Recycling-Mode ist plötzlich überall: Adidas macht Sneaker aus Plastikmüll, H&M seidige Tops aus alten PET-Flaschen, Levi’s Jeans aus alten Baumwoll-T-Shirts. Doch kann die Mode-Industrie wirklich kreislauffähig werden – und wir dann mit gutem Gewissen weitershoppen? Wir zeigen Marken, die es richtig machen.
Der nordisch-schlichte Rucksack der jungen Firma Melawear heißt „Ansvar“, schwedisch für „Verantwortung“, und genau die übernimmt er, konsequent. Denn alle Bestandteile des Rucksacks aus fester Baumwolle sind ökologisch, einfach zu trennen – und kreislauffähig. „Die Baumwolle können wir recyceln, das Ziegenleder kompostieren, die Schnallen direkt für den nächsten Rucksack wiederverwenden“, sagt Henning Siedentopp, Gründer von Melawear. Damit der Rucksack am Ende auch zu Melawear zurückkommt, will Siedentopp seinen Kunden fünf bis zehn Euro für jeden ausgedienten Rucksack zahlen. „Unser Ziel ist eine Welt ohne Abfall“, sagt er.
Nach dem gleichen Prinzip hat Melawear jetzt auch Sneakers auf den Markt gebracht: Die Mela Sneakers sind die weltweit ersten Schuhe, die nicht nur Fairtrade- und GOTS-zertifiziert, sondern auch nach den Cradle-to-Cradle-Prinzipien produziert werden. Biobaumwoll-Canvas als Obermaterial und biologischer Naturkautschuk als Sohle können kompostiert werden. Und dank der 360 Grad-Naht und der wasserbasierten Kleber können sie in Zukunft auch leicht wieder voneinander getrennt werden.
Während jedes Melawear-Produkt die Kreislauffähigkeit bereits beim Design integriert, versuchen viele große Fast-Fashion-Marken sie derzeit nachträglich einzubauen. Die Vorteile: Es könnte langfristig die Rohstoffversorgung sichern – denn es sind bereits ausreichend Textilien im Umlauf, um den Bedarf an Fasern zu decken. Außerdem hofft man auf einen stabilen Rohstoffpreis für Baumwolle oder Polyester, weil Altkleider nicht vom Ölpreis abhängen. Der gigantische Verbrauch an neuen Fasern, Wasser, Chemie und Energie soll durch Recycling-Mode auf Null gefahren werden. Und nebenbei soll das Recycling das Fast Fashion-Geschäftsmodell retten.
Den Rucksack Melawear Ansvar und die Mela Sneakers bekommst** du in nachhaltigen Shops wie Avocadostore, Greenality, Grundstoff, Memolife, aber auch bei Amazon.
Ist Recycling-Fast-Fashion wirklich nachhaltig?
Doch Kleidung im ewigen Kreislauf – funktioniert das? Ein ökologisches Nullsummenspiel, wie in der Natur? Leider nein. Denn auch Recycling kostet Energie und Chemie.
Von den 20 Prozent unserer Kleider, die recycelt werden (der Rest landet noch immer auf dem Müll) wird der Großteil „down-gecycelt“: Die Teile erhalten ein zweites Leben als Secondhand-Klamotten, Putzlappen oder Dämmstoff, danach ist es meist vorbei. Egal ob Downcycling oder echtes Recycling: Wer Kleidung einsammelt, sortiert, chemisch auftrennt oder mechanisch schreddert, neu verspinnt, färbt, webt, näht und zurück in die Regale bringt, verbraucht immer Energie und Ressourcen. Ein sich selbst tragender Kreislauf wie in der Natur ist das jedenfalls nicht.
Zwar gibt es auch hier Ausnahmen: C&A etwa hat als weltweit erster Einzelhändler 2017 ein Cradle-to-Cradle-Gold-zertifiziertes T-Shirt auf den Markt gebracht, weitere Produkte wie Longsleeves sollen laut Website folgen. Als „biologische Nährstoffe“ gelten die Materialien, aus denen dieses T-Shirt besteht. Entsprechend kann es am Ende seines Lebens tatsächlich im eigenen Garten kompostiert werden. Auch Tchibo hat ein „closed loop“ Männer-T-Shirt in die Läden gebracht – mit GOTS-zertifizierter Baumwolle, Tencel- statt Nylongarn und Cradle-to-Cradle-zertifizierter blauer Farbe. Auch dieses ist zu 100 Prozent kompostierbar. Gute Initiativen – doch solche T-Shirts sind bislang Einzelteile auf dem Weg von der schnelllebigen Mode hin zu einer zirkulären Zukunft.
Sollten wir unsere Kleider also gleich auf den Müll werfen? Die Antwort lautet wieder Nein. Denn Recycling spart gegenüber neuen Textilien Wasser, Chemie oder Energie. Aber es taugt nicht als Freifahrtschein für’s ungehemmte Weitershoppen, wie uns H&M & Co. weismachen wollen. Das Problem liegt vielmehr in der Masse: Um nachhaltig zu konsumieren, müssen wir vor allem weniger konsumieren. Haltbare, zeitlose Sachen kaufen. Diese lange tragen, reparieren. Und erst dann recyceln.
Melawear, Patagonia & Co.: Recycling-Mode ist hip
Reduce – reuse – recycle: Diese goldene Regel haben Marken wie Melawear mit ihren zeitlos-robusten T-Shirts oder Rucksäcken verinnerlicht. Gründer Siedentopp sagt: „Kauft meinen Rucksack nur, wenn ihr ihn wirklich braucht!“.
Ähnlich denkt auch die Outdoor-Firma Patagonia, die am Black Friday 2011 ihre Kunden aufforderte: „Don’t buy this jacket“ (Deutsch: Kaufe diese Jacke nicht). Stattdessen sollten die Kunden weniger Teile kaufen und länger tragen, reparieren statt wegschmeißen, ausgemusterte Teile weitergeben. Erst danach käme das Recycling.
Entsprechend sind alle Patagonia-Teile reparaturfähig – und detaillierte Pflege- und Reparaturanleitungen liefert die Firma gleich mit. Jedes Jahr schickt die Firma wieder ein eigenes „Worn Wear Mobil“ auf Tour: mobile Reparaturstationen, an denen man fehlende Knöpfe, kaputte Reißverschlüsse und aufgerissene Nähte reparieren lassen kann. Im vergangenen Winter war das Reparatur-Fahrzeug in europäischen Ski- und Snowboardgebieten unterwegs, für den Sommer ist eine Tour in Kletter- und Surforte geplant. Die genauen Tourdaten werden hier veröffentlicht.
Zudem gibt Patagonia Tipps, wie und wo man seine Jacke gebraucht weiterverkaufen oder eintauschen kann. Auch das gehört zur Recycling-Mode. Letztes Jahr setzte das Unternehmen die „Don’t buy this jacket“-Kampagne quasi fort: Seit Ende März hängen Plakate mit dem Slogan „This jacket is garbage“ (Deutsch: Diese Jacke ist Müll) in allen europäischen Läden – etwa die bluesign-zertifzierte Women’s Torrentshell-Jacke, deren Obermaterial aus 100 Prozent recyceltem Nylon besteht.
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Recycling-Mode: „Wir wollen aus einer Pyua-Jacke eine Pyua-Jacke machen“
Ähnlich vorbildlich ist die Outdoor-Marke Pyua aus Kiel. Sie stellt hochfunktionale, langlebige, giftfreie Wintersportkleidung her. Und hat noch nie etwas anderes als Recycling-Polyester verwendet. Noch wird dies überwiegend aus alten PET-Flaschen gewonnen.
Das Ziel: „Wir wollen aus einer Pyua-Jacke eine Pyua-Jacke machen“, sagt Geschäftsführer Timo Perschke. Dafür entwirft Pyua die Kollektionen so, dass sie am Ende auch recycelbar sind. Knöpfe und Gummizüge können einfach abgetrennt werden, der Rest ist reines Polyester – ohne „verklebten Sondermüll wie in der Goretex-Membran“, sagt Perschke.
Der Textilrecycler Wenkhaus fischt aus seinen 15 000 Textilcontainern alle Pyua-Teile heraus. Wenn genug gesammelt sind, werden sie kleingehackt, entfärbt, zu reinen Polyester-Chips geschmolzen und schließlich zu neuem Polyester-Garn gezogen. Dieser Prozess ist bei Kunstfasern endlos wiederholbar. Nebenbei senkt Pyua den Energieverbrauch um vier Fünftel und den CO2-Ausstoß um drei Viertel gegenüber herkömmlicher Polyestergewinnung. Und verbraucht kein neues Rohöl.
Die Internetpräsenz von Pyua ist mit Stand Februar 2024 nicht mehr erreichbar. Kleidungsstücke der Marke sind offenbar nur noch vereinzelt in manchen Online-Shops verfügbar.
Auch die schwedische Modemarke Filippa K. mit ihren lässigen Business-Outfits hat das „Weniger“ in ihr Geschäftsmodell integriert. Neben ihren Läden mit neuen Kollektionen – unter anderem aus Recycling-Wolle – betreibt Filippa K. in Stockholm Leihboutiquen. Oder hängt gebrauchte Filippa K.-Teile neben die Neuware – ebenfalls leider nur in Stockholm. „Fast Fashion ist nicht unbedingt schlecht – wenn die schnell wechselnden Kleidungsstücke gebraucht, geliehen oder gemietet sind“, sagt Elin Larsson, Nachhaltigkeits-Direktorin. „Der Kleiderschrank der Zukunft sollte schnell und langsam, neu und altgedient, gekauft und geliehen sein.“
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Das wäre tatsächlich nachhaltig. Doch in solch einer Modewelt haben H&M, Adidas oder Levi’s mit ihrer schnellen, billigen Massenware kein Auskommen mehr – Recycling hin oder her.
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