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36 Jahre nach Tschernobyl – hat die Atomkraft noch Zukunft?

Hat Atomkraft noch Zukunft?
Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – Nicolas HIPPERT

Am 26. April ist der 36. Jahrestag des Tschernobyl-GAUs – dieses Jahr eine besonders bittere Erinnerung an die Risiken der Kernkraft. Gleichzeitig heißt es derzeit immer wieder, die Menschheit brauche die Atomkraft – um von Energieimporten unabhängiger zu werden, um das Klima zu schützen. Ist die Weiternutzung wirklich eine Option? Unser Gastautor Prof. Dr. Rainer Grießhammer hat dazu eine klare und gut begründete Meinung.

Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl jährt sich dieses Jahr zum 36. Mal. Die noch immer strahlende Reaktor-Ruine ist ein Mahnmal für die Gefahren der Kernkraft – nur 25 Jahre später gefolgt vom Fukushima-Desaster. Die Lage in Tschernobyl ist aktuell besonders brisant, die Gefahren der radioaktiven Ruine im Kriegsgebiet so prekär wie gefährlich.

Auch der Super-GAU in Fukushima war eine schreckliche Katastrophe, die bis heute andauert. Das hochradioaktive Gemisch aus ineinander geschmolzenem Kernbrennstoff, Stahl und Beton ist noch immer nicht geborgen. Auf dem Gelände lagert in Fässern noch eine Milliarde Liter hoch radioaktiv belastetes Wasser. Mehr als 120.000 Menschen haben ihr Zuhause verloren. Der Super-GAU im Hochtechnologieland Japan machte auch deutlich, dass solche Unfälle überall auf der Welt passieren können – auch in Deutschland.

Ende 2022 soll das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet werden, aber Deutschland ist an den Grenzen noch von alten, besonders störanfälligen AKWs umgeben. Doch das hohe Störfallrisiko durch einen Unfall bei der Stromproduktion ist keineswegs das einzige Großproblem. Hinzu kommen die Verstrahlung von Menschen und die Emissionen bei der Förderung von Uranerz, die nach wie vor ungeklärte Endlagerung von hochradioaktivem Müll, die Gefahr der potenziellen Nutzung zum Bau von Atombomben (Proliferation), die Gefahr von terroristischen Angriffen und militärischen Angriffen in Krisenregionen (Beispiel Ukraine, Naher Osten, Korea).

Das Klimaschutz-Argument

Trotz alledem wird die weitere Nutzung der Atomkraft immer wieder ins Spiel gebracht – in den vergangenen Jahren vor allem mit dem Klima-Argument, aktuell insbesondere mit einen möglichen Stopp russischer Energielieferungen verbunden. Tatsächlich sind die CO2-Emissionen bei der Nutzung von Atomstrom mit circa 30 Gramm CO2 pro Kilowattstunde gering, ähnlich gering wie bei der Photovoltaik oder Windkraft. Die CO2-Emissionen kommen hier aus der Rohstoffgewinnung und Verarbeitung von Uranerzen, dem aufwändigen Bau und der Entsorgung der AKWs.

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Erneuerbare Energien sind emissionsarm – Atomkraft auch. Riskant ist sie trotzdem. (Foto CC0 Pixabay Oimheidi)

Bekräftigt wird die Forderung nach der Weiternutzung der Kernkraft oft durch den Hinweis auf neue, „ganz sichere“, inhärent sichere Atomkraftwerke der (sogenannten) vierten und fünften Generation. Manche dieser vermeintlichen Zukunftskonzepte sind als Pilotanlagen allerdings schon vor Jahrzehnten gescheitert (Kalkar, HTR), die anderen stehen nur auf dem Papier und würden, wenn sie sich tatsächlich als Wunderwerke herausstellen würden, erst in 25 bis 30 Jahren in Serienproduktion gehen können – definitiv viel zu spät, um eine massive Klimaerhitzung zu verhindern (oder Deutschland von Energieimporten unabhängiger zu machen.

Länder wie die USA und Frankreich haben stattdessen beschlossen, die Laufzeiten der bestehenden alten und risikoreicheren Atomkraftwerke von 30 bis 40 Jahren auf 50 Jahre Laufzeit zu erhöhen. Der nächste Super-GAU ist damit vorprogrammiert.

Atomkraft ist langsam und teuer

Neben dem ersten Gegenargument, den hohen Störfallrisiken und der nach wie vor nicht gesicherten Endlagerung, gibt es drei weitere und derzeit wohl entscheidendere Gründe, warum die globale Klimaerhitzung nicht durch Atomstrom verhindert werden kann.

Denn zweitens würde ein globaler Ausbau der Atomkraft selbst auf Basis der derzeitigen Technologien zwei bis drei Jahrzehnte dauern – viel zu lang um die Klimaerhitzung zu verhindern. Weltweit sind derzeit etwa 440 Atomkraftwerke aktiv und produzieren rund 10 Prozent des weltweiten Strombedarfs. Für eine 100-prozentige Deckung der Strombedarfs bräuchte man aber rund 4.000 Atomkraftwerke, für 25% rund 1.000 Atomkraftwerke. Und wenn – wie geplant – die Mobilität auf Elektromobilität, die Gebäudebeheizung auf elektrische Wärmepumpen und die chemische Produktion auf strom- und wasserstoffbasierte Grundstoffe umgestellt werden würde, noch weit mehr Atomkraftwerke.

Kernkraftwerk Tihange
Kernkraftwerk Tihange in Belgien – soll so unsere Zukunft aussehen? (Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – Ben Kerckx)

Drittens würde sich schnell herausstellen, dass man für eine große Zahl von neuen Atomkraftwerken gar nicht ausreichend sichere Standorte finden würde. Ein Blick auf die Weltkarte zeigt eine Vielzahl von politisch instabilen Ländern, von Krisenregionen und von Erdbebenregionen – das wirft die Frage auf, wo Tausende neuer AKWs gebaut werden sollten. Auf jeden Fall bräuchte man für AKWs sehr hohe technische Standards, eine sehr gute Ausbildung, ein sehr gutes Management und ein sehr sicheres staatliches Umfeld. Wo sollen dann die AKWs entstehen? In Afghanistan oder Pakistan? Im Nahen Osten? Im Sudan? In der umkämpften Ukraine? Im bedrohten Südkorea? In den asiatischen Erdbebenregionen? Oder je ein paar Hundert in Deutschland, Schweiz oder Schweden?

Viertens ist Atomenergie schlicht zu teuer und wird immer teurer, wohingegen die erneuerbaren Energien Photovoltaik und Windenergie immer billiger werden. Die „modernen“ Reaktor-Neubauten des Typs EPR („European Pressurized Reactor“) des französischen Herstellers Framatome in Flamanville in Frankreich und Olkiluoto in Finnland werden mit elf beziehungsweise zehn Milliarden Euro voraussichtlich dreimal so teuer wie geplant. Beide Anlagen sind auch noch mit erheblichen Qualitäts- und Sicherheitsmängeln verbunden. Die Fertigstellung hat sich bei beiden Anlagen um viele Jahre verzögert: Olkiluoto sollte im Jahr 2009 in Betrieb gehen, Flamanville im Jahr 2012.

Atomkraft ist nicht sicher
Tschernobyl und Fukushima sollten uns Mahnmale sein für die Risiken der Kernkraft. (Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – Vladyslav Cherkasenko)

Großbritannien hat für den neuen Atomreaktor in Hinkley Point einen Abnahmepreis von 11,2 Cent pro Kilowattstunde plus Inflationszuschlag für 35 (!) Jahre garantiert. Von einer solchen Förderung können erneuerbare Anlagen nur träumen. Und schon aktuell – also mit alten AKWs – rechnet sich Atomenergie nicht mehr. So kostet die Produktion einer Megawattstunde (MWh) Atomstrom aktuell rund 57 Euro, einer MWh Onshore-Windstrom etwa 42 Euro, und einer MWh Solarstrom 47 Euro (Stand März 2021). Mit den richtig eingepreisten Kosten der Endlagerung und realen Versicherungsprämien wären die Kosten bei Atomstrom natürlich noch weit höher.

Klimaschutz durch erneuerbare Energien

Auf die Scheinfrage „Klimaerhitzung oder Atomenergie?“ kann die Antwort daher nur lauten: „Klimaschutz und erneuerbare Energien! Das gilt auch und erst recht für Deutschland. Im letzten Jahr lag der Anteil der erneuerbaren Energie an der Stromproduktion bei rund 42 Prozent, der von Atomenergie bei 12,6 Prozent. Allein der Anteil der Windkraft war mit annähernd 21,5 Prozent doppelt so hoch wie jener der Atomenergie. Und wenn Windkraftgegner:innen nicht seit zwei Jahrzehnten massiv und generalstabsmäßig gegen die risikoarme Windkraft vorgegangen wären, wäre der Atomstromanteil schon heute komplett durch Windenergie ersetzt.

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