„Cradle to Cradle“ ist ein radikaler Gegenentwurf zu unserer Wegwerfgesellschaft: ein Wirtschaftssystem ohne Abfall. Das „öko-effektive“ Konzept von Chemiker Michael Braungart und Architekt William McDonough gibt es seit rund 20 Jahren, der große Durchbruch blieb jedoch bislang aus.
Die überwältigende Mehrheit unserer Konsumgüter ist nach dem Prinzip „Von der Wiege zur Bahre“ gefertigt: Sie werden produziert, genutzt und schließlich weggeworfen; die Rohstoffe sind damit verloren. Cradle to Cradle (C2C) will es anders machen: „Von der Wiege zu Wiege“.
Worum geht es bei Cradle to Cradle?
Man könnte den Ansatz Cradle to Cradle mit dem Begriff „perfekte Kreislaufwirtschaft“ zusammenfassen. In der idealen C2C-Welt werden alle Güter so produziert, dass:
- die eingesetzten Rohstoffe nach Gebrauch biologisch abgebaut und als „Nährstoffe“ wieder in den natürlichen Stoffkreislauf zurückgeführt werden ODER
- ohne Verluste zu neuen Gütern verarbeitet werden können.
- Giftige oder umweltgefährdende Stoffe und Verbundstoffe, die sich nicht sortenrein recyceln lassen, sind für das Produktdesign ausgeschlossen.
- Die Energie für Produktion und Re-Design liefern erneuerbare Energien.
Mit anderen Worten: Es gibt keinen Abfall.
Dahinter steht das Konzept der von Braungart so genannten „Öko-Effektivität“: „Während also die herkömmlichen Strategien […] sich bemühen, die unbeabsichtigten negativen Konsequenzen von Produktions- und Konsumprozessen […] zu minimieren, stellt der öko-effektive Ansatz von Braungart einen Qualitätsansatz dar, der darauf beruht, die Möglichkeiten der Industrie so zu verbessern, dass natur- und umweltunterstützende Produkte und Prozesse möglich werden.“, heißt es dazu auf seiner Website.
Um nachhaltige Produktions- und Konsumsysteme zu etablieren, müsse man nicht den ökologischen Fußabdruck reduzieren, „die Herausforderung ist eher, wie dieser „Fußabdruck“ als nie versiegende, unterstützende Quelle für natürliche System errichtet werden kann.“
Die Idee von Prof. Dr. Michael Braungart und William McDonough orientiert sich an der Natur: Überproduktion und Verschwendung ist möglich und führt auch nicht zu Umweltproblemen, solange dabei die stofflichen Kreisläufe berücksichtigt werden. Seit 2012 gibt es in Deutschland den Cradle to Cradle (C2C)-Verein.
Was bedeutet Cradle to Cradle für Unternehmen?
Den Weg zu geschlossenen Stoffkreisläufen sieht das C2C-Konzept in der Hand von Vorreiterunternehmen aus verschiedensten Branchen. Diese bringen Produkte auf den Markt, die sie nach dem Gebrauch wieder zurücknehmen und vollständig zu neuen Produkten umarbeiten. Dazu nutzen sie erneuerbare Energien, die eingesetzten Rohstoffe orientieren sich an C2C-„Präferenzlisten“.
Es liegt dann im Interesse der Hersteller, ein Design zu wählen, das ihnen die spätere Wiederverwertung erleichtert. Diese Wirtschaftsweise soll den Unternehmen mittel- bis langfristig Wettbewerbsvorteile und Profit verschaffen. Derzeit sind Cradle to Cradle-Produkte aber in Herstellung und Kauf noch deutlich teurer als herkömmliche.
Die Zertifizierung
Cradle to Cradle ist eine eingetragene Marke des „Cradle to Cradle Products Innovation Institute“ mit Sitz in Oakland in Kalifornien und einer Niederlassung in Amsterdam in den Niederlanden. Das Institut führt die Produktzertifizierungen durch und teilt eine der fünf Kategorien (Basic, Bronze, Silber, Gold, Platin) zu.
Der Kriterienkatalog ist umfangreich und komplex, mit zum Teil ungenauen Forderungen, wie zum Beispiel möglichst viel regenerativ erzeugte Energie zu verwenden. Die meisten bisher zertifizierten Produkte erreichten die Auszeichnung Bronze oder Silber, bisher gibt es noch kein Produkt mit Platin-Label.
Eine Erstzertifizierung kostet stolze 3.150 Euro pro Produkt; sie muss alle zwei Jahre für 1.750 Euro erneuert werden. Wissenschaftliche Expertise, etwa die Materialbewertung, liefert dem C2C-Institut unter anderem Michael Braungarts „EPEA“ (Environmental Protection Encouragement Agency) in Hamburg.
C2C-Produkte: Verbreitung und Nachfrage
In den Niederlanden, Dänemark, sogar in den USA und China ist Cradle to Cradle etwas bekannter und gefragter als in Deutschland. Das C2C-Logo finden deutsche Verbraucher bisher nur auf wenigen Produkten. Insgesamt stammt der Großteil der zertifizierten Produkte und Materialien aus der Bau- und Einrichtungsbranche: Bödenbeläge, Farben oder Büromöbel beispielsweise. Aber man findet auch einige C2C-Produkte im normalen Handel: ein kompostierbares T-Shirt von C&A, ein Shirt von Trigema, Strumpfhosen von Wolford, eine Trinkflasche von Dopper, zwei Gesichtsreinigungsprodukte von Garnier, ein Stift von Stabilo oder einige Putzmittel von Frosch beispielsweise.
Es gibt bereits einige Produkte, die der jeweilige Hersteller nach Gebrauch zurücknimmt – und deren Materialien er dann wieder nutzt, um etwas Neues daraus zu machen. Vorbildlich ist hier beispielsweise der niederländische Teppichhersteller Desso. Derzeit geht es bei C2C-Produkten in erster Linie um die Sortenreinheit (für das zumindest theoretisch rohstoffneutrale Recycling) oder die Schadstofffreiheit und Kompostierbarkeit von Produkten. Die tatsächliche Kreislaufwirtschaft ist derzeit mehr Ideal als Realität.
Kaufen kann man einige C2C-Produkte dennoch heute schon: Cradle-to-Cradle-Produkte: In diesen Shops kannst du sie kaufen
Umfangreiche Kritik am Cradle to Cradle-Konzept
So attraktiv das „öko-effektive“ Konzept von Michael Braungart auch sein mag: Makellos ist die Idee vom umweltfreundlichen, geschlossenen Kreislauf nicht. Kritiker bemängeln an Cradle to Cradle vor allem den Aufruf zur Verschwendung, aber auch die fehlende Umsetzbarkeit im großen Maßstab. Um insgesamt vollständig abfall- und schadstofffrei nach C2C-Prinzipien zu wirtschaften, wäre ein komplett neues Wirtschaftssystem nötig, womöglich eine Art Planwirtschaft – danach sieht es selbst im C2C-begeisterten China überhaupt nicht aus.
Den herkömmlichen Umweltschutz weiterzudenken und an die Stelle von Verzicht und Beschränkung einen ökologisch tragfähigen Ressourcenverbrauch zu setzen, der den Menschen als Teil und nicht als Schädling der Natur sieht, hat durchaus Charme. Solange aber ein Großteil des weltweiten Energiebedarfs noch aus fossilen Quellen gedeckt wird, steht Energiesparen an erster Stelle, und das bedeutet auch, jede unnötige Produktion zu vermeiden.
Was das C2C-Konzept ebenfalls nicht berücksichtigt: Biologisch abbaubare Rohstoffe einzusetzen ist aus Umweltschutzgründen sinnvoll – allerdings gilt auch das nur in Maßen und mit Einschränkungen. Denn auch natürliche Rohstoffe zu nutzen ruft Umwelteffekte hervor, beispielsweise Ressourcenkonflikte, wenn die Maisstärke für das C2C-Computergehäuse auf dem Nahrungsmittelmarkt fehlt. (Mehr dazu: Wie Bio ist Bioplastik?)
Auch wenn einige Markenhersteller einzelne Cradle-to-Cradle-Produkte im Programm haben: Von einer Umstellung des gesamten Sortiments sind die Unternehmen weit entfernt. Cradle to Cradle ist damit oft nur ein günstiger Weg, öffentlichkeitswirksam Nachhaltigkeitsbemühungen zu demonstrieren. Kompostierbare Kleidung zum Beispiel kommt beim Kunden gut an – doch derzeit sind Industrieländer wie Deutschland gar nicht auf kompostierbare T-Shirts oder Turnschuhe eingestellt, die Kompostieranlagen wären damit überfordert; schon biologisch abbaubare Kunststoffe stellen sie derzeit vor große Probleme.
Und schließlich stecken hinter dem C2C-Logo und den verschiedenen Kategorien so viele Kriterien, dass der Verbraucher schlicht überfordert wird. Wer beim C2C-zertifizierten Shampoo zum Beispiel Naturkosmetik erwartet, wird enttäuscht: Es geht dort in erster Linie um die Flasche aus Polyethylen (PET), und der Hersteller nimmt diese nicht selbst zurück, um daraus neue zu formen.
Fazit: Cradle to Cradle als Impuls für Unternehmen
Cradle to Cradle klingt einerseits nach Utopie. Andererseits gibt es bereits konkrete Beispiele, die zeigen, dass das Konzept funktioniert. Doch am Ende ist es vielleicht gar nicht entscheidend, ob ein Hersteller aufgrund von C2C-Prinzipien, durch andere Zertifizierungssysteme oder durch strengere Umweltgesetze motiviert wird, erneuerbare Energien einzusetzen, Schadstoffe aus Produkten zu verbannen und diese für das Recycling zu optimieren – Hauptsache, er tut etwas, um seine Produktion und Produkte zu verbessern.
Das Konzept der Kreislaufwirtschaft ist zukunftsweisend. Von einer weltweit tragfähigen und gerechten Verteilung von Rohstoffen sind wir aber noch weit entfernt. Und solange – das blendet C2C völlig aus – bleibt der wohlüberlegte und eingeschränkte Konsum unverzichtbarer Baustein einer nachhaltigen Entwicklung.
Derzeit findet Cradle to Cradle seinen Nachhaltigkeitsnutzen in erster Linie darin, Unternehmen anzustoßen, sich mit nachhaltigerem Produktdesign und Stoffkreisläufen auseinanderzusetzen. Insofern ist das Konzept vielversprechend und unterstützenswert – schließlich zählt jeder Schritt.
Autor: Volker Eidems / Annika Flatley
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