Sind Fleischfabriken eine Gefahr fürs ganze Land? Um diese Frage ging es am Montag bei hart aber fair – Hintergrund war der neue Corona-Massenausbruch bei Tönnies. Einige der Talkgäste lieferten vor allem Ausreden, ein Pastor sprach Klartext.
Vergangene Woche wurde bekannt, dass sich in Deutschlands größtem Schlachtbetrieb hunderte Mitarbeiter*innen mit dem Coronavirus infiziert haben. Seitdem ist die Zahl der Fälle täglich angestiegen. Inzwischen steht fest: Mindestens 1.553 Menschen haben sich mit dem Virus angesteckt, die meisten davon sind Werkvertragsarbeiter*innen aus Osteuropa.
Am Montag diskutierte Frank Plasberg in seiner Sendung „hart aber fair“ über den Massenausbruch bei Tönnies – und seine Bedeutung für ganz Deutschland. Geladen waren mehrere Politiker*innen, ein Journalist, ein Vertreter der „Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie“ (BVE) und ein Pastor.
Die Schuldfrage bei hart aber fair
In der ersten Hälfte der Sendung ging es unter anderem um die Schuldfrage: Wer ist verantwortlich für die fragwürdigen Bedingungen in Schlachtbetrieben – und damit indirekt auch für die vielen Coronafälle? Karl-Josef Laumann, Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen (CDU) erklärte lautstark, dass es eine rot-grüne Regierung war, die vor Jahren die Werkverträge eingeführt hatte. Christian von Boetticher von der BVE beschwerte sich hingegen über vermeintlich falsche Ratschläge von Gesundheitsämtern. Außerdem sei gar nicht bewiesen, dass die Arbeitsbedingungen etwas mit dem Corona-Ausbruch zu tun haben.
Unbezahlte Überstunden
Eine ganz andere Perspektive lieferte Pastor Peter Kossen – er war in der zweiten Hälfte der Sendung per Video zugeschaltet. Kossen ist Pfarrer in der nordrhein-westfälischen Stadt Lengerich, und hat seit Jahren mit Mitarbeiter*innen aus dem Tönnies-Betrieb zu tun.
Die Bedingungen in Schlachtbetrieben seien schon vor der Corona-Pandemie gesundheitsgefährdend gewesen. Kossen kenne Personen, die dort regelmäßig 250 Stunden im Monat arbeiten. Zum Vergleich: Bei einem regulären Vollzeitjob beträgt die Arbeitszeit 160 Stunden. Die hohe Belastung durch die zusätzlichen Arbeitsstunden lohnt sich für die Angestellten nicht: Koss zufolge werden meist nur 167 Stunden nach Mindestlohn bezahlt. „Ob und wie die anderen Stunden bezahlt werden, das erschließt sich häufig nicht. Häufig werden sie gar nicht bezahlt.“
„Dass ich so gedemütigt werde, habe ich nicht gewusst“
Vom Lohn werde außerdem Geld für den Transport zur Arbeit, Werkzeug und die Unterkunft abgezogen. Als Miete für die Unterkunft seien 250 Euro üblich: „Und das ist eine Matratze, das ist kein Zimmer, das ist nur ein Schlafplatz […] Es werden Wohnungen vollgesteckt mit Leuten, sodass man auch mit sehr erbärmlichen Unterkünften sehr viel Geld verdienen kann.“
Zudem würden die Angestellten mit willkürlichen Strafgeldern belangt. Ein Angestellter habe die Arbeit Kossen gegenüber mit Sklavenarbeit verglichen. Ein weiterer habe gesagt: „Dass ich in Deutschland hart arbeiten werden muss, das habe ich gewusst. Aber dass ich so gedemütigt werde, das habe ich nicht gewusst.“ Kossen nennt die Zustände „organisierte Kriminalität“.
„Man kann die Mafia nicht mit der Mafia bekämpfen“
Frank Plasberg zeigte in der Sendung ein Video, auf dem Tönnies-Chef Clemens Tönnies zu sehen ist. Er beteuert darin, dass die Branche sich ändern wird. Pastor Kossen glaubt diesem Versprechen nicht: „Man kann mit der Mafia nicht die Mafia bekämpfen.“ Die Verantwortlichen würden die Zustände in ihren Betrieben gut kennen. „Das bringt überhaupt nichts, die Täter jetzt zu Saubermännern oder vielleicht sogar zu Opfern zu machen. Da müssen wir schon aufpassen, wer Täter und wer Opfer ist. Die Sklaven sind die Opfer. Und die Sklaventreiber sind die Täter.“
Die Verantwortlichen können aktuell aber nicht belangt werden, da sie die Zuständigkeiten an Subunternehmen delegiert haben. Kossen fordert deswegen ein Verbot von Werkverträgen. „Die billige Bratwurst auf dem teuren Grill hat ganz hohe Nebenkosten.“
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