen will, kann auf folgende Punkte achten:
- Kaufe als Wurst-Alternative lieber vegane Produkte.
- Falls dir vegane Wurst nicht schmeckt, wähle vegetarische Alternativen mit einem möglichst geringen Ei-Anteil.
- Achte bei Veggie-Wurst mit Milcheiweiß oder Ei außerdem auf das Bio-Siegel. Bei Bio-Eiern und -Milch sind die Haltungsbedingungen für die Tiere etwas besser.
- Mache Veggie-Wurst und andere Fleischalternativen zur Ausnahme. Die Produkte sind stark verarbeitet und eignen sich daher nicht für den täglichen Konsum.
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