Kippelemente entstehen durch die Klimakrise und verstärken gleichzeitig die globale Erwärmung. Hier erfährst du, was es genau mit diesen Elementen auf sich hat und welche fatale Folgen sie haben.
Was sind Kippelemente?
Als Kippelemente bezeichnet man Bestandteile des globalen Klimasystems, die durch eine steigende Umgebungstemperatur aus dem Gleichgewicht geraten. Wenn sie dabei bestimmte Grenzwerte (sogenannte „Kipppunkte„) erreichen, befinden sie sich in einem irreversiblen neuen Zustand. Sie können also nie mehr in ihre eigentliche Ausgangslage zurückkehren.
Wenn zum Beispiel in der Arktis weitläufige Eisflächen verschwinden, kommt darunter die Meeresoberfläche zum Vorschein. Diese erwärmt sich durch Sonneneinstrahlung schneller als das Eis – und treibt dadurch die Eisschmelze voran. Wenn Atmosphäre und Ozean zu warm werden, wird die Arktis im Sommer dauerhaft eisfrei sein.
Kippelemente tragen deshalb auch dazu bei, dass sich die Klimakrise schneller und ungehindert fortsetzt. Dieses Phänomen bezeichnet man auch als klimatische Rückkopplung.
Es kommt also bei einigen Kippelementen (insbesondere bei schwindenden Eiskörpern) zu selbstverstärkenden Effekten und Kettenreaktionen, die dazu führen können, dass weitere Kippelemente ihre Kipppunkte erreichen. Ein derartiges Zusammenspiel an Kippelementen könnte die Erde laut Forscher:innen in eine neue Heißzeit versetzen. Dann würden die globale Temperatur um bis zu fünf Grad Celsius und die Meeresspiegel um bis zu 60 Meter ansteigen. Ganze Landstriche stünden unter die Wasser. Dies würde unsere Erde drastisch verändern.
Übrigens: Der Begriff der Kippelemente geht auf den deutschen Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber zurück.
Kippelemente: Diese Kategorien gibt es
Laut dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gibt es bislang neun verschiedene Kippelemente in unserem Erdsystem. Diese lassen sich in drei Kategorien einteilen:
- Schmelzende Eiskörper: Die bisherige globale Erwärmung führt dazu, dass immer mehr Eismassen schmelzen. Wenn Eis schmilzt, legt es dadurch in der Regel eine dunklere Oberfläche frei (zum Beispiel die Meeresoberfläche oder Felsen). Diese kann mehr Sonnenlicht aufnehmen als das Eis und erwärmt sich demnach stärker. Das führt wiederum dazu, dass die restlichen Eiskörper schneller schmelzen. Der Eisschwund ist also sowohl Folge als auch Ursache der Klimakrise. Diesen selbstverstärkenden Mechanismus bezeichnen Klimaforscher:innen als die Eis-Albedo-Rückkopplung.
- Veränderte Strömungssysteme: Meeres- und Luftströmungen verändern sich ständig auf natürliche Weise. In der Klimaforschung fällt jedoch auf, dass es immer drastischere Schwankungen gibt, die mit der Klimakrise zusammenhängen. Das geschmolzene Arktiseis fließt zum Beispiel in den Atlantik. Diese hohen Süßwassermengen führen zu Veränderungen des Nordatlantikstroms. Veränderungen von Meereszirkulationen beeinflussen wiederum Luftströmungen, die unter anderem Extremwetterlagen wie Dürre, Hitze- und Kältewellen begünstigen können.
- Bedrohte Ökosysteme: Wenn sich klimatische Bedingungen in einem Ökosystem ändern, sind Tiere und Pflanzen eventuell nicht mehr angepasst genug, um dort überleben zu können. Die Klimakrise begünstigt dadurch das Artensterben und kann ganze Ökosysteme verschwinden lassen.
Kippelemente: Schwindende Eiskörper
Das PIK hat bislang 16 Kippelemente identifiziert. In der Kategorie der Eiskörper gehören dazu unter anderem:
- Das Schmelzen des Arktischen Meereises: Seit Jahrzehnten verkleinert sich die arktische Eisfläche und die Dicke der Eisplatten nimmt ab. Forscher:innen gehen davon aus, dass die Arktis bis zum Ende dieses Jahrhunderts im Sommer komplett eisfrei sein wird. Dieses Kippelement und seine Auswirkungen sind ein Grund, warum sich die globale Erwärmung in den hohen nördlichen Breiten etwa doppelt so schnell vollzieht wie im globalen Durchschnitt.
- Das Auftauen der arktischen Permafrostböden: Die arktischen Permafrostböden befinden sich in Sibirien und Nordamerika. Wenn sie auftauen, setzen sie riesige CO2– und Methan-Mengen frei. Dabei gilt: Je mehr CO2 sie freisetzen, desto schneller taut der restliche gefrorene Boden auf. Denn die Treibhausgase gelangen in die Atmosphäre und verstärken dadurch die globale Erwärmung. Dieser selbstverstärkende Effekt führt zu einem Teufelskreis, bei dem immer höhere Mengen an Treibhausgasen die Klimakrise vorantreiben.
- Der Verlust des Grönland-Eispanzers: Auch in Grönland konnte man in den letzten Jahres einen starken Eisschwund bemerken. Der Grönland-Gletscher ist an einigen Stellen drei Kilometer dick und verliert durch die Erwärmung immer mehr an Höhe. Je niedriger er wird, umso mehr nähert er sich wärmeren Luftschichten, die seinen Schwund bestärken. Laut Wissenschaftler:innen gibt es Hinweise darauf, dass der Kipppunkt in diesem Fall schon bei einem Anstieg der globalen Temperatur von zwei Grad liegen könnte. Ist dieser Kipppunkt erreicht, ist ein vollständiger Eisverlust in Grönland unausweichlich.
Beispiele für veränderte Strömungen
Zu den Kippelementen aus der Kategorie der Strömungen zählen dem PIK zufolge unter anderem:
- Die Abschwächung der atlantischen thermohalinen Zirkulation: Ein wesentlicher Teil des Nordatlantikstroms ist der Golfstrom, der vor allem von kaltem und dichtem Salzwasser in der Tiefe vor der Küste Grönlands angetrieben wird. Durch geschmolzene Eismassen befinden sich jedoch mittlerweile höhere Süßwassermengen im nördlichen Ozean. Da Süßwasser leichter ist als Salzwasser, führt ein geringerer Salzgehalt dazu, dass nicht mehr so viel Wasser absinkt. Durch diesen Effekt hat sich der Golfstrom bislang bereits um 15 Prozent abgeschwächt. Nimmt diese Abschwächung zu, könnten marine Ökosysteme aus dem Gleichgewicht geraten. Zudem könnte der Meeresspiel insbesondere an der US-amerikanischen Atlantikküste ansteigen.
- Die Destabilisierung des indischen Monsuns: Durch die Klimakrise könnte das Monsunsystems Indiens aus dem Gleichgewicht geraten. Der Monsun würde dann in einigen Jahren viel schwächer ausfallen, was Dürreperioden auslösen könnte. In anderen Jahren wäre er hingegen viel zu stark und würde Überflutungen begünstigen. Ganz Südasien wäre demnach ständig einem Hin und Her zwischen Dürre und Flut ausgesetzt.
Bedrohte Ökosysteme als Kippelemente
Im Bereich der Ökosysteme benennt das PIK zum Beispiel die folgenden Kippelemente:
- Umwandlung des Amazonas-Regenwaldes: Weniger Niederschläge, Abholzung und starke Waldbrände bringen den Amazonas-Regenwald aus dem Gleichgewicht. Schwindet der Wald, gelangen hohe Mengen an CO2 in die Atmosphäre. Zudem gäbe es zukünftig deutlich weniger Waldfläche, die CO2 speichern könnte. Auch die Artenvielfalt geht mit dem Schwinden des Regenwaldes zurück.
- Zerstörung von Korallenriffen: Höhere Wassertemperaturen in den tropischen Ozeangebieten schädigen die sensiblen Korallenriffe und können bis zu einer „Korallenbleiche“ führen. In diesem Fall haben die Korallenpolypen die Algen abgestoßen, die sonst in ihnen leben und für die bunten und schillernden Farben sorgen. Die Polypen sterben in der Folge meist selbst ab. Was zurückbleibt, ist ein leb- und farbloser Korallenfriedhof. Es dauert dann mehrere tausend Jahre, bis das Riff wieder nachwächst.
- Abschwächung der Marinen Kohlenstoffpumpe: Die Weltmeere nahmen bislang etwa 40 Prozent der menschengemachten CO2-Emissionen auf. Dies liegt insbesondere an Algen, die Kohlenstoffdioxid aufnehmen und dann absterben und in die Tiefe sinken. Auf dem Meeresboden lagert sich organische Materie ab, in der der Kohlenstoff auf lange Zeit gebunden wird. Kommt es zu einer zunehmenden Erwärmung, Versauerung und Sauerstoffarmut des Ozeanwassers, wird dieser Mechanismus gestört. Die Versauerung entsteht, weil die Weltmeere immer mehr CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen müssen. CO2 senkt den ph-Wert des Wassers, macht die Ozeane also saurer. Die Sauerstoffarmut hängt mit den steigenden Wassertemperaturen und somit ebenfalls mit der Klimakrise zusammen. Durch all diese Veränderungen gelangt mehr CO2 in die Atmosphäre und die Klimakrise wird weiter angekurbelt.
Kippelemente: Welche Kipppunkte sind schon erreicht?
Laut einem Bericht des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2008 ist es nicht einfach, genau vorherzusagen, wann und in welchem Ausmaß Kipppunkte erreicht werden oder ob sie bereits erreicht worden sind. So können Forscher:innen manche Prozesse nicht mit Modellen simulieren oder sind sich noch nicht einig über mögliche Zusammenhänge zwischen Kippelementen. Wie genau sich Kippelemente auswirken werden, ist deshalb noch nichts bis ins letzte Detail geklärt. Dass sie Schaden anrichten werden, ist aber klar.
In einem aktuelleren Artikel des Fachjournals Nature aus dem Jahr 2019 weisen Klimaforscher:innen darauf hin, dass einige Kipppunkte womöglich schneller erreicht werden als bisher gedacht. Sie betonen zudem, dass die einzelnen Kippelemente auch enger miteinander zusammenhängen als bislang angenommen. Demnach wären auch die Auswirkungen fataler, sobald ein Element seinen Kipppunkte überschreitet.
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