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Clean Meat: Alles, was du über Laborfleisch wissen musst

Laborfleisch, Clean Meat
Foto: Colourbox.de

Es klingt gruselig, könnte aber die Lösung sein für viele Probleme der industriellen Massentierthaltung: „Clean Meat“ verbraucht weniger Fläche, Wasser, Treibhausgasemissionen – und schadet weniger Tieren. Wir haben uns das „In-vitro“-Fleisch genauer angesehen.

Auch wenn sich in Deutschland immer mehr Menschen vegan oder vegetarisch ernähren und die globale Fleischproduktion 2019 erstmals rückläufig war, ist der Bedarf an Fleisch hierzulande und weltweit immer noch zu hoch: Die industrielle Massentierhaltung ist laut der UN für etwa 15 Prozent der von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Um den Klimawandel aufzuhalten und die wachsende Weltbevölkerung von 10 Mrd. Menschen bis 2050 satt zu bekommen, müssen wir nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch unsere Essgewohnheiten ändern. Könnte Laborfleisch die Lösung sein?

Clean Meat. Was ist das?

„Clean Meat“ oder auch „In-vitro“, also im (Reagenz-)Glas gezüchtetes Fleisch, basiert auf den Stammzellen eines Tieres. Man spricht auch von kultiviertem Fleisch, da die Muskelzellen in einer Nährlösung aus Kalbsblut über mehrere Wochen im Labor zu Muskelfasern zusammenwachsen. Ergebnis: Aus 20.000 dieser Fasern entsteht schließlich ein Hamburger-Patty.

Erste Forschungen zu Clean Meat begannen in den 90er Jahren in den Niederlanden unter dem Forscher Prof. Mark Post. In London wurde 2013 dann sein erster künstlich hergestellter Burger präsentiert – zu einem stolzen Preis von umgerechnet etwa 250.000 Euro. Post gründete im selben Jahr eine Firma namens Mosa Meat, die mittlerweile einen Preis von neun Euro pro Burger prognostiziert. Jedoch nur dann, sofern es zu einer industriellen Herstellung kommt. Was hat sich seitdem noch getan?

American Dressing wird gerne zu Burgern gegessen – egal, ob mit Fleisch oder vegetarisch.
Aus 20.000 Muskelfasern entsteht ein Hamburger-Patty. (Foto: CC0 / Pixabay / Free-Photos)

Wandel im Fleischkonsum

Wir alle kennen die negativen Folgen von Massentierhaltung für Tier, Umwelt und Mensch, weshalb der „klassische“ Fleischverzehr heruntergeschraubt werden muss. Ein Lichtblick: Nachfrage und Angebot nach Fleischersatzgerichten z.B. aus Sojabohnen oder Lupinen werden immer größer. Auch der Markt für Insekten-Produkte wächst, wenngleich die kulturelle Hürde in Europa noch hoch ist.

Doch ein gesellschaftlicher Umbruch zeichnet sich ab. Und Lebensmittel aus dem Bio-Reaktor oder 3D-Drucker klingen nicht mehr ganz nach abgedrehtem Science-Fiction-Movie. Waren es 2005 noch 94 Prozent der Europäer*innen, die In-Vitro-Fleisch äußerst skeptisch gegenüber standen, zeigt eine Studie von 2018, dass 66 Prozent der Befragten bereit wären, es zumindest zu probieren.

Gesundheit und Geschmack von Laborfleisch

Die Bedenken, dass das Fleisch „künstlich“ sei, sind unbegründet. Die Zellen gleichen denjenigen, die in „echten“ Tieren zu finden sind. Deshalb bleiben z.B. Geschmack und Konsistenz vergleichbar. Auch fallen problematische Antibiotika, Hormone oder Krankheitserreger weg.

Da es sich aber um echtes Fleisch handelt, sind die gesundheitlichen Auswirkungen dieselben. Heißt also: Es besteht bei übermäßigem Konsum ein erhöhtes Risiko für Fettleibigkeit und Herz-Kreislauferkrankungen. Und wenn man ehrlich ist: „Natürlich“ ist die Ausbeutung von Tieren nicht.

Grillfehler: Billig-Fleisch
Auch Laborfleisch verursacht Krankheiten. (Foto: © petunyia- Fotolia.com)

Ethik des gezüchteten Fleisches

Die Debatte um Stammzellenforschung ist keine einfache und wurde beispielsweise im Zuge der Organtransplantation geführt. Auch bleibt die Frage, ob Veganer*innen und Vegetarier*innen künstliches Fleisch überhaupt zu sich nehmen würden, da es sich immer noch um ein tierisches Produkt handelt.

Denjenigen, die nicht auf Fleisch verzichten, jedoch weniger Leid verursachen möchten, sei gesagt: Durch die Produktion von Kunstfleisch ließe sich die Massentierhaltung deutlich eindämmen. Bitterer Beigeschmack: Die Entnahme der Stammzellen ist im ersten Schritt gewaltlos – das Wachstumsserum hingegen stammt aus dem Herzen eines Kälber-Embryos, wodurch Kälbchen und Kuh sterben. Laut Mark Post werde aktuell an einer Algen-Nährlösung gearbeitet, die das Kalbsserum ersetzen soll.

Auch der Markt für fleischlose Ersatzprodukte sieht weltweit vielversprechend aus. Die Prognosen vom Online-Portal Statista für die Umsätze bis 2040 lauten:

Mehr als Tempeh und Tofu. Wirtschaftsfaktor „Clean Meat“

Ersatzprodukte, die die Konsistenz, das Aussehen, den Geruch und Geschmack von Fleisch nachahmen, sind in Deutschland beliebt. „Beyond Burger“, der u.a. aus Erbsenmus besteht, löste 2019 eine kaum zu deckende Nachfrage beim Discounter Lidl aus. Netto und ALDI zogen nach.

Außerdem gibt es weitere Firmen, die Fleisch im Labor herstellen. Neben den USA, wo Memphis Meats mit Investoren wie Richard Branson oder Bill Gates nicht nur Hühner- und Entenfleisch sondern auch ihr erstes Fleischbällchen publik machten, zieht Israel mit weiteren Jung-Unternehmen nach. In Tel Aviv arbeiten zwei dieser Start-ups räumlich nebeneinander: Aleph Farms konzentriert sich auf Rindfleisch, während SuperMeat einen Hühnerfleischersatz herstellt, der perspektivisch zuhause nachgemacht werden kann. Der deutsche Geflügelhersteller Wiesenhof, der zur PHW-Gruppe gehört, ist hier seit 2018 Investor.

  • Rückgang von konventionellem Fleisch auf 880 Mrd. US-Dollar
  • Steigerung veganer Fleischwaren bis 450 Mrd. US-Dollar

Die Unternehmensberatung A.T. Kearney fasst es so zusammen: „Bereits 2040 werden nur 40 Prozent der konsumierten Fleischprodukte von Tieren stammen.“

Nicht in allen Ställen können sich Rinder frei bewegen.
Für Laborfleisch müssen keine Tiere sterben. (Foto: CC0 / Pixabay / franzl34)

Nachhaltigkeit von Fleisch-Alternativen

Zukünftig werden die Preise für Laborfleisch zwar günstiger, auch wenn die Massentierhaltung dadurch nicht plötzlich verschwindet. Dennoch lockt die kalifornische Denkfabrik Rethinkx im Februar mit einer erfolgsversprechenden Öko-Bilanz bis 2030 – bezogen auf die USA. Hier wird neben künstlichem Fleisch auch eine synthetische Produktion von Kuhmilch mit einberechnet.

  • Um bis zu 45 Prozent Rückgang der Treibhausgasemissionen
  • Minus 60 Prozent weniger Flächenverbrauch
  • 50 Prozent weniger Wasserressourcen

Wohlgemerkt würde die industrielle Fertigung der künstlichen Tierprodukte ebenfalls Ressourcen bündeln. Die 2018 von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist bei allen Prognosen etwas zurückhaltender und nennt noch keine konkreten Zahlen zu dessen Ausmaß.

Clean Meat ab sofort im Supermarkt?

Es dauert wohl noch ein paar Jahre, bis wir dieses Fleisch kaufen können. Silvia Woll vom KIT sagte 2019 in der ARD-Sendung „W wie Wissen“, dass man momentan von zwei bis fünf Jahren ausgeht; das aber auch schon Jahre zuvor gesagt wurde. Denn: Momentan entstehen aus den Zellen erst kleine Fetzen. Auch Muskelfleisch z.B. für ein Steak ist aufwändiger zu erstellen, da die Petrischalen nicht den Bedingungen eines Organismus gleichen. Die Muskeln müssen in der Tat erst trainiert werden.

Utopia meint: Für Menschen, die den Geschmack von Fleisch mögen, aber keine Massentierhaltung in Kauf nehmen möchten, kann künstliches Fleisch eine Möglichkeit sein. Vor allem, wenn die Produkte bezahlbar sind. Auch global gesehen dienen diese Bestrebungen dazu, den steigenden Fleischbedarf von Schwellenländern wie China oder Indien zu stillen – und so die negativen Auswirkungen auf das Klima zu reduzieren. Perspektivisch wünschenswert wäre es, Vorurteile abzubauen, indem man verstärkt über Laborfleisch aufklärt und zugleich die Vorteile einer pflanzlichen Ernährung hervorhebt.

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