Die Mehrzahl der deutschen Haushalte heizt mit Erdgas – gut fürs Klima ist das nicht. Öko-Versprechen der Gasanbieter erleichtern da das Gewissen. Doch oft ist „Ökogas“ nichts als Täuschung, das zeigte eine Recherche des Netzwerks Correctiv kürzlich. Einige Anbieter reagieren, die Politik äußert sich – und Kund:innen fordern Schadensersatz.
Für ein paar Cent extra soll das gelieferte Erdgas „klimaneutral“ sein, das versprechen viele deutsche Gasversorger. Dabei bleibt das „Ökogas“ einfach Erdgas, die Anbieter stecken aber Geld in Projekte, die das Klima schützen sollen. So wollen sie die klimaschädlichen Emissionen der Gasverbrennung zumindest rechnerisch ausgleichen. Das Prinzip nennt sich Kompensation.
Zum Beispiel beteiligen sich viele Gasversorger an Baumpflanz- oder Waldschutzprojekten in verschiedenen Teilen der Welt, indem sie Gutschriften kaufen. Die Praxis ist nicht nur in der Energie-, sondern auch in anderen Branchen verbreitet, aber zunehmend umstritten. Die Emissionen sind schließlich entstanden und verschwinden auch durch Klimaschutzmaßnahmen wie Baumpflanzungen nicht wieder. Untersuchungen belegen zudem immer wieder, dass die Projekte deutlich weniger effektiv sind als versprochen.
Correctiv zeigt: Gasversorger täuschen ihre Kund:innen
Mitte April zeigte das Recherchenetzwerk Correctiv: Auch mit den Ökogas-Behauptungen ist es längst nicht so weit her, wie die Unternehmen uns glauben machen wollen. Correctiv ist bekannt für seine investigativen Recherchen und sorgte zuletzt durch seine „Geheimplan“-Recherche zum Potsdamer Treffen Rechtsradikaler weltweit für Aufmerksamkeit.
Die Ökogas-Veröffentlichung belegte erstmals, dass deutsche „Ökogas“-Werbeversprechen oft falsch sind – und das verkaufte Gas also keineswegs klimaneutral ist.
„Das ist eine Kundentäuschung. Die Produkte halten nicht, was von den Unternehmen versprochen wird“, so Correctiv-Reporterin Gesa Steeger gegenüber Utopia.
„Wer absolute Aussagen trifft, muss auch absolute Beweise erbringen. Und das können die Gasversorger nicht, wie unsere Auswertung zeigt.“
116 Gasversorger mit falschen Angaben zur Kompensation
Basierend auf den öffentlichen Kompensationsregistern Verra und Gold Standard ließ Correctiv Wissenschaftler:innen des New Climate Institute, der ETH Zürich, der Berkeley University, dem Öko Institut in Berlin, der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und andere Expert:innen prüfen, wie sinnvoll die Kompensationszahlungen und CO2-Gutschriften von deutschen Gasversorgern sind. Unter den untersuchten Gasanbietern sind beispielsweise die GASAG, ESWE, Entega und über 90 Stadtwerke wie etwa die Stadtwerke Rüsselsheim. Es geht dabei um den Zeitraum von 2011 bis 2024.
Das Ergebnis: Für 116 Gasversorger kann Correctiv nachweisen, dass die Kompensationsangaben nicht stimmen. Sie haben Gutschriften aus Projekten gekauft, die laut wissenschaftlicher Einschätzung höchstwahrscheinlich gar kein oder weniger CO2 reduzieren oder speichern als angegeben – und das teils über Jahre hinweg.
Von insgesamt 16 Millionen ausgewerteten CO2-Gutschriften konnte Correctiv rund 63 Prozent Projekten zuordnen, die nach wissenschaftlicher Einschätzung nicht zur Kompensation geeignet sind. Knapp zwei Drittel also erfüllen bestimmte Qualitätsmerkmale nicht. Beispielsweise schützen sie weniger Waldfläche als angegeben, sparen faktisch weniger Emissionen ein als berechnet oder hätten auch ohne die Finanzierung aus CO2-Gutschriften existiert.
Zusammengefasst: Erschreckend viele deutsche Gasversorger werben mit ihrem Engagement für Klimaschutzprojekte, die sehr wahrscheinlich gar keine zusätzlichen Emissionen einsparen. Ihr „Ökogas“ ist daher in vielen Fällen auch rechnerisch ähnlich klimaschädlich wie herkömmliche Erdgastarife.
Falsche Werbeversprechen
Auf Nachfrage informierte uns Correctiv: Dem Medium gegenüber haben zwei Rechtsanwälte das Vorgehen der Gasversorger als Täuschung eingeordnet, einer der Anwälte ist für die Wettbewerbszentrale tätig. Selbst wenn die Unstimmigkeiten aufseiten der Klimaschutzprojekte liegen: Wenn Unternehmen mit bestimmten Umwelteigenschaften ihrer Produkte werben, sind sie auch dafür verantwortlich, dass ihre Behauptungen stimmen. Werben sie mit Unwahrheiten, täuschen sie ihre Kund:innen.
In diesem Fall im großen Maßstab: Laut Berechnungen von Correctiv haben die untersuchten Gasversorger über zehn Millionen Tonnen CO2-Emissionen weniger reduziert als sie angeben. Das entspricht grob dem jährlichen Ausstoß von Hamburg oder Bremen.
Eine Täuschung, die vor allem dazu dient, eine sterbende Branche am Leben zu halten, vermutet Monique Goyens, Direktorin des Europäischen Verbraucherverbands (BEUC) in Brüssel, gegenüber Correctiv. „Anstatt das Geschäftsmodell zu ändern, lassen die Gasversorger ihre Kundinnen und Kunden in dem Glauben, sie täten etwas Gutes.“ Dadurch werde ein wirklich nachhaltiger Lebensstil verhindert. „Das ist inakzeptabel.“
Die Recherche hat Konsequenzen
Konfrontiert mit den Rechercheergebnissen, haben bereits einige Unternehmen Konsequenzen gezogen: So kündigte Rhein Energie an, das Ökogas-Angebot zu pausieren, bis „konkrete Projektüberprüfungsverfahren“ vorliegen. Über 20 vor allem kommunale Gasversorger teilten Correctiv mit, man wolle die klimaneutralen oder Ökogas-Tarife überprüfen oder vorläufig einstellen, darunter die EVD Energieversorgung Dormagen, Logo Energie aus Nordrhein-Westfalen und weitere kommunale Stadtwerke.
Mehrere Gasversorger haben laut Correctiv ihre Klimaneutralitätsversprechen kommentarlos von ihren Webseiten entfernt. Der Energieversorger Entega, der CO2-Gutschriften aus sechs ungeeigneten Waldschutzprojekten bezog, teilte Correctiv mit, man stelle das Konzept Ökogas nun infrage.
Andere Energieversorger wie der Energieriese Eon oder die Eprimo GmbH dagegen wollen weiterhin an kompensiertem Erdgas festhalten.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat 15 Gasversorger aufgefordert, ihre verbrauchertäuschende Werbung für „klimaneutrales“ Erdgas zu beenden. „Die zunächst fantastisch klingenden Werbeaussagen der Gasversorger werden in keiner Weise transparent belegt. So eine dreiste Verbrauchertäuschung lassen wir nicht durchgehen“, sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.
Politiker:innen wollen Verbraucherschutz stärken
Auch das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) äußert sich nun zur Correctiv-Recherche: Verbraucher:innen müssten in der Lage sein, „informierte Kaufentscheidungen zu treffen und so über Nachfrage zu einer nachhaltigen Wirtschaft beizutragen“, heißt es in einem unveröffentlichten Bericht, der Correctiv vorliegt. Dafür sei es an Unternehmen, „klare, relevante und zuverlässige Informationen“ bereitzustellen.
Politiker:innen der Regierungsparteien FDP und Grüne sprechen gegenüber Correctiv von Schwindel und Täuschung und sehen vor allem Unternehmen in der Verantwortung. „Juristische Schlupflöcher müssen geschlossen werden, damit ein solcher Schwindel, wie von den Gasunternehmen im letzten Jahrzehnt betrieben, nicht mehr möglich ist“, sagt etwa Kathrin Henneberger, Abgeordnete der Grünen und Mitglied im Ausschuss für Klimaschutz und Energie.
Olaf in der Beek, klimapolitischer Sprecher der FDP, findet, es brauche nun funktionierende Mechanismen, um Kompensationsgutschriften als marktwirtschaftliches Klimaschutzinstrument weiter zu etablieren, „um einerseits für Verbraucher bestmögliche Transparenz und Verlässlichkeit zu schaffen und andererseits möglichst effizient Emissionen einzusparen.“
Kund:innen fordern Schadensersatz
In einer aktuellen Petition fordern Gaskund:innen Schadensersatz und eine offizielle Entschuldigung vom Anbieter Entega. „Viele Menschen fühlen sich getäuscht. Die Empörung ist groß“, sagt Kati Volten, Sprecherin der Interessengemeinschaft hinter der Petition, gegenüber Correctiv. Bei den Betroffenen sei der Eindruck entstanden, Entega wolle sich aus der Affäre ziehen, das wolle man nicht hinnehmen. Derzeit haben bereits knapp 13.000 Menschen den Appell unterzeichnet.
Und was heißt das jetzt für mich?
- Du kannst zunächst überprüfen, ob dein Gasversorger betroffen ist: Correctiv hat eine durchsuchbare Datenbank erstellt.
- Du kannst deinen Gaslieferanten wechseln und zu einem Anbieter mit echtem Biogas wechseln. Gemeint ist damit Gas, das eben nicht Erdgas ist, sondern aus organischen Stoffen wie etwa Lebensmittelabfällen oder landwirtschaftlichen Reststoffen entsteht.
- Wenn dein Haus oder deine Wohnung dir gehört, kannst du über einen Heizungstausch nachdenken – das wird früher oder später sowieso nötig werden. Hier liest du, welche Heizungsarten laut Gebäudeenergiegesetz neben der Wärmepumpe zulässig sind und was ihre Vor- und Nachteile sind
- Es gibt viele weitere Möglichkeiten, deinen eigenen Impact aufs Klima zu verringern: Insgesamt weniger zu heizen, weniger zu fliegen und Auto zu fahren, weniger Fleisch zu essen oder dein Geld bei nachhaltigen Banken anzulegen etwa schützt das Klima unter Umständen stärker als Kompensationszahlungen, weil du so die Entstehung von Emissionen von Vornherein vermeidest.
- Du kannst zusätzlich weiterhin aktiv Klimaschutzprojekte unterstützen, indem du etwa hilfst, sinnvolle Baumpflanz- oder Waldschutzinitiativen zu finanzieren – aber nicht mittels Gutschriften zur Kompensation. Der Gold Standard etwa verkauft Zertikate zwischen etwa 10 und 55 US-Dollar pro Tonne CO2. Gegenüber Correctiv gibt Martin Cames, Wissenschaftler am Öko-Institut, an, der angemessene Preis für eine Tonne CO2 liege derzeit bei mindestens 50 US-Dollar.
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