Madeleine Alizadeh, auch bekannt als Dariadaria, gehört zu den bekanntesten Nachhaltigkeits-Influencer*innen im deutschsprachigen Raum. Im Interview erzählt sie von ihrem ersten, kürzlich erschienenen Buch „Starkes weiches Herz“ und erklärt, warum wir aufhören müssen, uns über Kleinigkeiten zu streiten.
Mehr als 250 Tausend Menschen verfolgen, was Madeleine Alizadeh als Dariadaria auf Instagram postet: Beiträge zu Selbstliebe und Achtsamkeit, Fotos von sich beim Klimastreik, mit Freund*innen, bei ihrer Rede vor dem Europaparlament. Dazu gibt es faire Outfit-Tipps – immer mit der Aufforderung, wenig zu kaufen. Alles fing an mit ihrem Blog Dariadaria, den sie von 2010 bis 2017 mit jeder Menge Content füllte. Anfangs fand man dort auch Beiträge über Fast Fashion – relativ schnell bloggte die heute 30-jährige Österreicherin aber nur noch über nachhaltige Labels.
Den Blog gibt es inzwischen nur noch in der Archiv-Ansicht. Alizadeh hat sich neuen Projekten gewidmet: 2017 gründete sie ihr eigenes Fair-Fashion-Label Dariadéh und produzierte die erste Folge für ihren Podcast „A Mindful Mess“. Im August 2019 erschien ihr erstes Buch „Starkes weiches Herz – Wie Mut und Liebe unsere Welt verändern können“. Wir haben mit ihr gesprochen.
Utopia.de: Du bist Influencerin, aber auch Aktivistin und engagierst dich unter anderem für Tierschutz, Umweltthemen, Feminismus. Auf Social Media wirst du für deine Art zu leben häufig kritisiert. Was stört die Menschen?
Madeleine Alizadeh: Alles Mögliche, aber vor allem, dass ich mich pflanzlich ernähre und Themen anspreche, die bei manchen Menschen ein schlechtes Gefühl erzeugen. Und dass ich eine sehr wütende Frau bin, die nicht immer nett ist. Für diese Dinge werde ich häufig in eine Rechtfertigungssituation gedrängt.
„Veränderung ist immer unangenehm“
Als du noch über schnelle Mode gebloggt hast, wurdest du deutlich weniger kritisiert. Was sagt das, deiner Meinung nach, über unsere Gesellschaft aus?
Ein Prozess der Veränderung ist immer unangenehm. Das erleben wir auch mit Klimaaktivist*innen wie Luisa Neubauer. Wenn jemand etwas anspricht und vor allem, wenn Frauen etwas ansprechen und dabei wütend und laut sind, erzeugt das in vielen Menschen ein ungutes Gefühl. Das nennt man in der Psychologie kognitive Dissonanz. Man stört das Bild, das Menschen von sich selbst haben.
Kannst du erklären, was du damit meinst?
Viele Menschen gehen mit der Vorstellung durchs Leben, dass sie sich eigentlich korrekt verhalten und gute Menschen sind. Wenn dann jemand kommt und sagt: „Deine Lebensentscheidungen zerstören den Planeten“, dann gibt es zwei verschiedene Arten, wie sie darauf reagieren. Entweder, sie möchten mehr darüber erfahren und sind aufgeschlossen dafür, etwas zu lernen. Oder sie reagieren eben mit kognitiver Dissonanz. Dann verteidigen sie sich und wollen nicht hören, dass ihr Lebensstil beispielsweise schlecht für den Planeten ist.
In einem zweiten Schritt kommt es dann oft zu einer Projektion. Das heißt, dass sie auf Menschen, die Missstände aufzeigen, ein negatives Gefühl projizieren und Fehler an ihnen suchen. Zum Beispiel wurde Greta Thunberg mal für in Plastik verpacktes Essen kritisiert. Die Leute hielten ihr vor, dass sie keine Klimaaktivistin sein könne, weil sie Plastik verwendet. Aber solche Reaktionen sind Teil des Prozesses, also Teil der Veränderung.
Das heißt also, wenn Menschen dich und andere Aktivist*innen kritisieren, bedeutet das eigentlich etwas Gutes?
Genau. Veränderung bedeutet immer Reibung, und diese Reibung führt zu Bewegung, und diese Bewegung kann dann Neues schaffen. Ich glaube, dass aus Zerstörung oft etwas Neues entsteht und hoffe stark, dass die Zerstörung, die gerade stattfindet, auch auf politischer Seite eine Rehabilitierung der Umwelt herbeiführt.
Das hört sich so an, als hättest du einen gesunden Weg gefunden, Kritik nicht persönlich zu nehmen und mit negativen Reaktionen auf deine Person umzugehen.
Definitiv. Es ist wichtig zu wissen, warum Menschen das tun, was sie tun. Auch wenn man keine Aktivistin ist. Wenn man in der Öffentlichkeit steht und damit eine Projektionsfläche bietet, muss man sich dieser Prozesse grundsätzlich bewusst werden. Wir sind ja keine Roboter, sondern komplexe Menschen. Und immer, wenn Menschen aufeinandertreffen, werden verschiedenste Prozesse in Gang gesetzt. Wenn man diese versteht und erkennt, hilft es, bei Diskussionen sachlich zu bleiben und Kritik nicht persönlich zu nehmen.
„Im Grunde genommen stellen sich alle Menschen dieselben Fragen“
Im August ist dein erstes Buch „Starkes weiches Herz“ erschienen. Was erwartet die Leser*innen?
Es ist total schwierig, das Buch in ein Genre zu stecken. Ich würde sagen, es ist ein erzählendes Sachbuch, in dem ich die großen Lebensfragen beantworte, die ich mir selbst in den letzten Jahren gestellt habe – und zwar als Frau, als Aktivistin, als Jungunternehmerin und Person der Öffentlichkeit. Ich erzähle, wie ich als Aktivistin mit Hindernissen und Zweifeln umgegangen bin. Wie es ist, wenn man mit Menschen an einem Tisch sitzt, die überhaupt nichts von Klimaschutz halten und man sich dort als einzige Person behaupten muss. Oder wie es ist, wenn man beruflich zu kämpfen hat. All diese Dinge versuche ich aufzuarbeiten. Gleichzeitig ist das Buch ein Gespräch, das ich mit der/dem Leser*in führe. Ich will zeigen, dass wir alle mehr gemeinsam haben, als uns trennt. Im Grunde genommen stellen sich alle Menschen im Laufe ihres Lebens dieselben Fragen – vor allem im Laufe eines jungen Lebens.
Wen willst du mit deinem Buch erreichen?
Mein Buch ist definitiv ein Massenbuch. Ich habe es bewusst so geschrieben, dass es viele Menschen erreicht und abholt. Das spiegelt auch der Titel wider, in dem zwei vermeintliche Widersprüche stecken: stark und weich. Ich glaube, dass diese Widersprüche vielen Menschen im Alltag begegnen und sie daran hindern, sich aktivistisch zu engagieren.
Kannst du das genauer erklären?
Viele Menschen sind der Meinung, dass sie nie wieder ein Stück Käse essen oder Auto fahren dürfen, wenn sie aktivistisch werden wollen. In meinem Buch versuche ich diese Gegensätze aufzuarbeiten und den Leuten zu sagen, dass man brüllen und lächeln kann, dass man konsequent und gleichzeitig sanft sein kann, dass man radikal und weich sein kann.
Ich versuche Menschen aus der Masse abzuholen und ihnen zu sagen: Hey, du kannst diese Gegensätze leben, du kannst dein altes Leben komplett hinter dir lassen und ein anderer Mensch werden. Du kannst aber auch der Mensch bleiben, der du bist und trotzdem konsequenter und radikaler sein. Das alles geht. Das ist meine Message an Menschen, die noch Angst davor haben, sich einem aktivistischeren Selbst hinzugeben.
„Es geht nicht darum, dass ich als Individuum perfekt bin“
Im Kapitel über Ehrlichkeit schreibst du: „Manchmal habe ich keinen Bock drauf. Manchmal möchte ich zu meiner Familie fliegen, und manchmal möchte ich ein Möbelstück aus Massenproduktion kaufen.“ Welche Öko-Sünden leistest du dir?
Meine größten Öko-Sünden sind sicher die Langstreckenflüge zu meiner besten Freundin und meiner Schwester, die in Los Angeles leben. Das sind nicht zehn im Jahr, aber doch einer alle zwei Jahre. Ich nehme mir zwischendurch ein Taxi oder fahre mit CarSharing. Und ich besitze ein iPhone und kein Fairphone. Aber die Langstreckenflüge haben wahrscheinlich den größten Impact.
Das widerspricht ein bisschen dem Bild der perfekten Umweltaktivistin, das die Öffentlichkeit von dir hat, oder?
Nur weil sich jemand politisch engagiert und aktivistisch ist, heißt das nicht, dass diese Person fehlerfrei ist. Ich pachte nicht das Recht, moralisch immer perfekt und einwandfrei zu handeln. So bin ich nicht – und hoffentlich auch kein anderer Mensch. Es geht nicht darum, dass ich als Individuum perfekt bin. Wenn sich der Diskurs nur darum dreht, verpasst man die Gelegenheit, das große Ganze zu sehen.
Was ist das große Ganze?
Dass sich politisch und gesellschaftlich etwas ändern muss. Es geht nicht darum, ob ich am Samstag im Café einen Plastikstrohhalm in meinem Getränk hatte oder ob die Nachbarin eine Plastiktüte genommen hat oder nicht. Wenn wir uns ständig nur über solche Kleinigkeiten unterhalten, kommen wir nie auf eine höhere politische Ebene. Und wir spielen großen Lobbys in die Hände, die einfach weitermachen wie bisher, während wir uns gegenseitig kritisieren und uns darüber unterhalten, ob jemand nun zu 99 Prozent vegan ist oder zu 100 Prozent.
Von wem wünschst du dir ganz besonders, dass er oder sie dein Buch liest?
Ich würde mir wünschen, dass mehr alte männliche Politiker mein Buch lesen (lacht).
Und warum gerade die?
Damit sie nicht aus einer patriarchalen Attitüde heraus agieren, sondern mehr stark und weich aus einem gesamtgesellschaftlichen, empathischen, klugen Verständnis heraus.
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