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Unheimliche Einblicke: Markus Lanz diskutiert die absurden Ausmaße unserer Fleischindustrie

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Foto: Screenshot ZDF-Mediathek

Der Corona-Massenausbruch bei Tönnies dominiert die Talkshows, auch bei Markus Lanz ging es am Dienstag um das Thema. Die Gäste diskutierten unter anderem über die absurden Zustände in unserer Fleischindustrie – und wie Deutschland damit die Fleischproduktion in Europa beeinflusst.

Die Zahl der Corona-Fälle bei Tönnies-Mitarbeiter*innen steigt weiter – inzwischen sind fast 2.000 Infektionen bestätigt. Alle Angestellten stehen unter Quarantäne, in Gütersloh und Warendorf trat außerdem ein Lockdown in Kraft.

Dass sich das Virus in Schlachthöfen so stark verbreitet, liegt vor allem an fragwürdigen Zuständen in den Sammelunterkünften. Ein Großteil der Arbeiter*innen stammt aus osteuropäischen Ländern – sie werden über Subunternehmen angestellt und in Sammelunterkünften untergebracht. Teilweise wohnen bis zu neun Personen in einer Dreizimmerwohnung. Die Investigativ-Journalistin Anette Dowideit berichtete am Dienstag bei Markus Lanz, dass in manchen Unterkünften nicht einmal fließend Wasser oder eine Heizung zur Verfügung stehe.

Großbetriebe schlachten 20.000 Schweine pro Tag

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Anton Hofreiter (links) und Anette Dowideit. (Foto: Screenshot ZDF-Mediathek)

Auch abgesehen von den Sammelunterkünften sind die Bedingungen in den Schlachthöfen fragwürdig. Unbezahlte Überstunden, Lohnabzüge für die Arbeitskleidung und extremer Druck: Ausbeutung ist Teil des Geschäftsmodells. Das ist allerdings nicht erst seit der Corona-Krise bekannt, sagt Grünen-Politiker Anton Hofreiter. „Diese Subunternehmer-Konstruktionen dienen dazu, dass man die Verantwortlichen nicht greifen kann, selbst wenn sie harte Gesetzesverstöße begehen.“

Markus Lanz zeigt in der Sendung ein Image-Video von Tönnies. Dort ist zwar nichts von Gesetzesverstößen zu sehen, aber es liefert einen unheimlichen Einblick in die Abläufe des Schlachtbetriebs. Das Video zeigt, wie tote Schweine auf ein Fließband fallen, an den Beinen aufgehängt werden und durch den Betrieb gefahren werden. Arbeiter*innen nehmen die vorbeifahrenden Schweine aus oder zerlegen Fleischstücke – ein großer Teil des Prozesses läuft aber automatisiert.

„Das ist wirklich industriell gemacht, da greift ein Rädchen in das andere“, sagt Lanz. Die Massenabfertigung ist effizient: Hofreiter zufolge schlachten Großschlachtereien täglich 20.000 Schweine. Er kenne außerdem einen Geflügelschlachthof, der 340.000 Hähnchen am Tag schlachte.

Die radikale Gewinnmaximierung der Fleischindustrie

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Zerlegung von Fleischteilen. (Foto: xy / stock.adobe.com)

Die industrialisierte Massenabfertigung bereitet in der aktuellen Situation allerdings Probleme: Die Mastbetriebe kalkulieren auf den Tag genau, wann ein Schwein bereit zum Schlachten ist, erklärt Anette Dowideit. Da Tönnies seine Tiere nicht wie gewohnt verarbeiten kann, gibt es ein Problem mit den Schweinen, die nun länger am Leben sind: Sie nehmen mehr zu als sie eigentlich sollten – und haben dann keinen Platz mehr.  

Lanz nennt weitere Zahlen, die zeigen, wie radikal die Fleischindustrie ihre Gewinnmaximierung vorantreibt. Demnach habe eine Milchkuh im Jahr 1980 im Laufe ihres Lebens durchschnittlich 5.000 Liter Milch gegeben. Heute seien es 15.000 Liter Milch. Schweine werfen heute bis zu 20 Ferkel – haben aber nur 14 Zitzen. Sie wurden so weit überzüchtet, dass sie ihre Ferkel nicht mehr selbst versorgen können.

Deutschland ist Billig-Standort für Fleisch

Die Bedingungen in den Schlachtbetrieben und die Ausbeutung von ausländischen Arbeiter*innen durch Werkverträge führen dazu, dass Fleisch extrem billig produziert werden kann. Was das Zerlegen von Schweinen angehe, sei Deutschland mit der billigste Standort in Europa, sagt Anton Hofreiter.

Mit ihren Billigpreisen bringt die deutsche Fleischindustrie andere Länder in Schwierigkeiten: „Dänemark zum Beispiel oder auch die niederländischen Verarbeitungsbetriebe haben sich schon öfter beschwert, dass in Deutschland die Gesetze und die Kontrollen so nachlässig sind, dass ein höherer Standard in Europa nicht mehr konkurrenzfähig ist“, sagt Hofreiter. Aus diesem Grund werden bei Tönnies auch Schweine aus Ländern wie den Niederlanden oder Polen zerlegt.

Utopia meint: Das System ist an Absurdität kaum zu überbieten: Schweine aus anderen Ländern werden nach Deutschland gebracht, um von Arbeiter*innen aus anderen Ländern geschlachtet zu werden – unter menschenunwürdigen Bedingungen. Die Tiere wurden zuvor mit Soja gefüttert, für dessen Anbau womöglich Regenwald in Südamerika abgeholzt und indigene Kleinbauern vertrieben wurden. Hinzu kommen tierquälerische Praktiken wie betäubungsloses Ferkelkastrieren, Schwanzkupieren oder die Unterbringung von Sauen in Kastenständen. Und das alles, damit Fleisch billig ist.

Die ganze Sendung von Markus Lanz am Dienstag (23.6.) gibt es in der Mediathek.

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