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Umweltwissenschaftler Michael Kopatz: „Unpolitische Ökos retten die Welt nicht.“

Michael Kopatz: Schluss mit der Ökomoral
Fotos: Angela von Brill; Petr / stock.adobe.com; oekom Verlag

„Schluss mit der Ökomoral!“, fordert Michael Kopatz in seinem gleichnamigen Buch, das soeben bei oekom Verlag erschienen ist. Stattdessen heißt es: „Arsch hoch!“ – Wie retten wir die Welt, ohne ständig daran zu denken? Wir sprachen mit dem Autor über diese und andere brennende Fragen. 

Herr Kopatz, Ihrer Meinung nach kann man Begrenzung fordern, ohne sich selbst zu begrenzen. Glauben Sie, Greta Thunberg wäre so erfolgreich mit ihrer Bewegung, wenn sie Fleisch essen würde und mit dem Flieger in die USA gereist wäre?

Michael Kopatz: Es ist schon so, dass Leute, die für den Klimaschutz kämpfen, mit gutem Beispiel vorangehen sollten. Allein, das gute Vorbild reicht nicht. Wir dürfen unser Konsumverhalten nicht mit Politikgestaltung verwechseln. Viel effektiver ist es, systemische Veränderungen herbeizuführen. Meine Überzeugung ist, dass es die Reformer in der Politik leichter haben, wenn Druck von der Straße kommt. Verhältnisse ändern Verhalten!

Was meinen Sie damit?

Michael Kopatz: Systemische Veränderungen, etwa Standards und Limits, sind zwei Schlüsselbegriffe in der Ökoroutine.

Steigende Standards sorgen dafür, dass sich die Produkte in den Supermärkten und Kaufhäusern ändern. Es ist naiv, Plastikmüllberge mit Kampagnen zu bekämpfen. Ein wirkungsvoller Standard wäre zum Beispiel, würden Getränke nur noch in Pfandflaschen verkauft. Oder wenn Autos schrittweise weniger CO2 emittieren dürfen. Das hat die EU-Kommission übrigens schon beschlossen. Ebenso wird das Nullemission-Haus bald Standard sein.

Limits begrenzen die Expansion, etwa des Luft- und Straßenverkehrs, des Plastikmülls oder der Tierhaltung. Das sind keine abstrusen Forderungen. Es ist genau das, was wir tun müssten, wenn wir beginnen, unsere ökomoralische Einstellung ernst zu nehmen. Das geht nicht ohne Limits.

Michael Kopatz: „Gut sind konkrete Projekte, die Spuren hinterlassen.“

Wer hat mehr Macht und warum: die Verbraucher oder die Bürger?

Michael Kopatz: Theoretisch haben die Verbraucher extrem viel Macht. Wenn alle Menschen nur noch Bio kaufen würden, dann würde auch nur noch Bio produziert. Mit ihren Moralvorstellungen sind die Bundesbürger ganz weit vorne.

Aber wir scheitern an unseren Ansprüchen.

Nur drei Beispiele: Erstens: Rund 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger wollen weniger Autos in der Stadt haben. Tatsächlich mag aber niemand den Wagen stehen lassen oder gar abschaffen, ist die Zahl der Autos um sieben Millionen gewachsen und fahren wir soviel Auto wie noch nie.

Zweitens: Rund 90 Prozent sind angeblich bereit, viel mehr Geld auszugeben, für Fleisch aus artgerechter Tierhaltung. Real tun es nur ein bis zwei Prozent.

Drittens: Über 90 Prozent finden fairen Handel sehr wichtig. Warum liegt der Marktanteil dann nur bei zwei Prozent?

Praktisch haben die Verbraucher also gar keine Macht?

Michael Kopatz: Doch, auch. In meinen Geschichten aus „Schluss mit der Ökomoral“ beschreibe ich in der Tat auch Erlebnisse, wie Leute aus meinem Umfeld ihre Routinen verändert haben. Das sind Mutmachgeschichten, die zeigen, dass es nicht völlig egal ist, was man tut.

Besonders gilt das für Maßnahmen, die man durch Standards und Limits nicht vorgeben kann. Dazu gehört beispielsweise, durch eine Form des alternativen Wohnens die persönliche Wohnfläche zu verkleinern, wenn die Kinder aus dem Haus sind.

Was machen Ökomoralisten, die Bio einkaufen, wenig oder gar nicht fliegen und die Grünen wählen, falsch?

Michael Kopatz: Ich habe eine seltsame Erfahrung gemacht: Es gibt unpolitische Ökos. Damit meine ich Menschen, denen Umweltschutz wichtig ist, die stundenlang über Plastikstrohhalme und Bienensterben diskutieren können und regelmäßig im Bioladen einkaufen. Menschen, die vorgeben, das Richtige zu tun. Die sich aber allenfalls bei den Wahlen an der Demokratie beteiligen.

Solche Ökos werden die Welt nicht retten. Um die Klimaerhitzung zu bekämpfen, sind tatsächlich Menschen gefragt, die den Arsch hochkriegen, die sich einmischen. Solche, die über mehr nachdenken, als die Verwendung ihres Einkommens.

Es ist eine völlig naive Vorstellung, dass wir als Konsumenten 100 Prozent Biolandbau auf den Weg bringen – noch dazu in der gesamten Europäischen Union. Ich meine, jeder soll das tun, was ihm oder ihr möglich erscheint. Bitte gerne alles Bio kaufen, nicht fliegen, kein Fleisch essen. Das ist gut. Aber viel wichtiger ist Engagement!

Wenn ich auf die Straße gehe und protestiere, ist das keine Ökomoral?

Michael Kopatz: Ich habe nichts gegen Moral. Nur unsere Wertvorstellungen machen es überhaupt möglich, dass die Bürgerinnen und Bürger den Klimaschutz begrüßen. So gesehen ist der Protest auch moralisch motiviert. Ökomoral ist die Wertvorstellung darüber, wie ein ökologisch korrektes Leben auszusehen hat.

Das Problem ist, dass die Menschen ihr Verhalten legitimieren, weil sie widerspruchsfrei leben wollen. So weisen sie gerne auf das Fehlverhalten anderer hin. Das kann nerven.

„Es geht darum, die Rahmenbedingungen zu ändern.“

Wie retten wir die Welt, ohne ständig daran zu denken?

Michael Kopatz: Wir können das kollektive Problem Klimakrise nicht individuell lösen. Es geht nicht darum, dass jeder bei sich anfängt, dass jeder verzichtet. Das kann bitte gern tun, wer möchte. Viel wichtiger als privater Konsumverzicht ist jedoch politisches Engagement, etwa in Form von Protesten und Demonstrationen.

Die Deutschen behandeln ihre Haustiere als Teil der Familie, hauen aber das Schnitzel für einen Euro in die Pfanne. Sie nennen das gelebte Schizophrenie. Ist es dann nicht genauso schizophren, für den Klimaschutz zu demonstrieren und später zu fliegen?

Michael Kopatz: Ha, ha. Das ist ja mal ein interessanter Vergleich. Ich habe einen Kollegen, der fährt gerne schnell Auto, ist aber für das Tempolimit. Das ist nicht schizophren.

Wenn ich alleine auf mein Auto verzichte, fühlt sich das blöd an, denn offenbar machen die anderen nicht mit und mein moralische Korrektes Verhalten hat keinen Effekt. Das gilt auch, wenn ich zu den wenigen gehöre die auf der Autobahn 120 km/h fahren. Wenn die anderen aber auch mit machen, wie beim Tempolimit, dann fühlt sich das viel besser an.

Ich kann auch gegen den Ausbau eines Flughafens demonstrieren und trotzdem geflogen sein. Es geht darum, die Rahmenbedingungen zu ändern. Und auf keinem Fall dürfen Flughäfen in Deutschland noch erweitert werden.

„Politiker dürfen sich nicht vor der Industrie zum Teppichen machen.“

Sie schreiben: „Man kann das System verändern, ohne sich selbst zu ändern.“ Aber ich kann nicht das System ändern, ohne den Arsch hochzukriegen, um es dazu zu zwingen. Das impliziert, dass ich meine Komfortzone verlasse, mich also verändere. Ist das nicht ein Widerspruch?

Michael Kopatz: Okay, demonstrieren gehen ist meinetwegen auch eine Verhaltensänderung. Aber eine, mit der wir die Verhältnisse ändern.

Machen wir’s doch gleich ganz konkret: Ich lade die Leser*innen ein, am 18. Januar 2020 zur Demonstration „Wir haben es satt“ nach Berlin zu kommen. Die findet statt, passend zur Grünen Woche. Bringen Sie ihre Freunde mit und machen sich ein schönes Wochenende. Demonstrieren kann Spaß machen. Man spürt: »Ich bin nicht allein.«

Natürlich gibt es noch viele andere Möglichkeiten, sich einzumischen. Man kann sich in einer Partei oder einem Verein, einer Initiative engagieren, Petitionen zeichnen, Briefe an Abgeordnete schreiben und vieles mehr.

Aus Ihrer Sicht ist Singapur ein gutes Beispiel dafür, wie Verkehrsprobleme gelöst werden können. Singapur hat aber weder eine mächtige industrielle Lobby von Autoherstellern, wie wir sie in Deutschland haben, noch unsere Einwohnerzahl oder Staatsfläche. Hinkt da nicht ein bisschen der Vergleich?

Michael Kopatz: Die Autobosse werden nicht Hurra schreien, wenn wir dafür sorgen, dass sich die Zahl der Autos in Deutschland halbiert. Aber was ist die Alternative? Politiker dürfen sich nicht vor der Industrie zu Teppichen machen. Sie müssen den Wandel gestalten und zwar jetzt sofort. Das lange Zögern hat nur dazu geführt, dass die notwendigen Maßnahmen drastischer werden.

Herr Kopatz, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Dr. Michael Kopatz

Michael Kopatz: Schluss mit der Ökomoral!
Michael Kopatz: Schluss mit der Ökomoral! (Cover: oekom Verlag)

Michael Kopatz ist diplomierter Umweltwissenschaftler und Projektleiter im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Seit der Veröffentlichung seines gleichnamigen Buches ist „Ökoroutine“ ein häufig verwendeter Begriff in der umweltpolitischen Debatte. Zu den Themen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit tritt Kopatz bei Städten, Institutionen und Initiativen als Referent, Gastredner und Keynote Speaker auf.

Sein neuestes Buch „Schluss mit der Ökomoral. Wie wir die Welt retten, ohne ständig daran zu denken“ beinhaltet Alltagserlebnisse und Überlegungen über gute Vorsätze, Verbote, Moralapostel, Wiederstände, Stumpfsinn und Engagement.

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