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Niksen: Glücklich sein im Nichtstun?

Niksen
Foto: CC0 / Pixabay / Pexels

Beim Niksen tust du rein gar nichts – jedenfalls nichts, was einem Zweck dient. Was es mit dieser Art des entspannten Nichtstuns auf sich hat und welche Vor- und Nachteile es dabei gibt, erfährst du hier.

Einfach mal nichts tun, und zwar wirklich nichts: Keine Serie schauen, keine Selbstoptimierungs-Podcasts hören oder -bücher lesen, kein endloses Scrollen durch soziale Medien, sondern nur dasitzen und den Gedanken nachhängen. Viele kommen in eine solche Situation nur gezwungenermaßen, zum Beispiel, wenn sie mit leerem Handyakku in einem Wartezimmer sitzen. Bewusst nichts zu machen ist manchmal unvorstellbar. Schließlich kommt man so in unserer schnellen, leistungsorientierten Welt nicht sehr weit. Sich zurückzulehnen geht daher für viele Menschen eher mit Schuldgefühlen als mit Entspannung einher.

Andere vermeiden das Nichtstun sogar mit aller Macht, weil sie Langeweile fürchten. In einer Studie aus dem Jahr 2014 ließen Forschende ihre Proband:innen sechs bis 15 Minuten lang allein in einem Raum zurück. Die Proband:innen konnten entscheiden, ob sie in dieser Zeit lieber „nur nachdenken“, oder sich einer Aktivität widmen wollten. Sie stellten fest: Die Teilnehmer:innen wandten sich fast jeder verfügbaren Ablenkung zu, einschließlich der Verabreichung schmerzhafter Elektroschocks an sich selbst, nur um nicht mit ihren Gedanken allein zu sein.

Dabei kann „Zeitverschwendung“ sehr sinnvoll sein. Das niederländische Konzept „Niksen“ möchte das zeigen. Niksen ist das niederländische Wort für „herumsitzen“ oder „herumhocken“ und beschreibt eine Lebensphilosophie, in deren Zentrum eins steht: das Nichtstun.

Was ist Niksen?

Der Blick hinaus aus dem Fenster kann beim Niksen helfen.
Der Blick hinaus aus dem Fenster kann beim Niksen helfen.
(Foto: CC0 / Pixabay / mhouge)

Auf einem Stuhl sitzen und aus dem Fenster schauen, dabei die Umgebung betrachten und vielleicht Musik hören – so kann Niksen aussehen, wie Carolien Hamming, Leiterin eines Stressbewältigungszentrums in den Niederlanden, bereits 2019 im Time Magazine beschrieb. Wichtig dabei sei, dass all dies ohne Zweck geschieht, also ohne dass du etwas Bestimmtes (wie mehr Produktivität im Anschluss) erreichen möchtest. Du schaust nicht aus dem Fenster, um zu prüfen, ob du im Garten mal wieder jäten musst. Und die Musik hörst du nicht, um deine Konzentration zu steigern oder dich abzulenken.

All dies sollen nur die Rahmenbedingungen sein, die dir beim Niksen erlauben, einfach zu sein. Sogar über deine Gedanken gibst du dabei die Kontrolle ab. Anders als beim Praktizieren von Achtsamkeit, bei der es das Ziel ist, präsenter im Moment zu werden, nimmst du also deine Gedanken während des Niksens nicht unter die Lupe. Du stellst dir auch nicht vor, deine Gedanken loszulassen wie in die Luft steigende Ballons, was häufig bei der Meditation gefordert ist. Du darfst dich stattdessen einfach deinen Tagträumen hingeben.

Dem Time Magazine zufolge galt Niksen in den Niederlanden ursprünglich als Zeichen von Faulheit. Doch angesichts einer wandelnden Wahrnehmung von Stress nicht als Statussymbol eines auf Produktivität ausgerichteten Lebens, sondern als Gesundheitsrisiko, das unter anderen zu Burnout führen kann, begann man Niksen umzudenken – nämlich als Lebensgefühl, das sich dem gesellschaftlichen Druck, immer Leistung erbringen zu müssen, widersetzt und erlauben soll, auch einmal schlicht gar nichts zu tun. 

So positiv kann Nichtstun sein

Niksen reiht sich unter weitere Lebensstile ein, die ebenfalls versuchen, im hektischen Alltag zu entschleunigen und Balance zu finden: Hygge aus Dänemark lehrt uns, wie wir es uns gemütlich machen können, und mit dem schwedischen Lagom eignen wir uns eine gelassene „Alles in Maßen“-Mentalität an. Und das gute alte „dolce far niente“ beschreibt schon seit Langem die italienische Kunst des süßen Müßiggangs. 

Während die positiven Effekte von Hygge (Behaglichkeit, Zeit mit Freund:innen) und Lagom (Gelassenheit) leicht erkennbar sind, scheint es zunächst zweifelhaft, ob das niksige Starren aus dem Fenster wirklich etwas bewirken kann. Tatsächlich können Forschende die Vorteile von Entschleunigung, Langeweile und Tagträumen aber bezeugen: 

  • Eve Ekman von der University of California erklärt gegenüber dem Time Magazine, dass Entschleunigung Angst verringern, körperliche Alterungsprozesse verlangsamen und die körpereigenen Abwehrkräfte stärken könne. 
  • Ruut Veenhoven von der Erasmus University Rotterdam berichtet ebenfalls im Time Magazine, dass Niksen die Kreativität fördern könne. Denn auch wenn wir scheinbar nichts tun, verarbeitet unser Gehirn weiterhin Informationen. Deswegen passiert es nicht selten, dass uns auf einem Spaziergang neue Ideen oder Lösungen für Probleme in den Sinn kommen. 
  • Die Forschung unterstützt diese These. So konnte eine Studie einen Zusammenhang zwischen schweifenden Gedanken und kreativer Problemlösung feststellen. Eine andere Studie aus dem Jahr 2013 kam zu dem Schluss, dass das Abschweifen von Gedanken dazu inspirieren kann, Ziele zu erreichen und Klarheit darüber zu erlangen, welche Maßnahmen dazu notwendig sind. 
  • Darüber hinaus ist das Niksen hilfreich, um eine gute Balance zwischen Entspannung und Anspannung in deinem Alltag zu finden. Laut Netdoktor ist spontanes Nichtstun eine empfehlenswerte Bewältigungsstrategie bei akutem Stress.

Niksen: Darauf solltest du achten

Niksen kann die Tendenz zum Grübeln verstärken.
Niksen kann die Tendenz zum Grübeln verstärken.
(Foto: CC0 / Pixabay / RyanMcGuire)

Niksen würde also vielen von uns hin und wieder sehr guttun. Doch gilt es zu beachten, dass das absichtsvolle Nichtstun unter Umständen auch negative Folgen haben kann. Das trifft insbesondere auf Personen zu, die zur Rumination neigen – also zum Grübeln. Beim Nichtstun geben wir die Kontrolle über unsere Gedanken bewusst ab. Sie können dabei aber auch in eine unangenehme Richtung gehen. Um Sorgen und Ängste beginnt sich dann ein Gedankenkarussell zu drehen, das auch körperliche Beschwerden nach sich ziehen kann: So verweist die bereits genannte Studie aus dem Jahr 2013 als negative Konsequenz von abschweifenden Gedanken auch darauf, dass einige Proband:innen im Anschluss an eine Tagtraumübung 24 Stunden lang eine erhöhte Herzfrequenz und Probleme beim Einschlafen hatten. 

Zudem vermarkten Kurse und Ratgeber das Nichtstun mittlerweile als ein Lifestyle-Thema, erklärt Yvonne Robel von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Dadurch wird vermittelt, dass Menschen für ihr Wohlergehen selbst verantwortlich sind und sich Auszeiten nehmen sollten, um zu mehr Gesundheit oder Kreativität zu gelangen. Niksen läuft damit Gefahr, ein weiterer Punkt auf einer To-Do-Liste zu werden, die wir der Selbstoptimierung zuliebe abhaken sollten. Mit solch einem inneren Leistungsdruck hat entspanntes Niksen natürlich nichts zu tun. Beim Niksen ist es erlaubt, „passiv faul“ zu sein – einfach nichts zu tun um des Nichtstuns willen. 

Ein weiterer Punkt, den es zu bedenken gilt: Für mehr Lebenszufriedenheit solltest du Niksen idealerweise in Abwechslung mit produktiven Phasen praktizieren. Eine Studie aus dem Jahr 2016 kam zu dem Ergebnis, dass Menschen, die sich an produktiveren Freizeitaktivitäten (wie Spiele spielen, sich unterhalten, gärtnern oder lesen) beteiligen, in der Regel glücklicher sind, da sie über solidere soziale Beziehungen und über ein stärkeres Gefühl der Selbstwirksamkeit verfügen.

So kannst du mit dem Niksen starten

Nichtstun ist schwieriger als gedacht. Schließlich ist auch die Freizeit oft voll mit Terminen und sind wir daran gewöhnt, uns rund um die Uhr mit Unterhaltung ablenken zu können. Diese Tipps helfen dir, trotzdem Niksen in deinen Alltag zu integrieren:

  1. Mach dir keinen Druck: Verstehe Niksen nicht als weiteren Trend zur Selbstoptimierung, sondern als etwas, das in und für sich einfach nur dem Genuss und dem Sein dient. So kannst du Leistungsdruck vermeiden und verzweifelst auch nicht, wenn es beim ersten Mal nicht direkt mit dem Nichtstun klappt.
  2. Taste dich an das Niksen heran: Du musst nicht gleich 15 Minuten oder gar eine halbe Stunde niksen. Fange mit zwei Minuten Nichtstun am Tag an und steigere dich danach. Dieses Tool kann dir dabei helfen: Do Nothing for 2 Minutes.
  3. Finde heraus, was Niksen für dich bedeutet: Ist es das Sitzen auf dem Stuhl und Herausschauen aus dem Fenster? Oder das ziellose Herumwandern in der Natur? Vielleicht entspannt es dich auch, einfach auf einem Blatt Papier zu kritzeln. Wichtig ist: All diese Formen von Niksen sollten allein der Absicht dienen, die Gedanken wandern zu lassen. 
  4. Akzeptiere das Niksen anderer Personen: Nur wenn wir von anderen Personen nicht ständig erwarten, dass sie produktiv sind, stellen wir diese Erwartung auch nicht immer an uns selbst.

Weiterlesen auf Utopia.de:

English version available: Niksen: Why You Need the Dutch Art of Doing Nothing in Your Life

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