Quiet Quitting bezeichnet eine Bewegung aus den USA, die zunehmend auch hier die Arbeitswelt beschäftigt. Gemeint ist damit, dass Arbeitnehmer:innen nicht mehr tun als das, wofür sie bezahlt werden. Ist das gesund oder nur faul? Das kommt auf die Perspektive an.
Für viele Angestellte gehören regelmäßige Überstunden, Calls nach Feierabend und eine Vielzahl an Extra-Projekten zum Berufsalltag. Aber muss das so sein?
Das Konzept des „Quiet Quitting“ sagt: Nein. Es stellt damit eine Art Gegenentwurf dar zur Priorisierung der Arbeit, zu 60-Stunden-Wochen und permanenter Erreichbarkeit. Vor allem auf dem US-Arbeitsmarkt scheint Quiet Quitting das Thema der Stunde. Gemeint ist damit etwas sehr Simples, etwas Selbstverständliches, könnte man meinen: Nämlich, dass Arbeitnehmer:innen für ihre Unternehmen nicht mehr als das tun, wofür sie angestellt sind und bezahlt werden.
Veränderte Arbeitswelt
Vor allem seit Beginn der Pandemie scheinen viele Arbeitnehmer:innen ihre Prioritäten in Frage zu stellen. Laut Arbeitsmarktexpert:innen findet eine leichte Verschiebung statt: Mark Fallak, Kommunikationschef beim renommierten Institute of Labor Economics (IZA), etwa glaubt „dass bei den Karrierewünschen der jüngeren Generation die vielzitierte Work-Life-Balance einen höheren Stellenwert hat und sich tendenziell mehr in Richtung Life neigt.“ Anders gesagt: Private Freiräume zählen offenbar für viele heute bei der Arbeit mehr als Gehalt oder Prestige.
Mehr dazu: Generation Z: Lieber ohne Arbeit als unglücklich im Job
Fallak sieht darin eine Reaktion auf die zunehmende Digitalisierung in der Arbeitswelt – welche die Pandemie bekanntlich beschleunigt hat: „Die Digitalisierung hat flexibles, mobiles Arbeiten erleichtert, was vielen Menschen entgegenkommt. Andererseits kommt es dadurch aber auch zu einer zunehmenden Entgrenzung von Arbeitszeit und Freizeit, die sehr belastend wirken kann, wenn es nicht gelingt, sich selbst Grenzen zu setzen“, so der Experte.
„Was jetzt als ‚Quiet Quitting‘ bezeichnet wird, ist der Versuch, dieser Entgrenzung entgegenzuwirken.“
Möglich ist, dass die Pandemie zudem vielen vor Augen geführt hat, was wirklich zählt, wenn es hart auf hart kommt: Gesundheit und Familie zum Beispiel. Wenn mein Job nicht „systemrelevant“ ist oder ich sogar in Kurzarbeit geschickt werde, warum ackere ich mich dann eigentlich dafür ab? Der Hype um „Quiet Quitting“ jedenfalls offenbart, dass sich international nicht wenige Menschen die Frage stellen, ob die selbstverständlich gewordene hohe Belastung vieler Jobs noch gerechtfertigt ist.
Man kann, wenn man möchte, aus dem Begriff Quiet Quitting dann auch eine Doppelbedeutung herauslesen: Quitting im Sinne von „Kündigung“, also die „stille Kündigung“. Aber „quit“ kann auch so viel wie „aufgeben“ oder „beenden“ bedeuten – das Aufgeben des „zu Viels“.
„Dein Wert als Person definiert sich nicht durch deine Leistung“
Auf wen oder was genau der Begriff zurückgeht, ist nicht mehr klar nachzuvollziehen, zum Trend wurde er unter anderem durch ein virales TikTok-Video (rund 3,5 Millionen Views), in dem ein User „Quiet Quitting“ erklärt: Es geht nicht darum, den Job zu kündigen, sondern darum, sich von der Idee zu verabschieden, über das normale Maß hinausgehen zu müssen („quitting the idea of going above and beyond“).
Im Video bringt der User Zaid Khan („Zaidleppelin“) es so auf den Punkt: „Du erfüllst immer noch deine Pflichten, aber du folgst nicht mehr der Mentalität der ‚Hustle Culture‘, dass Arbeit dein Leben sein muss. Die Realität ist: Sie ist es nicht. Und dein Wert als Person definiert sich nicht durch deine Leistung.“
Zumindest in den USA wird „Quiet Quitting“ inzwischen als Bewegung wahrgenommen, in den sozialen Medien tauschen sich dazu viele, viele Menschen aus, die nicht mehr einsehen, warum sie im Beruf mehr tun sollen, als das, wofür sie bezahlt werden.
Lange Zeit wurde dieses Über-Engagement in vielen Jobs und Branchen quasi stillschweigend vorausgesetzt. Und Arbeitnehmer:innen machten (und machen) mit, mitunter allein aus Angst vor dem Jobverlust, manchmal weil es quasi zur Firmenkultur gehört. Doch mit dem allgegenwärtigen Personal- und Fachkräftemangel entwickelt sich gerade ein neues Selbstbewusstsein unter Arbeitnehmer:innen.
„Der Fachkräftemangel hat inzwischen viele Branchen erfasst und weitet sich zu einem generellen Arbeitskräftemangel aus. Dadurch steigt natürlich die Verhandlungsmacht von Beschäftigten und Stellenbewerber:innen gegenüber den Unternehmen“,
erklärt Fallak vom IZA. „Statt mehr Geld fordern viele heute kürzere und vor allem flexiblere Arbeitszeiten.“
Er sieht die Unternehmen in der Pflicht, auf diese Wünsche der Arbeitnehmer:innen zu reagieren: „Die Unternehmen müssen sich als attraktive Arbeitgeber positionieren. Das muss nicht immer Kickertisch, vegane Snacks und Vier-Tage-Woche bedeuten. Spielräume für flexibles und selbstbestimmtes Arbeiten gehören aber in jedem Fall dazu.“
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Quiet Quitting: Warum das nichts mit Faulheit zu tun hat
Derzeit ist ja viel von der „Gratismentalität“ der Deutschen die Rede. Eine gewisse Gratismentalität scheint es bislang auch bei vielen Unternehmen zu geben, die von dem freiwillig (und meist unbezahlt) geleisteten Extra-Engagement ihrer Angestellten profitieren. Dass da nun nicht mehr alle Mitarbeiter:innen mitmachen wollen, scheint zumindest bei manchen Unternehmen – und arbeitgebernahen Expert:innen – für Unverständnis zu sorgen.
Schon titelt „Gründerszene“ provokativ „Ist die Generation Z zu faul zum Arbeiten?“. Jochen Mai, Gründer von karriebibel.de schimpft auf das „Dämonisieren von Leistungswillen“ und die „passive Larmoyanz“ der Quiet Quitter – offenbar ohne hinterfragen zu wollen, ob „Leistung“ alleine heute noch sinnstiftend für Arbeitnehmer:innen ist. Der Arbeitsmarkt-Experte Marco Nink nennt gar im „Management-Blog“ der Wirtschaftswoche Quiet Quitter das „neue Feindbild amerikanischer Arbeitgeber“.
Dabei scheint es, wenn man den Debatten auf TikTok und Co. folgt, den meisten nicht um Passivität oder Leistungsverweigerung zu gehen – sondern um die Abkehr von der Vorstellung, ständig überperformen zu müssen. Es liegt auch an den Unternehmen, hier den Druck auf Angestellte zu reduzieren und ihnen Respekt entgegenzubringen.
Quit Quitting als Notbremse vor dem Burnout?
Aus Arbeitnehmer:innen- und Arbeitgeber:innen-Perspektive ungut wäre natürlich, wenn Quiet Quitting einher geht mit einer kompletten Distanzierung zum Unternehmen, einer Art innerem Abschied und der Lustlosigkeit, sich in irgendeiner Form zu engagieren. In diesem Fall, da sind sich die Expert:innen einig, ist eine berufliche Neuorientierung oder zumindest ein Jobwechsel die bessere Entscheidung.
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Doch wenn es in der Praxis etwa bedeutet, Projekte abzulehnen, die über den eigenen Aufgabenbereich hinausgehen, pünktlich Feierabend zu machen und nach Feierabend keine beruflichen Nachrichten mehr zu beantworten, dann kann das einer gesunden Work-Life-Balance und der mentalen Gesundheit der Arbeitnehmer:innen eigentlich nur zuträglich sein.
Ob Quiet Quitting daher Burnout vorbeugen kann, wie manche behaupten, oder erst dann einsetzt, wenn es eigentlich schon zu spät ist, diese Frage sollte sich jede:r Betroffene ehrlich stellen. Zufriedener wird man als Quit Quitter wahrscheinlich vor allem dann sein, wenn man seine Tätigkeit trotz verringerter Last als sinnvoll empfindet und womöglich sogar in weniger Zeit besonders effizient arbeitet. Und wenn der „Dienst nach Vorschrift“ einen weniger zufrieden zurücklässt, ist es womöglich Zeit für echtes Quitting.
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