Unsere Autorin erklärt, was unsere Arbeit und unser Konsumverhalten mit einer Keksfabrik zu tun haben. Und welche Fragen du dir stellen musst, wenn du deine Schicht am Keksfließband reduzieren willst.
Stellen wir uns die Wirtschaft mal als etwas Nettes vor: als Keksfabrik. So groß, dass sie genau genommen ein Kekskonzern ist. Diese Keksfabrik nun soll von Jahr zu Jahr mehr produzieren, am besten unermüdlich. Denn: Die Wirtschaft findet Wachstum toll. So müssen immer mehr Zutaten in den Keksmaschinen landen, und die Maschinen müssen immer größer werden und immer schneller laufen.
Haben genügend Menschen genügend Appetit auf Kekse, glühen die Keksöfen und laufen die Keksfließbänder den ganzen Tag. Und möglichst noch die ganze Nacht. Alle, die mit der Fabrik zu tun haben, arbeiten nun ebenfalls den ganzen Tag. Und teilweise die ganze Nacht. Weil die Kekse sich gut verkaufen sollen, dürfen sie nicht zu teuer werden, weshalb die Kekszutaten möglichst billig sein müssen. Deshalb werden die Zutaten in riesigen Mengen eingekauft, egal von wo auf der Welt. Egal ist meist auch, wie die Kekszutaten hergestellt und zur Keksfabrik transportiert werden, sodass Schäden an der Umwelt und am Klima entstehen.
Nehmen wir als Nächstes an, dass wir selbst in diesem Kekskonzern arbeiten, sozusagen im Motorraum der Wirtschaft. Je länger die Maschinen laufen und je mehr Kekse gekauft werden, desto mehr Arbeit müssen wir erledigen. Damit jede:r Kekskäufer:in seine Lieblingssorte bekommt, gibt es passende Kekssorten für jeden Geschmack. Und damit auch jeder davon erfährt, dazu jede Menge Werbung und Sonderangebote.
Wer soll das alles kaufen?
Um sich als Normalbürger:in all diese Leckereien leisten zu können, braucht es Geld. Und zwar nicht wenig davon, weil man sich schließlich nicht nur Kekse kaufen, sondern auch ein Dach über dem Kopf haben will. Wer diese Kekskäufer:innen sind? Überraschung: It’s us. Denn unsere Wirtschaft ist kein reines Exportunternehmen, das gutes Gebäck an andere Planeten verkauft. Die Arbeiter:innen und Kund:innen der Keksfabrik sind also wir – in Personalunion.
Und wie sieht deshalb unser Leben aus? Richtig: Wir sind froh, so viel arbeiten zu dürfen. Wir stellen am laufenden Band Kekse her, um immer mehr Kekse kaufen zu können. Damit können wir auch nicht einfach so aufhören. Würden wir nämlich nicht mehr arbeiten, hätten wir vielleicht bald kein Dach mehr über dem Kopf. Und würden wir aufhören, Kekse zu kaufen, würde die Wirtschaft nicht mehr wachsen. Auch damit wären wir bald unsere Jobs los.
Die Keksfabrik macht uns blass und mutlos
Dieser Kreislauf tut uns nicht gut. Wenn wir in den Spiegel schauen, sehen wir tendenziell müde und blass aus. Außerdem fühlen wir uns zunehmend mutlos, weil es draußen dank schwindender Ressourcen immer wärmer wird, was wir scheinbar wenig beeinflussen können.
Wir sehen die Sonne eher selten, treffen nicht mehr viele Entscheidungen wirklich selbst und genießen die Freizeit, die wir haben, manchmal nicht besonders, weil wir oft gestresst sind. Außerdem sind einige von uns verstimmt, weil sie das Gefühl haben, dass sich ihre Arbeit weder für sie selbst noch für die Welt besonders lohnt. Denn Tempo, Umsatz und deren Steigerung stehen im Vordergrund und werden am besten bezahlt. Dadurch arbeiten viele in Abteilungen der Fabrik, die sie gar nicht besonders interessieren.
Wir tauschen Freiheiten gegen Freiheiten
Manchmal ahnen wir, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen unseren vollen Keksschränken und unserer täglichen Arbeit gibt. Geld und Kaufkraft bieten uns materielle Freiheit. Das wiederum vermittelt uns Sicherheit. Stress und Zeitmangel schränken im Gegenzug unsere persönlichen Freiheiten ein.
Allerdings gibt es ein Mittel, das uns in unserer raren Freizeit aufmuntert: Kekse. Während wir fleißig futtern, wird unsere Gesellschaft trotzdem nicht glücklicher. Weil Zucker nicht wirklich ein Gewürz ist.
Die Vielfalt an Gütern und Möglichkeiten, die uns jeden Tag angeboten wird, gaukelt uns aber vor, dass wir immer weiter kaufen müssen, um glücklich zu sein. Werbung suggeriert uns, dass sich unser Status und unsere Zufriedenheit erhöhen, wenn wir erst mal dieses oder jenes besitzen. Und weil Werbung nicht verschwindet, nachdem wir eingekauft haben, wollen wir immer mehr,– vielleicht klappt es ja diesmal endlich mit dem Glücklichsein.
Jeder kennt den Satz: Zeit ist Geld. Folglich gilt auch: Geld ist Zeit. Und in dieser Umkehrung liegt womöglich die Lösung unseres Problems. Denn sie bedeutet, dass wir für die finanziellen Mittel, die wir normalerweise für Konsum aufwenden, tatsächlich mehr selbstbestimmte Zeit haben könnten.
Würden wir weniger Stunden hergeben im Tausch für die Möglichkeit, uns viel leisten zu können, könnten wir diese Zeit mit anderen Dingen füllen: mit Raum für Familie, Freund:innen, Ruhe und Schlaf, Sport, Meditation, Durchatmen. Oder einem Job, der vielleicht – noch – nicht viel abwirft, aber von uns geliebt wird.
Auch Geld ist Zeit: Ist das die Lösung?
Was würde es konkret bedeuten, unseren finanziellen Wohlstand in Lebensqualität umzurechnen? Was wären die Folgen für den Kekskonzern? Was würde passieren, wenn wir unser Leben, soweit wir es in der Hand haben, anschauen und uns fragen: Gefällt es uns? Bekommen wir genug Lebensqualität ‚ausbezahlt‘ für die Zeit, die wir investieren?
Oder haben wir einen schlechten Deal gemacht: Ein stressiger Job, der zu wenig Zeit für anderes lässt, nicht zu uns passt oder wenig sinnstiftend erscheint? Sind wir auf das Missverständnis eingegangen, immer alles mitmachen zu müssen, um im Leben nichts zu versäumen? Dass wir bei alledem womöglich das Leben selbst verpassen, weil wir weniger im Moment leben, ist ein hoher Preis.
Unser Arbeitstag hätte jetzt nicht mehr zwangsläufig acht, zehn oder zwölf, sondern vielleicht nur noch vier oder sechs Stunden. Mancher von uns würde den Job wechseln, hin zu einer Tätigkeit in, oder gar am Rande der Keksfabrik, die sie oder er wirklich gerne macht.
Die Folge: Mehr Menschen hätten mehr Freude an ihrer Arbeit. Viele wären in ihrer Freizeit weniger gestresst, denn sie hätten nach Feierabend weniger negative Gedanken und würden sich zwar immer noch aufs Wochenende freuen, aber auch wieder auf den Wochenstart. Und der Wert einer Stunde würden sich jetzt daraus ergeben, für welche Bezahlung wir bereit sind, einen Job auszuüben, der uns wirklich Freude bereitet. Werbung würde zwar immer noch existieren. Weil wir aber viel zufriedener mit unserem Leben sind, würden seltener Kekse nachgekauft.
Der Ausstieg aus der Keksfabrik wirft viele Fragen auf
Wenn wir weiter über unser Wunschleben nachdenken und darüber, unter welchen Umständen wir gerne innerhalb und außerhalb der Keksfabrik leben möchten, schließen sich Fragen an: Wie anstrengend ist unser Job? Wie viel davon vertragen wir? Wie viel Freizeit möchten wir? Wie stark sollen Beruf und Freizeit getrennt sein? Möchten wir zu Hause arbeiten? Möchten wir selbstbestimmt arbeiten? Was möchten wir uns in unserer Freizeit leisten können? Worauf sind wir bereit, zu verzichten? Auf das Auto, das dritte Zimmer, das viele Essengehen? Die jährliche Fernreise oder den Yogakurs?
Und: Worauf können oder wollen wir gerade nicht verzichten? Das ist vielleicht die Zeit mit der Familie oder die Ziele, die wir uns in einem bestimmten Bereich gesetzt haben. Es ist womöglich die Freiheit, spazieren zu gehen, wenn wir eine Pause von der Arbeit brauchen, oder die Möglichkeit, dann Feierabend zu machen, wenn wir merken, dass wir heute nicht mehr viel leisten können. Vielleicht ist es aber auch das Gegenteil: Vielleicht können wir auf eine feste Tagesstruktur nur schlecht verzichten oder auf die Zusammenarbeit im Team. Es kann die Passion für einen Beruf oder ein Hobby sein, die so groß ist, dass wir nicht merken, wie die Zeit vergeht. Oder auch: ein Haus, ein Auto, ein U-Boot. Und für alle von uns stellt sich die Frage: Wie sieht der Weg zum Ziel aus?
Auch die Umwelt würde profitieren
Wäre unsere Währung nicht alleine unser Geld, sondern auch unsere Zeit und somit unsere Lebensqualität, dann würden wir sorgfältiger abwägen, wie wir unsere Zeit verbringen. Dadurch, dass unsere Entscheidungen über jegliche Beschäftigung auch mit unserem Ressourcenverbrauch verknüpft sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir mit der Entscheidung für eine Alternative zur Wachstums-Maxime auch unserer Umwelt einen großen Gefallen tun. Eine Win-win-Situation.
Wäre dann unsere Wirtschaft immer noch eine Keksfabrik, wäre Wachstum nicht mehr das wichtigste Credo. Sondern vielleicht Ziele der Gemeinwohlökonomie. Die Kekse wären mit mehr Liebe und mehr Fair-Trade-Schokolade gemacht. Und der ein oder andere Keks ab und zu sogar richtig lecker.
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