Der Klimawandel und seine Folgen betreffen uns alle. Doch gibt es in Deutschland bereits einen Plan B, wenn die Klimaziele nicht eingehalten werden? Welche Anpassungsstrategie verfolgt die Bundesrepublik?
Setzen globale Politik, Industrie und Gesellschaft auf ein „Weiter so“, ist der Klimawandel unabwendbar. Trotz globaler Schulterschlüsse wie dem Pariser Klimaabkommen von 2015 stieg der weltweite CO2-Ausstoß 2019 weiter an – und damit auch die globalen Temperaturen und der Meeresspiegel. Fatale Auswirkungen auf unsere Umwelt und schwer kalkulierbare Rückkopplungseffekte sind die Folgen.
Für uns drängt sich die Frage auf, wie wir in Deutschland mit den Folgen des Klimawandels umgehen sollten – sie treffen uns schließlich nicht völlig unerwartet. Welche Anpassungen sind notwendig und gibt es einen „Plan B“, wenn die Klimaziele scheitern?
Anpassen an den Klimawandel: von DAS zu APA
Die Bundesregierung unter Angela Merkel hat einen Plan entwickelt, sogar mehr als einen. Startpunkt war 2008 die Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel (kurz: DAS). Dieser politische Handlungsrahmen beinhaltet Maßnahmen für kritische Hotspots. Dazu gehören 15 Handlungsfelder wie Bauwesen, biologische Vielfalt, Landwirtschaft, Energiewirtschaft und Gesundheit.
Zur Unterstützung der Strategie folgte 2011 der Aktionsplan Anpassung (kurz: APA) mit 140 erweiterten Maßnahmen. Beide Pläne wurden 2015 und 2019 auf den Prüfstand gestellt. Erst kürzlich präsentierten Bundesregierung und Bundesumweltamt den zweiten Fortschrittsbericht zur DAS und den Aktionsplan Anpassung III mit weiteren 188 Maßnahmen zur Klimavorsorge.
„Auf politischer Ebene ist Deutschland gut vorbereitet, die vielen Aktivitäten bringen die Anpassung an den Klimawandel voran“, meint Johannes Rupp, wissenschaftlicher Mitarbeiter am gemeinnützigen Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin. Doch für was müssen wir uns eigentlich rüsten?
Die Risiken des Klimawandels: Erwärmung und Wasser
Eine Folge der Erderwärmung spüren wir schon seit Jahren: Die Sommer werden heißer und trockener, die Winter wärmer und feuchter. Doch der Temperaturanstieg bringt noch weitaus größere Herausforderungen mit sich: „Basis für die Identifizierung von Klimarisiken in Deutschland ist die Vulnerabilitätsanalyse des Bundes von 2015“, erklärt Dr. Achim Daschkeit, Mitarbeiter am Umweltbundesamt Kompetenzzentrum Klimafolgen und Anpassung (KomPass).
Anpassungsstrategie: 6 Handlungsfelder beim Klimawandel
Die Vulnerabilitätsanalyse definiert sechs Handlungsfelder und diverse räumliche Schwerpunkte:
1. stärkere Hitzebelastung
Ein wesentlicher Punkt ist die ansteigende Hitzebelastung: „Aktuelle Daten zeigen, dass die Durchschnittstemperatur in Deutschland von 1881 bis 2018 um rund 1,5 Grad zugenommen hat“, so Dr. Daschkeit.
Die vergangenen Jahre waren überdurchschnittlich warm, heiße Tage haben deutlich zugenommen. In Zukunft erwarten uns intensivere Hitzewellen, vor allem in Ballungsgebieten und Großstädten. „Schon jetzt setzen extreme Hitzeperioden im Sommer den Menschen häufiger als sonst zu“, sagt Dr. Daschkeit.
2. Wasserknappheit
Künftig kann es durch anhaltende Trockenheit vor allem in Regionen im Osten Deutschlands und dem Rhein-Einzugsgebiet im Sommer zu Wasserknappheit kommen. Längere Dürreperioden „haben schon jetzt negative Auswirkungen auf Deutschlands Wälder und die Erträge in der Landwirtschaft“, so Johannes Rupp.
Der Grundwasserspiegel kann saisonal stark schwanken, die Wasserqualität variieren. Sogar Kraftwerke könnten in Zukunft Engpässe beim Kühlwasser bekommen. „Die Wasserwirtschaft muss sich in Zukunft besonderen Herausforderungen im Umgang mit der Bereitstellung der Ressource Wasser stellen“, so Rupp.
3. Extremwetter
Beim dritten Handlungsfeld stehen potenzielle Schäden an Gebäuden und Infrastruktur durch Extremwetter wie Starkregen und Sturzfluten im Fokus. Im Herbst und Winter bringen heftige Niederschläge oft große Überschwemmungen in kurzer Zeit mit sich.
„Betroffene Ballungszentren liegen vor allem im nordwestdeutschen Tiefland, im Mittelgebirge sowie im südwestdeutschen Raum“, so Dr. Daschkeit. Auch Großstädte stehen unter besonderer Beobachtung, da sie durch Infrastruktur und Gebäude versiegelt sind.
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4. Hochwasser und Überschwemmungen
Schwerwiegende Schäden werden auch durch Überschwemmungen und Hochwasser wahrscheinlicher. Wasserreiche Flüsse wie Elbe oder Donau sind verwundbare Adern, die sich durch ganz Deutschland schlängeln. Extremwetter erhöht das Risiko für Überschwemmungen und anhaltendes Hochwasser in flussnahen Regionen.
Ähnlich verhält es sich mit unserer nördlichen Grenze – entlang der Nord- und Ostsee. Der Meeresspiegel stieg an den deutschen Küsten im vergangenen Jahrhundert um 15 bis 20 Zentimeter und wird bis 2100 sogar um weitere 20 bis 80 Zentimeter steigen, prognostizieren Forscher*innen.
5. Sturmfluten
Das hat Folgen für die Meerestiere sowie die Bevölkerung und Infrastruktur an Nord- und Ostsee. Aktuell leben über 3,2 Millionen Einwohner*innen in gefährdeten Zonen. Sturmfluten haben durch den Anstieg des Meeresspiegels einen höheren Ausgangspunkt und treffen intensiver auf die Küste, schwerwiegende „Jahrhundertfluten“ werden noch wahrscheinlicher.
„Sturmfluten und Hochwasser können auch globale Folgen haben, viele Industriezweige sind an internationale Lieferketten gebunden. So hatten die Automobilindustrie und die IT-Branche 2011 massive Probleme, als Überschwemmungen in Thailand die Hersteller und Zulieferer beeinträchtigten“, so Dr. Esther Hoffmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IÖW.
6. gefährdete Biodiversität
Die Erderwärmung hat aber auch schwerwiegende Auswirkungen auf die biologische Vielfalt: „Der Temperaturanstieg verändert die Artenzusammensetzung im Meer sowie in ländlichen Räumen und hat Einfluss auf die natürlichen Entwicklungsphasen von Arten“, fasst Dr. Daschkeit zusammen.
Das hat langfristige Folgen „für die jahreszeitliche Entwicklung, Verhalten, Fortpflanzung, Konkurrenzfähigkeit und Nahrungsbeziehungen von Arten“, heißt es beim Umweltbundesamt (UBA).
Deutsche Wälder haben bereits jetzt mit anhaltender Trockenheit zu kämpfen: Bäume verlieren an Robustheit und sind anfälliger für Schädlinge wie dem Borkenkäfer, der sich unter diesen Bedingungen besser ausbreiten kann. Auch Zecken, der Eichenprozessionsspinner und toxische Blaualgen mögen die neuen Klimaverhältnisse.
Das hat Einfluss auf unsere Gesundheit: Allergiker*innen haben durch frühere und länger anhaltende Pollenflüge Probleme. Durch die globale Verschiebung der Temperaturen finden Exoten wie die Tigermücke und Krankheiten wie Malaria öfter den Weg nach Deutschland.
Lies dazu auch: Biodiversität: Wie die Vielfalt von Ökosystemen und Arten unser Leben bestimmt
Klimawandel in den deutschen Bundesländern und die Anpassungsstrategien
Das UBA hat neben der Analyse der allgemeinen Risikofaktoren auch regionale Folgen für die Bundesländer zusammengetragen. Zur Anpassung an den Klimawandel liegt der Fokus auf drei Schwerpunkten: „Einerseits geht es um die Vermeidung bzw. Verringerung von Wassernutzungskonflikten sowie den klimaresilienten Umbau unserer Wälder und Städte. Andererseits müssen wir Klimavorsorge noch konsequenter an Nachhaltigkeitszielen ausrichten und auf naturbasierte Lösungen setzen“, so Dr. Daschkeit.
Die Vulnerabilitätsanalyse erhält 2021 ein Update, schon jetzt wird der Fokus verstärkt auf die andauernde Dürre auf dem Land gelegt. „Notwendig ist ein systematischer Umgang mit Wassernutzungskonflikten“, so Prof. Dr. Dirk Messner, Präsident des UBA. Außerdem soll noch viel mehr in struktur- und artenreiche Wälder investiert werden. Ziel der Aktivitäten ist laut Dr. Daschkeit, „negative Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren oder am besten komplett zu vermeiden“.
An den Klimawandel anpassen? Sensibilisierung, Renaturierung, Warnsysteme im Überblick
Etliche Handlungsfelder, regionale Schwerpunkte und hunderte Maßnahmen zeigen das Bemühen von Bund und Ländern, sich an den Klimawandel anzupassen. Doch was passiert konkret, um gegen die Risiken und veränderten Rahmenbedingungen anzukommen?
- Gegen Wasserknappheit werden in gefährdeten Regionen Warnsysteme eingerichtet und der Wasserhaushalt bedarfsgerecht reguliert.
- Um Trockenheit und Artensterben in den Wäldern den Kampf anzusagen, setzen Förster*innen auf Vielfalt: Mehr Mischwälder und dem Klima angepasste Baumarten sollen der Natur wieder auf die Sprünge helfen.
- Holzproduzent*innen sollen Holz nach und nach aus nachhaltiger Forstwirtschaft beziehen, der zukünftige Bedarf allein aus heimischer Erzeugung gedeckt werden.
- Die Landwirtschaft wird langfristig weniger chemische Schutzmittel verwenden dürfen, der Anteil von ökologischem Landbau soll systematisch erhöht werden. Das verhilft der Biodiversität und Artenvielfalt wieder zu alter Stärke – so zumindest die Hoffnung.
- Ein bundesweiter Biotopverbund soll „den heimischen Arten mehr Lebensräume und Überlebensmöglichkeiten schaffen und die Organismen in Folge von klimatischen Veränderungen bei der Anpassung unterstützen“, so Dr. Daschkeit.
Um Gesundheitsrisiken durch Hitze für die Bevölkerung zu minimieren, setzt die Anpassungsstrategie neben der Modernisierung von Krankenhäusern sowie Alten- und Pflegeheimen auf die Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung.
- Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat ein bundesweites Hitzewarnsystem inklusive Hitze-Newsletter eingerichtet. Die Stadt Köln beispielsweise entwickelte einen eigenen Hitzeaktionsplan.
- Der Pollenflug-Gefahrenindex und andere Apps warnen Betroffene und unterstützen bei der Entwicklung von Ausweichstrategien.
Um Hochwasser und Sturmfluten besser beherrschen zu können, investiert der Bund seit 2007 massiv in das Risikomanagement, Frühwarnsysteme und die Renaturierung von Fließgewässern. 2015 entstand für jedes deutsche Flussgebiet ein individueller Risiko- und Aktionsplan, der 2021 weiter angepasst wird: Die Deiche entlang der Flüsse werden immer höher gebaut und zurückverlegt, durch Renaturierung entstehen natürliche Auffangbecken für das hohe Wasseraufkommen.
Auch an den Küsten entstehen stabilere und höhere Deichanlagen – leider oft auf Kosten von natürlichen Lebensräumen wie Wattflächen, Seegraswiesen oder Dünen.
Städteplanung an den Klimawandel anpassen
„Da der Klimawandel lokal und regional unterschiedlich ausgeprägt ist, nimmt auch das Thema Stadt- und Raumplanung eine Schlüsselrolle im Bereich der Klimaanpassung ein“, weiß Dr. Daschkeit. Um die Entwässerungssysteme zu entlasten, setzt Hamburg beispielsweise auf eine Gründachstrategie und will 100 Hektar Dachfläche begrünen. Diese vergleichsweise günstige Maßnahme trage zur Reduzierung der Hitzebelastung bei, speichere Wasser und stärke die Biodiversität in der Stadt, so Prof. Dr. Dirk Messner vom UBA.
Fazit: gute Basis trotz ungenutztem Potenzial
Mit dem jüngsten Fortschrittsbericht zur DAS und dem APA III setzt die Bundesregierung neue Prioritäten in der Klimaanpassung. Millionenschwere Förderprogramme gibt es für soziale Einrichtungen sowie die Renaturierung von Flussgebieten und Stadtteilen. Ideenreichtum und finanzielle Mittel sind offensichtlich reichlich vorhanden. doch es gibt noch Optimierungspotenzial:
„Der Fokus darf nicht allein auf technischen Maßnahmen liegen. Insgesamt bedarf es noch mehr Kommunikation und effektiverer Kooperationen zwischen Bund, Ländern und Kommunen, damit auch Wirtschaft und Zivilgesellschaft besser mitgenommen und zu eigener Vorsorge aktiviert werden“, sagt Dr. Esther Hoffmann vom IÖW.
Dafür sollten die Vor- und Nachteile der Maßnahmen noch verständlicher und transparenter aufgezeigt werden. Dann kann jede*r den Klimawandel und seine Folgen besser verstehen und sich der eigenen Rolle bewusst werden. Dafür gibt es schon jetzt zahlreiche Initiativen, etwa „klimafit“-Kurse an Volkshochschulen. Wer selbst aktiv werden will, findet im Klimavorsorgeportal der Bundesregierung viele Informationen, Leitfäden und Weiterbildungen. Denn die Klimakrise betrifft uns alle, gemeinsam gehen wir die Probleme besser an.
Und wer schon diese Woche nachhaltiger leben will: 7 Nachhaltigkeitstipps, die du diese Woche umsetzen kannst.
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