Schon der erste Teil ihres Essays darüber, wie unsere Lebensweise uns auslaugt, hat für viel positive Resonanz gesorgt. In ihrer Fortsetzung entwirft unsere Autorin das Bild einer Gesellschaft, die sich zum Besseren gewandelt hat – und zwar für alle.
Unsere Wirtschaft soll immer größer und schneller werden – für alle Beteiligten eine stressige Angelegenheit, die einen großen Teil der Zeit in Anspruch nimmt. Ob das gesund ist? Fragte schon der letzte Utopia-Artikel „Wie unsere Lebensweise uns auslaugt – und was dagegen hilft„, in dem unsere Wirtschaftswelt als Keksfabrik vorgestellt wurde.
Die Idee einer unaufhörlich wachsenden Wirtschaft ist so fest in unseren Köpfen verankert wie die Sterne am Nachthimmel. Wenn man den nächtlichen Himmel allerdings anschaut, blickt man auch in die Vergangenheit. Einiges, was dort oben zu sehen ist, ist eigentlich schon weg. Ob auch unser gegenwärtiges, wachstumsfixiertes Wirtschaftsmodell von einer anderen Gegenwart ersetzt werden wird? Sodass wir eines Tages in die Vergangenheit blicken, wenn wir Bilder von heute sehen? Werfen wir einen vorsichtigen Blick in die Zukunft.
Und damit auf die Keksfabrik, die noch in vollem Betrieb war, als wir sie das letzten Mal gesehen haben.
Zukunft in der Keksfabrik
„Wir brauchen Mehl!“, schreit es aus einer Produktionshalle. Früher wäre jetzt das automatische Nachfüllsystem angesprungen, aber das wurde abgeschaltet, als die Produktionszahlen sanken. Man musste es zu oft warten, weil die vielen Produktionspausen die Mechanismen lähmten. „Wir brauchen Mehl!“, ruft es noch einmal. Draußen scheint die Sonne, und die Abendschicht für das Spritzgebäck ist schon früher da. Jawohl – früher da. Und das freiwillig. Fröhlich unterhält man sich vor dem Halleneingang. „Wir brauchen Mehl!“, schreit man munter im Chor Richtung Lager. Und in einem futuristischen Fahrzeug, das beinahe schwebt, kommt ein Kollege mit Mehl aus dem Lager geglitten. Er wirkt nicht gestresst. Er mag seinen Job sogar. Er freut sich trotzdem auf den Feierabend. Aber genervt ist er nicht.
Was ist passiert? In unserer Keksfabrik der Zukunft arbeiten die Leute nicht mehr, um mit möglichst viel Geld nach Hause zu kommen und dafür alles andere zu vernachlässigen. Sie arbeiten, um durch eine unterhaltsame Beschäftigung zu fairer Bezahlung ein Leben führen zu können, mit dem sie zufrieden sind. Deswegen haben sie teilweise die Abteilung gewechselt, ihre Schichten reduziert oder sogar beides zugleich. Sie verbringen nun mehr Zeit mit ihren Kindern oder beim Plausch. Weil das so beliebt geworden ist, stehen in Keks-City (so heißt die Stadt, in der die Keksfabrik steht) mehr Parkbänke als heute in den meisten unserer Städte. Und weil die Menschen es folglich nicht mehr so eilig haben und auf die Zeit im Stop-and-go-Verkehr lieber verzichten, fahren in Keks-City auch deutlich weniger Autos.
Anderes Leben, andere Wirtschaft
Kurz: Viele gehen nun mit einem aufmerksameren Blick durch den Alltag. Sie gestalten ihr Leben – und damit das ihrer Umwelt. Sie schonen das Klima, indem sie weniger Ressourcen verbrauchen, und haben mehr Zeit, um ihre Mitmenschen zu beachten. Die kürzeren Schichten in der Fabrik und der geringere Keks-Absatz haben auch eine neue Wirtschaftsform hervorgebracht. Die allerdings haben sich die Bewohner von Keks-City nicht alleine ausgedacht. Sie haben fleißig Ideen geklaut. Und zwar solche, die in unserer Gegenwart ihren Anfang nahmen.
Denn schon zur Hochzeit der Keksproduktion gab es Denker*innen, die nach Alternativen zum Wachstumszwang suchten, weil sie sich Sorgen um den Planeten machten. Sie hatten erkannt, dass unsere Ressourcen endlich sind. Und damit, dass wir unseren Lebensraum vernichten, wenn wir über diese Grenzen hinaus gehen. Also loteten diese Denker*innen Nebenwirkungen und Grundlagen von alternativen Wirtschaftsformen aus, die versprachen, unsere begrenzten Ressourcen zu beachten und unseren Lebensraum zu erhalten. Dabei erkannten sie, dass ein Leben ohne andauerndes Wirtschaftswachstum auch gesünder für viele Menschen ist.
Die Denker*innen diskutierten beispielsweise …
- … die Green Economy: Diese beruht auf dem Grundgedanken, dass möglichst nachhaltig produziert und konsumiert wird. Dadurch sollen Risiken für die Umwelt reduziert werden. Die ‚grüne‘ Ökonomie geht davon aus, dass Ökologie, Wirtschaft und Gesellschaft ein zusammengehöriges System sind und nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können. Wenn man sich die Keksfabrik ansieht, scheint das wahr: Weder vor noch hinter dem Hallentor ist die Welt zu Ende – das Mehl wächst schließlich nicht im Fabrikgebäude. Jemand, der fair behandelt werden möchte, muss es produzieren. Auch der Schichtleiter verpufft nicht nach Feierabend. Er ist ein Mensch, den es glücklich macht, seine Arbeit zu mögen und dabei noch regelmäßig mit netten Leuten zu sprechen.
- … die Circular Economy: Die Kreislaufwirtschaft, wie sie auf Deutsch heißt, passt gut mit der Green Economy zusammen. Denn sie strebt an, dass Gegenstände des Alltags möglichst oft geteilt und möglichst effektiv recycelt werden mit dem Ziel, Abfälle zu verringern (Zero Waste). ‚Aus alt mach neu‘ (Cradle-to-Cradle) steht in der Circular Economy über allem. Abläufe und Materialien werden ständig im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit optimiert. So muss sich nicht mehr jeder jeden größeren Gegenstand – wie zum Beispiel eine Waschmaschine – selbst kaufen. Für eine Keksfabrik, die ihre Produktion heruntergefahren hat, ist das förderlich: Nicht alle Mitarbeiter*innen verdienen und konsumieren nun genauso viel wie vorher.
- … Ideen aus der Zukunftsforschung. Zukunftsforscher denken über das ‚Jetzt‘ nach und versuchen herauszufinden, was die Fortsetzung aktueller Prozesse für später bedeutet. Das private Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main beispielsweise stellt jedes Jahr sogenannte „Megatrends“ fest. Einer davon ist die Neo-Ökologie. Diese bindet den ökologischen Gedanken flächendeckend in alle gesellschaftlichen und politischen Themen mit ein. Das hieß für die Keksfabrik: Höhere Steuern zahlen, damit das Gemeinwohl besser gefördert werden konnte als zuvor. Nur noch erneuerbare Energien nutzen. Strengere Vorschriften bei Verpackungsmaterial und Lieferwegen. Zutaten aus fairem Handel und ökologischer Landwirtschaft.
- … „Zukunftsarchitektur“. Philosophen, Soziologen und Ökonomen setzen sich schon lange damit auseinander, wie Szenarien für eine nachhaltige Gesellschaft aussehen könnten. Sie nutzen dabei Ideen und Konzepte wie die, die oben genannt wurden, und basteln daraus Ideen für mögliche ‚Zukunftswelten‘. Diesbezüglich hat man auch in der Keksfabrik zugelangt: Viele ‚unsichtbaren‘ Faktoren haben in ihrer Welt nun einen Wert bekommen.
Die langsamere Fabrik
Zurück auf dem Fabrikgelände. Vor dem Hallentor diskutiert man den nächsten Urlaub: „Und wenn ich ein wenig schneller bin als die anderen, dann bekomme ich auf dem Campingplatz noch einen Stellplatz am Wasser!“ Schneller? Ja, manch einer wäre auch heute noch gerne schneller. Und das ist auch nicht verboten. Aber alles, was Energie verbraucht, hat jetzt seinen fairen Preis. Für das Klima hat es den schon immer gehabt.
In der Keksfabrik-Zukunft ist man deswegen einen wichtigen Schritt gegangen, um das Klima für die Menschen erträglich zu erhalten: Man hat den Klimaschutz konsequent in die Gesetzgebung eingeflochten. Das bedeutet: Bei allem wird das Klima grundsätzlich berücksichtigt. Effekte und Alternativen werden in Prozesse einberechnet.
Ein paar wenige behaupten nun, das Klima würde immer im Weg herum stehen. Und überhaupt: „Früher war alles besser! Und schneller!“, sagen sie ihren Enkeln. Die staunen, wissen aber: Früher war auch vieles langweiliger, weil es immer und ausschließlich flott gehen musste. ‚Schnell‘ und ‚gut‘ waren aber noch nie das Gleiche. Vor allem nicht dann, wenn ’schnell‘ nur die Vorstufe von ‚mehr‘ war. Das führte nicht automatisch dazu, dass es allen besser ging.
„Das Spritzgebäck ist fertig!“, bemerkt man vor dem Hallentor. „Desch verbrennt, wenn wir esch jetzt ned raushole!“ Man hat beinahe zu lange gequatscht. Zeit, Frohsinn und Fülle: Die Quellen dieser Freuden haben sich etwas verschoben. Hin zu schönen Dingen, die man nicht im herkömmlichen Sinne konsumieren muss.
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