Der Discounter Penny gibt in seinem neu eröffneten Nachhaltigkeits-Markt in Berlin bei ausgewählten Produkten neben den normalen Ladenpreisen auch teils deutlich höhere, sogenannte „wahre Verkaufspreise“ an. Wir erklären, was es mit True Costs auf sich hat.
Acht Prozent Preisaufschlag für konventionelle Äpfel, fünf Prozent Mehrkosten für Bio-Tomaten, Bio-Milch würde ganze 69 Prozent teurer, konventionelles Fleisch sogar 173 Prozent. Bei insgesamt acht Produkten – jeweils in konventioneller und in Bio-Qualität – hat Penny in seinem Berliner Vorzeigemarkt „Grüner Weg“ zusätzliche Preisschilder angebracht. Der Discounter ließ von der Uni Augsburg berechnen, um wie viel Prozent die Verkaufspreise erhöht werden müssten, wenn auch die Kosten einkalkuliert würden, die bislang zulasten des Klimas und der Umwelt gehen.
Wahre Verkaufspreise – welche zusätzlichen Kosten stecken in unseren Lebensmitteln?
Die bei Penny ausgezeichneten, wahren Verkaufspreise berücksichtigen landwirtschaftliche Emissionen, Energieverbrauch und Landnutzungsänderungen. Diese Kosten sind nicht unwesentlich: Laut einem kürzlich erschienenen Dossier von Misereror ist die Landwirtschaft der einzige Sektor, der höhere Kosten durch Umweltschäden verursacht als er Einkünfte erzielt.
Und damit nicht genug: „Umweltkosten spiegeln nur einen Teil der wahren Kosten wieder“, erklärt Gyde Wollesen, True-Cost-Expertin bei der Unternehmensberatung Soil and More. „Bei True Costs geht es nicht nur um sogenanntes Naturkapital wie Klima oder Böden, die durch unser Wirtschaften zu Schaden kommen, sondern auch um den Einsatz von Human- und Sozialkapital“, ergänzt sie.
Damit sind etwa gesundheitliche Schäden durch Pestizide oder das Verschwinden von Traditionen gemeint – zum Beispiel, wenn Arbeitsprozesse geändert werden. Die Food and Land Use Coalition (FOLU) geht davon aus, dass die versteckten Lebensmittelkosten weltweit jährlich etwa 12 Billionen US-Dollar betragen.
True Costs: Bio schneidet bei den wahren Kosten besser ab
Bei allen Bio-Lebensmitteln fielen in der Penny-Studie die Preisaufschläge geringer aus als bei den konventionellen Vergleichsprodukten. Die Wissenschaftler der Uni Augsburg erklären das vor allem mit dem Verzicht auf mineralischen Dünger und den geringeren Einsatz von industriell produziertem Kraftfutter. Biologische Landwirtschaft fördert außerdem Biodiversität, belastet das Grundwasser weniger und wirkt sich positiv auf das Klima aus – wenn sie etwa die Qualität der Böden so verbessert, dass diese CO2 speichern können.
Bisher sind all dies freiwillige Leistungen der Bio-Landwirt*innen, mehr Geld bekommen sie dafür nicht. Dass Bio-Lebensmittel im Supermarkt nach wie vor teurer sind als konventionelle, ist hingegen vor allem auf geringere Erträge, höheren Arbeitsaufwand, Bemühungen für mehr Tierwohl, den Verzicht auf viele Zusatzstoffe und die Kosten für Bio-Zertifizierungen zurückzuführen.
Nicht Bio ist zu teuer, sondern konventionell zu billig
Ganzheitlich betrachtet kann man also schlussfolgern, dass nicht etwa bio zu teuer, sondern konventionell zu billig ist. In einem Interview mit dem Forum CSR erläutert der Geschäftsführer des Bio-Großhändlers Eosta, Volkert Engelsmann: „Eigentlich spielt Bio ein Fußballspiel auf einem schiefen Spielfeld: die konventionelle Konkurrenz auf der nach oben geneigten Seite und Bio unten. Erst, wenn der Verschmutzer für seine Schäden zur Verantwortung gezogen wird […] und der, der etwas Gutes für das Gemeinwohl tut, auch dafür honoriert wird, wäre ein faires Spiel auf dem Markt geschaffen.“
Ein Wunder also, dass Bio unter diesen Voraussetzungen überhaupt so schnell wachsen konnte. Bislang hätten immer diejenigen die besten Chancen im Wettbewerb, denen es gelänge, den größten Teil ihrer Kosten auf die Allgemeinheit und künftige Generationen abzuwälzen, ergänzt Felix Prinz zu Löwenstein, der Vorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) und selbst Bio-Bauer ist.
Laut Penny-Pressesprecher Andreas Krämer zielt die Kampagne in Berlin darauf ab, dass die Verbraucher*innen genau diesen Zusammenhang verstehen. „Sofern die Kunden das Thema annehmen, müsste dies dazu führen, dass sich die Umsätze verschieben zum jeweiligen Bio-Pendant“, so Krämer.
Sollten die Verbraucher*innen künftig für versteckte Kosten aufkommen?
Schon heute zahlen wir Verbraucher*innen einen Teil der versteckten Kosten: etwa mit höheren Wasserpreisen, wenn Grundwasser durch Landwirtschaft belastet wird und deshalb aufbereitet werden muss. Laut der Penny-Studie müssten die betrachteten Bio-Lebensmittel um durchschnittlich 35 Prozent und die konventionellen um 62 Prozent teurer werden. Doch wer soll das bezahlen?
Krämer sieht uns alle in der Verantwortung: „Die Art, wie jeder Einzelne einkauft und wir als Gesellschaft konsumieren, verursacht diese Umweltfolgekosten. Insofern können wir dieses Problem nur gemeinschaftlich lösen. Hierzu müssten dann auch Wege und Mechanismen implementiert werden, wie die Wahre-Kosten-Mehreinnahmen des Handels wieder in die Lieferketten zurückgespielt werden können, um dort zum Beispiel aufzuforsten“.
Ist die Aktion von Penny nun der erste Schritt, Umwelt- und Sozialkosten von Lebensmitteln in Zukunft komplett an die Verbraucher*innen weiterzugeben? Nein, und deshalb zahlen die Kund*innen an der Kasse trotz doppelter Auszeichnung natürlich weiterhin den günstigen Penny-Preis. Die Option, freiwillig mehr zu bezahlen, hat man nicht. Die wahren Verkaufspreise sollen lediglich eine Orientierung für nachhaltigeren Konsum geben.
Wahre Kosten: Welche Rolle spielt der Staat?
Laut True-Cost-Expertin Gyde Wollesen hat auch der Staat Möglichkeiten, die ökologischen und sozialen Folgekosten der Wirtschaft zu beeinflussen: „Gesetze können zum Beispiel dafür sorgen, dass manche Kosten gar nicht erst entstehen oder zumindest deutlich geringer ausfallen“, erklärt sie.
Ein Beispiel hierfür ist die Düngeverordnung, mit der in Deutschland die Grundwasserqualität verbessert werden soll. Das viel diskutierte Lieferkettengesetz würde hingegen vor allem Human- und Sozialkapital schonen. Auch steuerliche Vorteile für Bio-Landwirt*innen oder höhere Steuern für konventionelle Lebensmittel wären möglich.
Mehr staatliches Engagement fordert auch Dr. Gaugler von der Uni Augsburg, der die Studie für Penny durchgeführt hat: „Für viele negative Klima-, Umwelt- und Gesundheitsfolgen, die sich aus der Produktion von Lebensmitteln ergeben, kommen aktuell weder die Landwirtschaft noch die Konsumenten auf. Hier handelt es sich um eine Form von Marktversagen, der mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen begegnet werden müsste.“
Das Thema True Costs ist nicht neu
Penny ist es gelungen, das Thema der versteckten Umweltkosten basierend auf einer soliden, wissenschaftlichen Grundlage in das Bewusstsein vieler Unternehmen und Verbraucher*innen zu rücken – obwohl zum Beispiel soziale Faktoren oder Tierwohlaspekte bei der Berechnung bislang keine Rolle spielen.
„True Cost Accounting ist wahnsinnig komplex, aber enorm wichtig. Wir begrüßen es, dass die Aktion bei Penny die Menschen hierfür sensibilisiert hat“, so Gyde Wollesen. Neu sei das Thema jedoch nicht: „Viele Unternehmen beschäftigen sich schon länger mit den wahren Kosten ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten, stellen sich ihrer Verantwortung und kommunizieren die Ergebnisse zum Beispiel in ihren Nachhaltigkeitsberichten.“
Wie reagieren die Kund*innen auf die wahren Preise?
Laut Penny ist die Aktion eine Informationskampagne und ein Denkanstoß – und sorgt nebenbei natürlich für gute Schlagzeilen. „Wir haben bisher viel positives Feedback von den Kunden erhalten. Einige sind aber auch nachdenklich und stellen sich die Frage, wie sie sich dann noch Lebensmittel leisten können. Aber es wird sicher noch einige Monate dauern, bis wir valide Erkenntnisse haben, ob ein solch komplexes Thema in den Einkaufsalltag passt“, so Pressesprecher Krämer. Wie genau der tatsächliche Effekt der Kampagne gemessen werden soll, ließ er allerdings offen.
True Costs: Wie geht’s jetzt weiter?
In einer Pressemitteilung hatte Penny-Bereichsvorstand Stefan Magel angekündigt, dass man sich vorstellen könne, die Anzahl der Produkte mit doppelter Preisauszeichnung zu erhöhen und den Test auf weitere Märkte auszuweiten.
Wenn künftig noch weitere Händler auf den Zug mit aufspringen, wäre es allerdings wichtig, dass die verschiedenen Berechnungsmethoden der True Costs harmonisiert werden. „Aktuell gibt es hierfür viele verschiedene Ansätze und Modelle. Das macht eine echte Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen und Produkten schwierig“, gibt Gyde Wollesen zu bedenken.
Ob die Penny-Aktion tatsächlich dazu führt, dass mehr Kund*innen zu Bio-Produkten greifen, bleibt vorerst abzuwarten. Genauso wie die Frage, ob ein Marketing-Clou dazu beitragen kann, dass irgendwann tatsächlich diejenigen zur Kasse gebeten werden, die auf Kosten von Umwelt, Klima und Gesellschaft Profite machen – und damit nicht Wertschöpfung, sondern „Schadschöpfung“ an unseren Ressourcen betreiben.
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