Chicken Nuggets und ähnliche Hühnerfleischprodukte gibt es bei den großen Supermarktketten oft extrem günstig. Den wahren Preis dafür zahlen andere. Eine aktuelle Studie zeigt: In den brasilianischen Schlachthäusern, aus denen das Fleisch stammt, sind Arbeitsrechtsverletzungen Alltag.
Die Hauptleidtragenden unseres hohen Fleischkonsums sind die Tiere, die unter grausamen Umständen aufgezogen, gehalten und getötet werden. Doch in einem System, das auf der Ausbeutung von Lebewesen basiert, leiden auch die beteiligten Menschen.
Bereits im Herbst 2016 stellte die Menschenrechtsorganisation Christliche Initiative Romero (CIR) bei Recherchen fest: Für Billigfleisch, das hier in Deutschland verkauft wird, arbeiten in Brasilien Menschen unter ausbeuterischen, teils sklavenartigen Bedingungen. Betroffen waren damals mehrere Eigenmarken von deutschen Supermärkten und Discountern.
Über ein Jahr später hat sich offenbar wenig geändert. Das zeigt die neue Studie „Unser täglich Fleisch“ der CIR. Arbeiter in brasilianischen Schlachtfabriken berichten von Arbeitsunfällen, Schmerzen, unbezahlten Überstunden und viel zu niedrigen Löhnen. Auch eine gewerkschaftliche Interessenvertretung fehlt demnach. Insbesondere Geflügelfänger seien „in einem System von Abhängigkeiten und Schuldknechtschaft gefangen.“
Niedriglöhne, Überstunden, Krankheiten
So gut wie alle für die Studie interviewten Arbeiter gaben an, mit etwa 250 bis 500 Euro im Monat deutlich weniger als den existenzsichernden Lohn von etwa 930 Euro zu verdienen.
„Mitarbeiter*innen stehen unter Druck, nach Feierabend zu bleiben. Die Überstunden werden dann nicht einmal entsprechend bezahlt“,
gab ein interviewter Arbeiter aus einem Schlachthof zu Protokoll.
Mehrere Arbeiter gaben an, unter chronischen Schmerzen zu leiden. Eine Person berichtet, selbst nach dem Verlust eines Fingers bekomme sie lediglich Paracetamol gegen die Schmerzen.
Die neue CIR-Studie dokumentiert die sozialen und ökologischen Kosten des in Brasilien verarbeiteten Hähnchenfleisches entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von der Hühnerzucht bis zum Verkauf in deutschen Supermärkten. Die CIR hat dafür zusammen mit Repórter Brasil zahlreiche Arbeiter in Brasilien interviewt, die im Akkord Hühner fangen oder zerstückeln.
Die ganze Studie kann man bei der CIR online vorbestellen.
Brasilianisches Billigfleisch bei Edeka und Netto
Laut CIR isst jeder dritte Erwachsene mehrmals im Monat Chicken Nuggets. Um daran verdienen und gleichzeitig billig verkaufen zu können, drücken deutsche Einzelhändler die Preise in der Produktion – auch in Brasilien. Nirgendwo sonst werden mehr Tiere geschlachtet: Knapp sechs Milliarden Hühner pro Jahr.
In Deutschland wird das aus Brasilien importierte Fleisch den Chicken Nuggets und anderen Fleischprodukten beigemischt, denn es ist noch billiger als deutsches Billigfleisch. Unter anderem landet es offenbar in Produkten von Edeka und Netto. (Beide gehören zur Edeka-Gruppe, Deutschlands größtem Lebensmitteleinzelhändler.)
Die CIR-Studie führt aus: Edeka bietet unter anderem Chicken Nuggets der Eigenmarke Gut und Günstig an – als „Knusper Dinos“ und „Chicken (Cheese) Nuggets“. Hergestellt werden sie vom nordrhein-westfälischen Unternehmen Vossko, der brasilianisches Hühnerfleisch verarbeitet.
Der Discounter Netto bietet die „Knusper Dinos (Karli Kugelblitz & Friends)“ und „Chicken Nuggets American Style“ an, die jeweils von der Gebrüder Stolle GmbH produziert werden, sowie „Chicken Nuggets mit Curry Dip American Style“ (hergestellt von der SK Meats GmbH) und Formfleisch-Produkte der Marke Friki.
„Obwohl bei EDEKA die Umsätze stetig steigen und das Unternehmen seine Marktdominanz durch die Kaiser-Tengelmann-Übernahme weiter ausbauen konnte, gehört es in puncto soziale Unternehmensverantwortung zum Schlusslicht im deutschen Lebensmitteleinzelhandel“,
kritisiert CIR-Referentin Sandra Dusch Silva.
Die Ausbeutung zum Billigpreis gefährde nicht nur die Menschen und die Umwelt in Brasilien, sondern auch die Konsumenten in Deutschland, so Dusch Silva. Das zeigten erst kürzlich Testergebnisse von Öko-Test: In den Chicken Nuggets der Edeka-Eigenmarke „Gut & Günstig“ fanden die Tester Listerien. Diese Keime können besonders für Schwangere und ungeborene Babys gefährlich sein.
Auf Nachfrage schreibt Edeka, das Herkunftsland Brasilien habe „aktuell nur einen sehr geringen Anteil an der Rohware,“ die für Chicken Nuggets verarbeitet werde. Mehr möchte die Supermarktkette zu den Vorwürfen aus der Studie nicht sagen:
„Aufgrund der pauschalen Darstellung können wir zu der Ergebnissen der Studie nicht konkret Stellung nehmen. Generell fordern wir die Einhaltung sozialer Mindeststandards von allen Lieferanten verbindlich ein.“
Utopia meint: Dafür, dass wir billige Fleischprodukte im Supermarkt kaufen können, werden anderswo Arbeiter ausgebeutet – das ist ein Skandal. Einmal mehr zeigt die Studie der CIR, dass extrem billige Waren fast immer auf Kosten von anderen Menschen, Tieren oder der Umwelt hergestellt werden.
Bei aller Empörung sollte man aber nicht vergessen, dass ein zu hoher Konsum von (billigem) Fleisch auch schon vor den neuesten Enthüllungen moralisch fragwürdig war und bleibt. Die Millionen Tiere die dafür unter grausamen Bedingungen leben und sterben müssen, können sich nur leider nicht in Interviews und Studien äußern. Nehmen wir also den neuesten Skandal zum Anlass, wieder einmal unseren eigenen Konsum tierischer Produkte kritisch zu hinterfragen.
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