„Wie neu, nur besser“: Kilian Kaminski hat mit refurbed eine Plattform für rundum erneuerte Elektronikgeräte gegründet. Im Gespräch mit Utopia erklärt er den Unterschied zu Neu- und Gebrauchtware – und warum er mit seinen Ideen bei Amazon gescheitert war.
Das Smartphone ist kaputt, der Laptop pfeift auf dem letzten Loch? Wer sich um nachhaltigen Ersatz bemüht, hat es gar nicht so leicht: Die Neuproduktion von Elektronikgeräten verschlingt wertvolle Ressourcen, erzeugt große Mengen an CO2, belastet Mensch und Umwelt – und zurück bleibt problematischer Elektroschrott.
Folgende Optionen bleiben: Sich an die wenigen Hersteller halten, die etwas besser machen, ganz verzichten, gebraucht kaufen – oder ein sogenanntes „Refurbished-Gerät“ wählen (refurbished heißt so viel wie aufpoliert und instand gesetzt). Kilian Kaminski hat 2017 mit zwei weiteren Gründern die E-Commerce-Plattform Refurbed** gestartet. Dort findet man gebündelt jede Menge erneuerte Geräte, und damit eine nachhaltige und günstige Alternative.
Im Gespräch mit Utopia erklärt Kaminski, worin die Vorteile bei Refurbished-Produkten liegen – und wieso sein früherer Arbeitgeber, Amazon, kein Interesse daran hat, dessen Kunden über diese Möglichkeit zu informieren.
Refurbished-Geräte: wie neu, aber nachhaltiger als neu
Utopia: „Wie neu, nur besser“ schreibt ihr auf eurer E-Commerce-Plattform refurbed. Was bekommt man bei euch für Geräte?
Kilian Kaminski: Bei uns kriegt man alle möglichen Elektronikgeräte, angefangen bei Handys und Laptops, aber auch Tablets, Küchen- und Haushaltgeräte wie Staubsauger – wirklich die ganze Bandbreite. Der Vorteil an unseren Produkten ist, dass sie aufgrund des Aufbereitungsprozesses am Ende wirklich wie neu aussehen und wie neu funktionieren. Und weil sie wie neu sind, aber nachhaltiger als neue Geräte, sind sie für uns besser als neu.
Viele Menschen kennen diese Option gar nicht, nur entweder Neuware und Gebrauchtware.
Ja, und es ist sehr schwer zu vermitteln, dass es noch eine dritte Zustandskategorie gibt. Gebrauchtware ist für die meisten Leute negativ behaftet, weil: irgendwie defekt, geht nicht, kaputt, ich hab Probleme damit. Ein Refurbished-Produkt durchläuft bis zu 40 Schritte der Überprüfung. Das heißt, es werden Softwarechecks und Hardwarechecks gemacht, jeder einzelne Pixel der Kamera, das Display und der Lautsprecher werden überprüft. Und erst, wenn alles funktioniert, wird das Gerät wiederverkauft. Das hat am Ende absolut gar nichts mehr mit gebraucht zu tun.
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Viele sagen: „Das ist ja voll innovativ, hab ich noch nie gehört“
Das Refurbished-Geschäft gibt es doch eigentlich schon seit etwa 15 Jahren, zum Beispiel dank Unternehmen wie Rebuy?
Ja, aber das Problem ist: Wenn ich heutzutage Vorträge halte und von Refurbed erzähle, dann sagen viele: „Das ist ja voll innovativ, hab ich noch nie gehört.“ Nur zehn Prozent unserer Kunden suchen bewusst nach Refurbished-Produkten. Die anderen 90 Prozent suchen nach Neuware und Gebrauchtware, finden uns dann auf der Suche und merken: Das ist doch eine viel bessere Lösung. Wir können Geld sparen, kriegen eine Garantie und es ist nachhaltiger.
Warum haben es Refurbished-Produkte dann so schwer?
Wenn ich als einfacher Refurbisher tätig bin, der alles selbst macht, ist es sehr schwierig, es wirklich groß zu machen. Man hat hohe Kosten, um die Waren aufzubereiten, ein eigenes Lager zu betreiben etc. Unser Fokus ist: Wir sind als Marktplatz tätig, denn wir sind gut im Marketing und Kundenservice und müssen auf unserer Plattform erst mal erklären, was die Kunden da bekommen. Indem man bei uns kauft, spart man sich, bei Google zwanzig verschiedene Shops anzuklicken und zu vergleichen. Unsere Partner, die wir nach strengen Qualitätskriterien auswählen, kümmern sich um die perfekte Ware.
Das gebrauchte Handy aus der Schublade genügt den Ansprüchen nicht
Mein gebrauchtes Handy aus der Schublade wäre also keine Ware, die für euch in Frage kommt?
Nein. Es kann nicht einfach jemand sagen „Hey, ich verkaufe jetzt bei euch“ und sich bei uns bewerben. Wir arbeiten nicht mit diesen Reparaturshops vom Hauptbahnhof zusammen, die man vielleicht kennt. Wir kooperieren nur mit professionellen Refurbishern, die zwischen 1.000 und 10.000 Geräten pro Woche refurbishen. Da sieht es eher aus wie in Laboren: In einigen wird mit Kitteln und Haarnetzen gearbeitet. Das sind quasi professionelle Fabriken, wo die Geräte aufgeschraubt und überarbeitet werden. Diese Refurbisher können Ware in der Qualität liefern, die wir erwarten.
Und die Refurbisher profitieren davon, dass ihr die Kunden mit ihnen vernetzt.
Genau, der Vorteil für den Refurbisher ist: Er muss kein Marketing betreiben. Das machen wir für ihn. Für den Käufer ist der große Vorteil, dass wir eine extrem breite Selektion haben, weil wir mit verschiedenen Partnern zusammenarbeiten. Und es ist selten so, dass ein einzelner Refurbisher alles von Handys über Laptops bis zu Haushaltsgeräten macht.
Im Durchschnitt müssen nur zwei Komponenten ausgetauscht werden
Die konzentrieren sich eher auf eine Kategorie?
Ja, meistens. Zum Beispiel nur auf Smartphones, und dann vielleicht nur auf eine Marke. Damit haben sie in genau diesem Bereich eine hohe Expertise und können die Geräte extrem gut aufbereiten. Das sorgt für gute Preise, weil sie zum Beispiel große Mengen Ersatzteile einkaufen oder große Mengen von einzelnen Geräten kaufen können.
Wo kommt diese Ware denn in der Regel her?
Die meisten Geräte kommen von großen Unternehmen, zum Beispiel Firmenhandys. Oft ist es so, dass die vielleicht ein halbes Jahr oder ein Jahr genutzt und sehr gut gepflegt werden. Im Durchschnitt müssen nur zwei Komponenten ausgetauscht werden, damit das Gerät wieder wie neu funktioniert. Das macht es viel nachhaltiger als Neuproduktion.
Wie viel nachhaltiger ist das denn tatsächlich?
Refurbishment an sich reduziert CO-Emissionen um 70 Prozent gegenüber der Neuproduktion eines Gerätes. Das hat damit zu tun, dass das Gerät zum Großteil eigentlich noch super funktioniert. Trotzdem sind immer noch 30 Prozent CO2-Emissionen vorhanden. Die entstehen zum Beispiel durch den Transport, durch das Wiederaufbereiten, den Austausch von Komponenten.
Wie kommt ihr auf diese 70 Prozent?
Die kommen nicht aus unserer persönlichen Kalkulation, sondern wir haben dafür mit Quantis zusammengearbeitet, einer unabhängigen Beratungsagentur für Nachhaltigkeit, die weltweit aktiv ist. Und 70 Prozent weniger CO2-Emissionen sind natürlich schon super. Aber für uns war auch die Überlegung: Wie können wir die restlichen 30 Prozent noch ausgleichen?
Und wie sieht dafür eure Lösung aus?
Pro verkauftem Gerät pflanzen wir einen Baum – und zwar dort, wo es viel Impact hat: in Haiti, Nepal oder Madagaskar. Wir arbeiten dafür mit der NGO „Eden Reforestation Projects“ zusammen. Ansonsten kooperieren wir mit verschiedenen Organisationen, um Nachhaltigkeit zu fördern – zum Beispiel mit der Deutschen Umwelthilfe, wenn Kunden ihre alten Elektronikgeräte gerne spenden möchten.
Mehr dazu: Bäume pflanzen fürs Klima: 16 empfehlenswerte Organisationen – und worauf du achten solltest
Bei Amazon bedient das Refurbished-Programm nur eine Nische
Du warst früher bei Amazon Leiter des Certified Refurbished Programs. Was hast du da genau gemacht?
Ich habe geholfen, das ganze Programm in Europa aufzubauen und war Hauptverantwortlicher für Deutschland und Österreich. Innerhalb meiner Position war ich zuständig für Marketing, PR, Entwicklung der Qualitätskriterien und die Händleranbindung.
Amazon ist aber nun nicht gerade die erste Adresse für nachhaltigere Elektronik. Wie groß ist dieses Programm?
Innerhalb der Amazon-Plattform wird nicht mal ein Prozentpunkt der Umsätze der Verkäufe über Refurbished-Ware getätigt. Das Team, das sich darum kümmert, ist auch sehr, sehr klein. Das ist nicht annähernd vergleichbar mit der Größenordnung für den Neuwaren-Verkauf.
Amazon-Kunden müssen gezielt danach suchen
Warum bist du nicht bei Amazon geblieben?
Ich habe relativ schnell erkannt, dass bei Amazon der Grund, dieses Programm zu starten, nicht war, dass man etwas Gutes tun möchte und den Kunden eine nachhaltige Alternative zum Elektronikkauf anbieten will.
Das ist nicht wirklich überraschend. Was versprach sich Amazon dann davon?
Der Grund war, dass die Kunden, die auf Amazon nach diesen Produkten suchen, sie auf Amazon auch finden sollten – und nicht auf Google gehen und es woanders kaufen. Das ist für sie die größte Gefahr, weil das Unternehmen selbst sagt: „We’re the everything-store“ – alles soll da gekauft werden können. Und das leisten sie, indem sie dieses Projekt gelauncht haben.
Mit Refurbished-Ware verdient man weniger Geld als mit Neuware
Also fristet Refurbishment dort ein Nischendasein.
Ja, denn es ist nicht so, dass der Kunde, der ein Neugerät auswählt, Informationen bekommt: „Hey, guck doch lieber die Refurbished-Produkte an, denn die sind günstiger und nachhaltiger.“ Das möchte Amazon vermeiden, weil die mehr Geld verdienen, wenn sie neue Geräte verkaufen als wenn sie Refurbished-Geräte verkaufen. Es ergibt für den Konzern keinen Sinn, das sehr groß zu machen, weil es sich mit seinem Neubestand kannibalisiert – und dadurch auch mit seiner größeren Umsatzquelle.
Hast du denn versucht, in deiner Zeit bei Amazon den Konzern zu mehr Refurbishment zu bewegen?
Ich hatte vorgeschlagen, dass der Kunde auf der Produktezeile für das neue Produkt informiert wird, dass es auch eine nachhaltigere Alternative gibt. Aber da kam aus Amerika relativ schnell die Information, dass das nicht umgesetzt werden soll – vermutlich, weil man mit Refurbished-Ware weniger Geld verdient als mit Neuware. Bei einem Konzern wie Amazon ist das natürlich das entscheidendere Kriterium als der gute Wille.
„Themen wie zum Beispiel Alexa oder Prime sind für Amazon viel wichtiger“
Wurden dir sonst noch Steine in den Weg gelegt?
Allgemein ist es so: Ein so großer Konzern hat Tausende Programmierer, die Änderungen an der Website durchführen. Aber Themen wie zum Beispiel Alexa oder Prime sind für Amazon viel wichtiger. Wenn ich dann so kleine Veränderungen haben wollte, die vielleicht einen halben Tag Programmierer-Zeit gekostet hätten, wurde mir gesagt, dass der nächste freie Slot in vier oder acht Monaten ist.
Klingt frustrierend.
Wenn man so arbeiten muss, kann man nicht wirklich etwas verändern. Das hat mir auch sehr klar gezeigt: Wenn man einfach nur ein kleines Projekt bei einem Riesenkonzern ist, das keine Priorität bei der absoluten, obersten Geschäftsebene hat, ist es sehr schwer, so etwas groß zu machen. Oder zumindest kann man es nicht so groß machen, dass es wirklich einen Impact hat.
Und das ging dir nicht weit genug?
Das Problem des Elektronikschrotts steigt immer weiter und die Produktion befeuert den Klimawandel. Ich persönlich war extrem überzeugt von der Idee, dass nachhaltige Elektronikprodukte und Refurbished-Produkte die Zukunft sein müssen – und auch bekannt gemacht werden müssen. Und wenn Amazon das nicht machen möchte, war die einzige Option, es selbst zu tun.
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Das Ziel: Jeder Haushalt soll ein Refurbished-Produkt besitzen
Wie soll es nun mit Refurbed in den nächsten Jahren weitergehen?
Unsere Vision ist, dass am Ende in ganz Europa jeder Haushalt ein Refurbished-Produkt hat. Wir wollen daran arbeiten, möglichst dem Kunden jedes Gerät, das er gern hätte, als Refurbished-Variante zur Verfügung zu stellen – damit er zumindest die Wahl hat. Und wir müssen das Vertrauen der Kunden gewinnen. Das ist auch der Grund, warum wir eine 30-tägige Testphase anbieten, innerhalb der man das Gerät kostenlos zurückschicken kann.
Die Leute gehen also eher pessimistisch an die Sache heran und lassen sich positiv überraschen?
Ja, genau. Denn ehrlich gesagt: Es schickt so gut wie niemand was zurück. Dafür kommt es vor, dass Kunden bei uns anrufen und sagen: „Entschuldigung, ich glaube, ihr habt mir ein neues Gerät geschickt, denn das sieht aus und funktioniert wie neu.“ Das ist natürlich die schönste ‚Kritik‘, die wir bekommen können.
Direkt zur Website von Refurbed**
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