Manche „Destroyed Jeans“ sind vollkommen zerrissen, manche haben nur vereinzelte, stylische Löcher. Doch eines haben sie alle gemeinsam: Die Hosen sind eigentlich brandneu, werden aber abgewetzt und zerschnitten, damit sie möglichst abgetragen aussehen – mit Konsequenzen für Arbeiter*innen in Textilfabriken und für die Umwelt.
Früher standen sie für Rebellion, heute trägt sie jeder: Destroyed Jeans. Die zerrissenen Hosen gibt es von fast jeder Modemarke zu kaufen – sogar nachhaltige Shops wie Hessnatur bieten sie an. Doch je länger man über die zerlöcherten Jeans im Laden nachdenkt, desto mehr drängt sich die Frage auf: Wie kommen die Löcher eigentlich da rein? Und sind die Methoden, mit denen die neuen Kleidungsstücke gleich nach der Herstellung beschädigt werden, problematisch für Mensch und Umwelt?
Was ist eine Destroyed Jeans?
Die Jeans wurde einst als Arbeitermode erschaffen, sie sollte also möglichst viel aushalten. Heute stellen Jeans-Produzent*innen intakte Hosen her, um sie gleich darauf so zu bearbeiten, dass sie abgetragen aussehen. Dabei werden die Jeans gebleicht, geschliffen und es werden Löcher in den Stoff geschnitten. Das Ganze nennt sich dann „Used Look“, „destroyed“ oder „rippled jeans“.
Das Absurdeste daran: Die abgetragenen Hosen sind genauso teuer oder kosten teilweise noch mehr als eine unversehrte Jeans. Weil zerrissene Jeans gerade in Mode sind, zahlen viele den Preis trotzdem. Doch wie entstehen die Gebrauchsspuren im Stoff?
Destroyed Jeans: Wie entsteht der Used-Look?
Jeans werden laut der Verbraucherzentrale NRW oft in Entwicklungs- oder Schwellenländern wie Bangladesch oder China gebleicht. Dabei können verschiedene Techniken zum Einsatz kommen. Zu den verbreitetsten gehören:
Sandstrahlen
Bei dieser Technik wird die Hosenoberfläche unter hohem Druck mit feinem Sand bestrahlt. Die Methode gilt als schnell und preiswert. Allerdings entsteht dabei Sandstaub, der auch Quarz enthält. Wenn Arbeiter*innen diesen Staub einatmen, kann das für sie gefährlich werden. Der Staub schädigt ihre Lungen und kann zu Atemnot, Husten und Erbrechen führen. Die Arbeiter*innen können im schlimmsten Fall sogar daran ersticken. Von dieser Gefahr wissen die Menschen in den Fabriken aber oft nichts. Zudem erhalten sie oft keine geeignete Sicherheitskleidung und bearbeiten die Jeans teils per Hand mit Schläuchen.
In europäischen Ländern wurde die Behandlung von Jeans mit Sandstrahlen in den vergangenen Jahren stärker reguliert, in der Türkei sogar verboten. Über 40 große Jeanshersteller, darunter Armani, Levi Strauss und Burberry, hatten angekündigt, freiwillig keine Jeans mehr zu verkaufen, die mit Sandstrahlen bearbeitet wurden. Doch nicht alle Produzenten halten sich an die Verbote. In Billiglohnländern wie China und Bangladesh werden Destroyed Jeans weiterhin mittels der umstrittenen Methode produziert. Die Verbraucherzentrale kritisiert, dass Markenfirmen ihre Zulieferer unter so großen Zeitdruck stellen, dass ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, als das Sandstrahlen-Verfahren anzuwenden.
Chemikalien
Damit die Jeans zerrissen und abgetragen aussehen, behandeln manche Hersteller den Stoff auch mit Chemikalien, unter anderem mit Chlorat als Bleichmittel. „Dieser Stoff kann ins Abwasser gelangen. Das ist gerade in den Billig-Produktionsländern der Textilindustrie im globalen Süden ein Problem“, erklärt Viola Wohlgemuth, Textilexpertin bei Greenpeace. „Die Chlorate wandeln sich in der Umwelt zu den langlebigen Perchloraten um, und die sind persistent. Das heißt, einmal ausgebracht bleiben sie in der Umwelt und verbreiten sich weiter. Perchlorat gehört zu den gefährlichen Chemikalien und gilt als hormonell wirksam, unter anderem da es den Stoffwechsel der Schilddrüse hemmt. Es ist also toxisch für Menschen und Tiere.“
Stiftung Warentest hat Interviews mit Arbeiter*innen in Jeans-Fabriken geführt und herausgefunden: Die Angestellten müssen die Chemikalien teils ohne Belüftung unter hohen Temperaturen aufsprühen. Dabei fallen immer wieder Menschen in Ohnmacht. Von dem Lohn für ihre Arbeit können viele nicht leben, der Arbeiter*innenschutz sei unzureichend.
Wie kommen die Löcher in die Jeans?
Um Löcher in Jeans zu schneiden, nutzen Jeans-Hersteller ebenfalls verschiedene Techniken. Neben dem gesundheitsgefährdendem Sandstrahl-Verfahren zählen unter anderem Käsereiben, Sandpapier, Feilen, Laser und Messer dazu, erklärt Textil-Expertin Viola Wohlgemuth. Die Arbeit werde teils von Maschinen erledigt, teils in Handarbeit von den Arbeiter*innen.
Wenn Menschen die Jeans mit der Feile bearbeiten, spart das Wohlgemuth zufolge zwar den Einsatz von giftigen Chemikalien, bringt die Menschen aber auch in Gefahr: Zum einen seien manuelle Methoden belastend für den Körper, zum anderen entstehe dabei viel Abrieb. „Mit der Feile lösen sich kleine Fasern vom Jeans-Stoff“, erklärt die Expertin gegenüber Utopia. „Diese dürfen nicht in die Atemwege gelangen.“ Das sollte unter anderem eine gute Absauganlage verhindern, doch diese fehle in vielen Arbeitsstätten.
Halten Jeans ohne Löcher länger als zerrissene Jeans?
Wer kennt das nicht? Sobald eine Hose ein kleines Loch hat – besonders am Knie – dauert es nicht lange, bis daraus ein großes Loch wird. Doch Destroyed Jeans haben von vornherein Löcher. Lässt sich daraus ableiten, dass sie schneller kaputtgehen als Jeans ohne Gebrauchsspuren?
Vielleicht. Wir haben bei verschiedenen Expert*innen nachgefragt, doch eindeutige Studien zu diesem Thema scheint es noch keine zu geben.
Dass die Jeans zu schnell kaputt gehen, ist aber ohnehin nicht das Hauptproblem: „Seit sie die Modeindustrie für sich entdeckt hat, haben sich Jeans von Arbeiterhosen zu einem Modetrend entwickelt“, erklärt Textilexpertin Viola Wohlgemuth. Heute seien Jeans schnelllebig. Oft würden sie weggeworfen, weil sie nicht mehr in Mode sind, und nicht, weil sie kaputt sind. Für Destroyed Jeans gelte das besonders, denn: „Jeans mit Löchern sind stärker trendgebunden.“ Das bedeutet: Sobald sie nicht mehr in Mode sind, werden sie nicht mehr getragen und landen in der hintersten Kleiderschrankecke, im Altkleidercontainer oder schlimmstenfalls im Abfall.
Wie nachhaltig sind Jeans überhaupt?
Natürlich haben nicht alle Jeans Löcher. Die übrigen Hosen müsstest du dann ja bedenkenlos shoppen können, oder?
So einfach ist das leider nicht. Auch die Produktion von Jeans, die nicht zerrissen oder ausgebleicht sind, kann der Umwelt schaden. Denn Jeans bestehen meist aus Baumwolle. Der Anbau des Rohstoffs ist leider oft wenig umweltfreundlich:
- Zum einen verschlingt er sehr viel Wasser: „Für eine Jeans benötigt man 7.500 Liter Wasser“, erklärt Viola Wohlgemuth. „Das ist mehr, als ein Mensch in fünf bis sechs Jahren trinkt.“
- Damit die Baumwoll-Ernte möglichst groß ausfällt, nutzen Landwirt*innen große Mengen an chemischen Pestiziden und synthetischen Düngern. „Pro Saison wird Baumwolle durchschnittlich 20 Mal mit Ackergiften aller Art besprüht“, schreibt das Umweltinstitut München. Die Mittel gelangen von den Feldern in Böden und Gewässer und können Pflanzen, Tieren und auch den Feldarbeiter*innen schaden.
- Viele Baumwoll-Erzeuger*innen bauen genmanipulierte Pflanzen an, weil diese zum Beispiel gegen bestimmte Schädlinge immun sind. Damit sind aber auch immer Risiken verbunden, z.B. der Verlust der Artenvielfalt.
- Die Jeans werden oft mittels hochgiftiger Chemikalien gefärbt, die ebenfalls in die Umwelt gelangen können. Oft bleiben Chemiereste auf den Jeans zurück, die auf die Träger*innen übergehen können. (Lies dazu: Öko-Test Jeans: H&M, Levi’s, Armedangels & Co. im Test)
Mehr Informationen: Was kann eigentlich an Jeans bio, fair oder vegan sein?
Für die Billig-Jeans im Kleiderschrank zahlt die Umwelt einen hohen Preis. Dazu ist sie oft ein Produkt von Ausbeutung. Die Arbeiter*innen in Textilfabriken und auf Baumwollplantagen erhalten selten gerechte Löhne oder arbeiten unter fairen Arbeitsbedingungen. Du willst das nicht unterstützen? Dann kaufe bessere Jeans ein. Wir zeigen dir, wo du sie findest: Bestenliste Bio-Jeans
Gibt es bessere Destroyed Jeans?
Wenn es unbedingt eine Jeans mit Löchern sein muss, solltest du beim Kauf besonders aufpassen:
- Laut der Verbraucherzentrale gibt es bisher kein Jeans-Siegel dafür, dass das gesundheitsgefährdende Sandstrahl-Verfahren nicht angewendet wurde.
- Seriöse Textilsiegel können trotzdem eine Orientierungshilfe sein: Die Fair Wear Foundation setzt sich beispielsweise glaubwürdig dafür ein, die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie zu verbessern. Textilexpertin Viola Wohlgemuth empfiehlt außerdem Jeans mit einer GOTS– und IVN-Best-Zertifizierung
- Außerdem rät Wohlgemuth, sich auf Flohmärkten oder auf Kleidertauschpartys nach Jeans umzusehen. Darüber hinaus könne man sich Hosen auch leihen, zum Beispiel bei der Kleiderei. „Das nachhaltigste Kleidungsstück ist das, das nicht neu produziert werden muss“, erklärt die Expertin.
- Oder besser noch: Greife selbst zur Schere und style eine alte Hose neu um. Das ist auf jeden Fall nachhaltiger, als ein neues Kleidungsstück zu kaufen – vor allem, wenn du die alte Jeans dadurch länger trägst.
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