Doomscrolling wirkt auf den ersten Blick paradox: Eine schlechte Nachricht nach der anderen – und trotzdem scrollen wir auf unserem Handy weiter. Warum wir das tun und welche Folgen es hat, erfährst du in diesem Artikel.
Gerade in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie, der Klimakrise oder angesichts des Krieges in der Ukraine ist Doomscrolling ein verbreitetes Phänomen. Das Internet wartet in solchen Zeiten mit vielen schlechten Nachrichten auf – zum Beispiel steigende Infektionszahlen oder mögliche Alltagseinschränkungen. In Bezug auf den Krieg in Europa entstehen konkrete Überlebensängste, in etwa durch eine atomare Bedrohung. Die eingeschränkten Möglichkeiten wiederum, den Betroffenen in der Ukraine zu helfen, können auch eine Belastung darstellen.
Wir nehmen die schlechten Nachrichten auf und scrollen immer weiter – durch mehr und mehr negative Meldungen. Aber warum tun wir das und was macht es mit unserer Psyche?
Das ist Doomscrolling
Der Begriff Doomscrolling setzt sich zusammen aus dem englischen Wort „doom“ für „Verderben“ und dem eingedeutschten „scrollen“ für „den Bildschirminhalt verschieben“. Eine dramatische Übersetzung des Begriffs wäre etwa „Verdammnisblättern“, wie die Stuttgarter Nachrichten vorschlagen. Sinngemäß ist damit das ständige, nicht aufhörende Konsumieren schlechter Nachrichten gemeint. Es erfolgt über unterschiedliche Medienkanäle wie Social Media und auf verschiedenen Geräten wie Smartphone, Tablet und so weiter.
Doomscrolling als Begriff existiert seit 2018. Durch die technische Infrastruktur der sozialen Netzwerke sind für Doomscrolling die besten Voraussetzungen gegeben. Die Rede ist hier von Algorithmen und „Infinite Scroll“:
- Dank bestimmter Algorithmen reicht ein Klick auf einen Link oder Inhalt zu einem negativen Thema und es wird immer wieder in deinem Feed auftauchen.
- „Infinite Scroll“ bedeutet, dass sofort neue Inhalte geladen werden, wenn du beispielsweise den unteren Seitenrand deines Smartphonebildschirms erreicht hast. Du musst also nicht erst warten, bis sich eine neue Seite aufbaut. Das vereinfacht Doomscrolling. Bei langen Ladezeiten wäre die Sogwirkung, immer und immer weiter zu scrollen, möglicherweise nicht so stark.
Darum betreiben wir Doomscrolling
Aber warum konsumieren wir freiwillig immer mehr schlechte Nachrichten? Gute Nachrichten wären doch viel angenehmer.
Die Antwort darauf liegt in einer Funktion unseres Gehirns. Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie aus Köln, beschreibt es so: „Unser Hirn ist darauf optimiert, auf Negatives besser, intensiver und generell einfach schneller zu reagieren.“ Dahinter steckt ein Schutzmechanismus: In der Steinzeit waren Informationen über potenzielle Gefahren wie Säbelzahntiger überlebenswichtig. Laut Maren Urner konnte „eine verpasste negative Nachricht potentiell das Letzte sein, was wir wahrnehmen. Evolutionsbiologisch hat sich unser Hirn seither nicht sehr stark verändert.“ Wir nehmen also immer noch negative Nachrichten auf, um uns selbst zu schützen. Dieser Effekt heißt auch Negativitätsbias.
Neben dem Negativitätsbias unterstützen die sozialen Medien Doomscrolling zusätzlich: Zum einen durch ihre oben beschriebene Infrastruktur und zum anderen durch eine Art Belohnungssystem. Du erhältst zwar keine materielle Belohnung für das ewige Scrollen – die Aufnahme einer Nachricht löst aber im Gehirn einen kurzfristigen Befriedigungseffekt aus. Dieser Effekt ergibt sich daraus, dass wir mithilfe von Nachrichten und Informationen Unsicherheit abbauen wollen. Das versuchen wir, indem wir uns einen guten Überblick über alles um uns herum verschaffen.
Diese negativen Folgen hat Doomscrolling
Trotz des kurzfristigen Befriedigungseffekts setzen wir unseren Körper durch Doomscrolling auf Dauer sehr viel Stress aus. Negative Folgen, die Doomscrolling haben kann, sind:
- Angstgefühle
- depressive Symptome, wie ein Gefühl von Handlungsunfähigkeit
- Unsicherheit
Zusammenfassend ist Doomscrolling aufgrund der ständigen negativen Nachrichten eine große Belastung für deine mentale Gesundheit. Zusätzlich nimmt es sehr viel Zeit in Anspruch.
Wie mit Doomscrolling umgehen?
Abschließend haben wir noch ein paar Tipps für dich, wie du besser mit Doomscrolling umgehen kannst:
- Um der Sogwirkung von Doomscrolling zu entgehen, kannst du auf soziale Netzwerke verzichten. Das ist allerdings eine recht radikale Lösung. Wenn du es doch einmal ausprobieren möchtest, interessiert dich sicher auch unser Artikel zur Smartphone-Diät. Er beschreibt, wie es ist, mal eine Weile ohne Smartphone zu leben.
- In unserem Beitrag zu Digital Detox bekommst du acht Tipps, um generell weniger online zu sein. So kommst du auch weniger in Kontakt mit schlechten Nachrichten. Plane beispielsweise feste Smartphone- oder Social-Media-Zeiten ein oder erkläre dein Schlafzimmer zur handyfreien Zone.
- Statt komplett auf soziale Medien zu verzichten, kannst du auch erst mal mit Freunden, Bekannten oder Familie über die Themen sprechen, die dich beschäftigen oder dir im Netz über den Weg laufen.
- Mach dir zusätzlich deine Nutzung und dein Verhalten in Bezug auf Nachrichten bewusst. Das allein kann schon helfen. Wenn du wirklich Informationen und Nachrichten suchst, dann verwende lieber die Nachrichtenapp einer Zeitung als beispielsweise soziale Medien. Wenn du aber Unterhaltung suchst, dann rufe doch zum Beispiel stattdessen jemanden an.
- Nach draußen zu gehen, Sport zu treiben und andere Leute zu treffen, ist eine gute Option, um negative Gefühle abzubauen.
- Im Redaktionsnetzwerk Deutschland erklärt Psychologin Franca Cerutti, gerade angesichts des Krieges in der Ukraine nur so viele Nachrichten zu konsumieren, wie man eben gerade verkrafte. Sie rät, sich bewusst zu machen, dass wir nicht dadurch mehr Kontrolle haben, dass wir Minute für Minute Updates zugespielt bekommen. Im Gegenzug kannst du dir laut Cerutti die Frage stellen: „Wer profitiert denn davon, wenn ich mich psychisch total runterwirtschafte?“ Das kann dir helfen, Schuldgefühle zu verhindern, weil dein Leben möglicherweise mehr oder weniger normal weitergehen kann, während andere leiden. Indem du also genau auswählst, welche Nachrichten du, von wem, wann und wie oft konsumieren möchtest, kannst du informiert bleiben und deinen eigenen Ansprüchen in der Hinsicht zu genügen – während du gleichzeitig Acht auf deine mentale Gesundheit gibst.
Übrigens: Wenn du genug von schlechten Nachrichten hast, sind Nur-Positive-Nachrichten und Good News eine erfrischende Alternative zu gewöhnlichen Nachrichtenportalen oder Zeitungen. Sie zeigen dir nur positive Inhalte. In dem Kontext gibt es auch den Begriff des lösungsorientierten konstruktiven Journalismus.
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