Bei Produktion und Konsum von Kaffee fällt jede Menge Abfall an: die Schale der Kaffeekirsche und der Kaffeesatz. Utopia stellt fünf Initiativen vor, die mehr aus der Kaffeepflanze herausholen.
Kaum jemand weiß, dass bei der Kaffeeproduktion nur etwa ein Prozent der ganzen Kaffeepflanze genutzt wird, nämlich die Bohne im Inneren der Kaffeekirsche. Der Rest ist in der Regel Abfall.
Dabei kann die Kaffeefrucht an sich schon einiges mehr: Im Jemen wird aus der Kirsche ein traditionelles Getränk, eine Art Chai-Tee aus Kaffeekirschen – der Quishar – hergestellt. In Bolivien und Panama kennt man das Kaffeekirschen-Getränk als Cascara, ein wärmender Tee. In Deutschland gibt es seit Kurzem verschiedene Erfrischungsgetränke, die aus den Schalen der Kaffeekirsche hergestellt werden, wie Selosoda oder Cascara Sparkling.
Nicht nur die Pflanze kann weiterverarbeitet werden, auch das bereits benutzte Kaffeepulver, der Kaffeesatz, der nach dem Aufbrühen normalerweise in den Biomüll wandert, lässt sich auf geniale Weise weiterverwenden und -verwerten.
1. Kaffeemehl: Neuer Superfood-Trend oder echte glutenfreie Alternative?
Kaffeemehl wird aus den bislang eher vernachlässigten Schalen der Kaffeekirsche gewonnen, die die Kaffeebohne umhüllt. Für die Herstellung werden die Schalen getrocknet und anschließend sehr fein zermahlen.
CoffeeFlour – das bisher einzige kommerzialisierte Produkt – wird in den USA inzwischen als das neue Superfood gehandelt. Es enthält eine hohe Menge an Antioxidantien, welche die Zuckeraufnahme des Körpers verlangsamen sollen. CoffeeFlour soll dem aus Seattle stammenden Unternehmen zufolge außerdem reich an Ballaststoffen und Kalium sowie Eisen und Eiweiß sein.
Verwendung findet das glutenfreie Mehl vor allem in Süßspeisen wie Kuchen und Keksen, aber auch in Schokolade und Smoothies. Kaffeemehl hat eine ähnliche Konsistenz wie Kakao und schmeckt nicht etwa nach Kaffee, sondern leicht malzig mit fruchtiger Zitrusnote. Je nach Kaffeepflanze variiert der Koffeingehalt, ist aber geringer als der von Kaffeebohnen.
Auch den Kaffeebauern kommt die Verwendung des bisherigen Abfallprodukts zugute. Sie können es neben den Kaffeebohnen nun zusätzlich verkaufen. Laut CoffeeFlour erhalten die Bauern mindestens 3 Dollar-Cents pro amerikanischem Pfund (etwa 453 Gramm) für die entsorgten Kaffeekirschen. Für viele Kaffeebauern stellt die Aufbereitung der Schalen inzwischen ein zusätzliches Einkommen dar. Glaubt man den Aussagen von Gründer Dan Belliveau, so schützt die Weiterverarbeitung der Kaffeekirschen-Reste auch die Umwelt, da weniger toxischer Biomüll anfällt.
Bisher ist CoffeeFlour nur in den USA erhältlich, kann aber über verschiedene Online-Shops bestellt und nach Deutschland verschickt werden, zum Beispiel über nuts.com.
Aus getrockneten Kaffeekirschen kann man Kaffeemehl auch ganz einfach selbst herstellen. Dazu einfach trockene Kaffeekirschen sehr fein zermahlen. Diese bekommt man in der Regel in Kaffee-Fachgeschäften als Kaffeekirschentee – auch Cascara genannt. Sollten die Kaffeekirschen nicht trocken genug sein, einfach noch einmal (im Backofen) nachtrocknen lassen.
2. Kaffeeform: Heute noch Kaffeesatz, morgen schon Kaffeetasse
Nein, das ist kein Werbeslogan, beschreibt aber – stark vereinfacht – die Herstellung der Kaffeetassen und Untertassen von Kaffeeform. Das Berliner Startup um Gründer Julian Lechner produziert Kaffeegeschirr aus benutztem Kaffeesatz, den es täglich von Berliner Coffee Shops zur Verfügung gestellt bekommt.
Die Idee, aus Kaffeesatz ein stabiles Material herzustellen, kam Gründer Julian als er sich die Frage stellte, was mit dem Kaffeesatz passiert, der täglich bei der Kaffeezubereitung anfällt. Während seines Industriedesign-Studiums in Bozen experimentierte er deshalb mit benutztem Kaffeesatz, den er von örtlichen Café-Bars bekam. Nach drei Jahren war die Kaffeeform-Formel gefunden: eine Mischung aus Pflanzenfasern, Holzspänen, Biopolymeren und natürlich Kaffeesatz. Dieser verleiht den Tassen und Tellern einen leichten Kaffee-Geruch. Seit diesem Jahr bietet das Berliner Startup neben einer Espressotasse und Untertasse, auch eine etwas größere Cappuccino-Tasse an.
Aufgrund der bei der Produktion verwendeten nachwachsenden natürlichen Rohstoffe, haben die Tassen und Teller eine leicht marmorierte Oberfläche, sind laut den Aussagen von Kaffeeform aber für den Geschirrspüler geeignet und außerdem vollständig recycelbar. Kaffeeform will mit seinen Cappuccino- und Espressotassen eine nachhaltige und umweltfreundliche Alternative für auf Erdöl basierte Rohstoffe bieten.
Erhältlich ist Kaffeeform beispielsweise** bei Goodbuy oder Avocadostore. Wer die Tassen und Untertassen live in Aktion „verkosten“ möchte, kann sie in der Oslo Kaffeebar in Berlin Mitte testen und dort auch kaufen.
3. GroCycle – Pilzzucht auf Kaffeesatz für zu Hause
Auch das Social Startup GroCycle aus Devon in England verwertet benutzten Kaffeesatz aus umliegenden Coffee Shops. Für das Projekt Fungi Futures CIC wird der Kaffeesatz aufbereitet, um darauf Austernpilze zu züchten. Den beiden Gründern Eric und Adam war bewusst, wie viele Nährstoffe und wertvolle Antioxidantien nach wie vor in benutztem Kaffeesatz stecken – zu schade zum Wegwerfen, dachten sich die beiden und starteten 2011 mit der Pilzzucht.
Und so funktioniert’s: Der benutzte Kaffeesatz wird mit Austernpilzsporen versetzt, aus welchen die Pilze wachsen. Die aufgewendete Energie der Pilzkulturen soll GroCyle zufolge geringer sein als bei herkömmlichen Kulturen, da Kaffeesatz optimale Wachstumsbedingungen für Pilze bietet. Die Pilzzucht auf Kaffeesatz ist besonders nachhaltig: Durch die Weiterverwendung von Kaffeesatz, der eigentlich im Bio-Müll landet, werden natürliche Ressourcen geschont und zudem lange Transportwege vermieden – die Pilze kann nämlich jeder bei sich zu Hause züchten.
Wer sich die proteinreichen Pilze nach Hause holen will, kann sich ein sogenanntes „Grow Kit“ im Online Shop von GroCycle bestellen. Mit nur wenigen Schritten sollen darauf innerhalb von 14 Tagen die ersten Austernpilze wachsen. Etwa zwei Wachstums-Zyklen hält ein solches “Grow Kit“ laut Hersteller durch.
Beim Berliner Pilzzüchter Chido’s Mushrooms kann man ebenfalls solche Pilzzucht-Sets kaufen. Chido’s garantiert mehrere Erntewellen. Das Unternehmen stellt auf seiner Internetseite zusätzlich Open Source Anleitungen für die Pilzzucht auf Kaffeesatz zur Verfügung.
4. Bio-bean: Biobrennstoffe „powered by coffee“
Dass man mit Kaffeesatz auch heizen kann, zeigt das Projekt Bio-bean. Das Startup aus England hat Kaffeesatz-Recycling industrialisiert, um daraus moderne Biokraftstoffe und Biochemikalien herzustellen.
Das Konzept entstand 2013 während des Architekturstudiums von Gründer Arthur Kay. Er hat es geschafft, aus Kaffeeabfällen nachhaltigen Biobrennstoff in Form von Heiz-Pellets herzustellen. Sein übergeordnetes Ziel ist es, konventionelle Brennstoffe und Chemikalien durch nachhaltige Produkte und Lösungen zu ersetzen.
Der Herstellungsprozess der Pellets ist recht einfach: Der Kaffeesatz wird getrocknet, anschließend werden die darin befindlichen Kaffeeöle herausgefiltert, um zu Heizpellets gepresst zu werden.
Das neueste Projekt, das Kay’s Unternehmen mittels Crowdfunding erst kürzlich erfolgreich finanzierte, sind Biomassebriketts (Coffee Logs), die zur Beheizung von beispielsweise Kaminöfen genutzt werden können. Aktuell arbeitet das 2014 gegründete Unternehmen an der Herstellung von Biodiesel, das auf benutztem Kaffeesatz basieren soll.
In London werden mit den Heizpellets bereits ganze Gebäude beheizt, so Bio-bean. Das Startup will künftig den Kaffeesatz von lokalen Bürogebäuden und Coffee-Shops einsammeln und gegen eine geringe Gebühr zu Heizpellets und Briketts weiterverarbeiten. Die Pellets werden dann zum Beheizen der Gebäude wieder zur Verfügung gestellt. Das soll kostengünstiger und umweltfreundlicher sein als herkömmliches Heizmaterial wie Holz oder fossile Brennstoffe: Mit jeder Tonne werden laut Bio-bean bis zu 6,8 Tonnen CO2-Emissionen eingespart.
Noch sind die Pellets und Briketts nicht für den Endkonsumenten erhältlich. Kay arbeite aber bereits an einem verkäuflichen Produkt, das dann vielleicht bald schon seinen Weg in unsere Kaminöfen findet.
5. Pflastersteine aus Kaffeesatz: die Straßen von morgen?
An der Swinburne University of Technology in Melbourne erforschen Ingenieure die Herstellung von Pflastersteinen aus Kaffeesatz. Damit soll zukünftig nicht nur die Menge an anfallendem Müll reduziert werden, sondern auch die Menge der herkömmliche Materialien im Straßenbau.
Melbourne gilt als die australische Kaffeestadt schlechthin, so verwundert es nicht, dass gerade hier die Idee für das Baumaterial entstand. Professor Arul Arulrajah leitet den geotechnischen Bereich im Centre for Sustainable Infrastructure. In Zusammenarbeit mit Universitäten in China und Thailand untersucht Arulrajah die Nutzung von recycelten Materialien für den Straßenbau.
Für die Herstellung der Baumaterialien wird der Kaffeesatz bei 50 Grad Celsius fünf Tage lang getrocknet und anschließend gesiebt, um Klumpen herauszufiltern. Das gewonnene Material ist die Basis, das mit Schlacke – einem Abfallprodukt der Hochöfen bei der Stahlproduktion – kombiniert wird.
Ein Bioabfallprodukt wie Kaffeesatz mit Industrieabfällen zu verbinden klingt zunächst kontraproduktiv. Die Forscher haben es jedoch geschafft, einen nachhaltigen Baugrundstoff herzustellen, der ein Verhältnis von 70 zu 30 (Kaffeesatz zu Schlacke) aufweist. Diesem Grundstoff wird ein flüssiger alkalischer Aktivator hinzugefügt, der die einzelnen Komponenten miteinander verbindet. Daraus können dann zylindrische Blöcke geformt werden, die als Fundament beim Straßenbau dienen und herkömmlichem Zement ähnlich sein sollen.
Mit 150 Kilo Kaffeesatz, der wöchentlich in den Cafés von Melbourne anfällt, können Arulrajah zufolge, bis zu fünf Kilometer Straßenbelag pro Jahr produziert werden. Bevor die nachhaltigen Steine in die Großproduktion gehen können, benötigt es aber noch weitere Forschung, beispielsweise um sicherzustellen, dass die Energiemenge, die bei der Herstellung der Steine entsteht, nicht den Recycling-Gedanken entgegenwirkt.
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