Smart Textiles wollen nicht nur die Modebranche revolutionieren, sondern sollen auch andere Lebensbereiche verbessern. Doch wie steht es um die Nachhaltigkeit der intelligenten Textilien? Hier erfährst du alles Wichtige dazu.
Mit den Textilien der Zukunft sollen wir viel mehr können als uns anzukleiden oder unsere Wohnung zu dekorieren. Die sogenannten Smart Textiles (deutsch: intelligente Textilien) lassen Elektrotechnologie und Stoff wortwörtlich verschmelzen. Smart Textiles sind High-Tech-Textilien mit erweiterter Funktionalität, die aktiv auf ihre Umgebung reagieren. Dadurch kann das Gewebe Funktionen übernehmen, die den Alltag erleichtern und die Gesundheit, die Sicherheit oder sogar die Leistungsfähigkeit verbessern sollen.
Die Forschung arbeitet schon seit Längerem an Smart Textiles, denn die Fusion aus Technik und Textilien ist für viele Branchen interessant. Die intelligenten Fasern versprechen nicht nur eine Revolution der Modebranche, sondern sollen auch in der Medizin, im Bauwesen, in Smart Homes und in der Sicherheitsbranche Anwendung finden. Aus dieser Vorarbeit sind schon einige vielversprechende Prototypen entstanden. Vereinzelt sind Smart Textile-Produkte sogar schon erhältlich, doch viele Innovationen sind immer noch Zukunftsmusik. Das könnte auch noch länger so bleiben – denn Smart Textiles sind nicht ohne Tücken.
Was sind Smart Textiles?
Textilien bieten sich als praktische Träger für Technologien an. Schließlich sind sie unverzichtbarer Bestandteil unseres alltäglichen Lebens und umgeben uns immer und überall. Die Integration von Technologien in Textilien ist eine Weiterentwicklung der sogenannten Wearables, die inzwischen schon recht verbreitet sind. Dabei handelt es sich um kleine vernetzte Computer, die am Körper getragen werden und den Alltag des Trägers oder der Trägerin unterstützen sollen. Darunter fallen zum Beispiel Fitnessarmbänder, Smartwatches und digitale Brillen. Zunehmend kommen Wearables auch im medizinischen Bereich zum Einsatz, wie etwa digitale Blutzucker- und Blutdruckmessgeräte zeigen.
Nun versuchen Entwickler:innen und Forscher:innen, Textilien selbst mit zusätzlichen Funktionen auszustatten. Geforscht wird an Smart Textiles beispielsweise schon seit über 15 Jahren am Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM). Besonders wichtig sind dabei Sensoriktechnologien. Mithilfe von Sensoren können Smart Textiles Reize aus der Umgebung aufnehmen (beispielsweise Körperfunktionen wie Herzschlag, Körpertemperatur oder Atemfrequenz) und darauf reagieren. Laut einer Definition des Industriemuseums Chemnitz können diese Reaktionen „den Fluss von elektrischem Strom, Licht, Wärme und Teilchen beinhalten und zu Änderungen von Farbe, Permeabilität, Porosität, Steifigkeit, Form und Größe der Textilien führen“.
Solche elektronischen Funktionen lassen sich meist über Spezialfasern wie leitfähige Garne oder Mikrochips in Textilien integrieren. Sie werden aufgeklebt oder aufgenäht und verschmelzen optisch mit dem Textil.
Smart Textiles: Das können sie
Für Smart Textiles eröffnen sich immer mehr Anwendungsmöglichkeiten in den unterschiedlichsten Bereichen:
Sport
Der Sportbekleidungshersteller sanSirro bietet ein waschbares Smart Textile an, das eine genaue Körperdatenerfassung ermöglicht. Sensoren zeichnen alle relevanten Daten wie Puls und Atemfrequenz, aber auch Geodaten auf, speichern sie in einer Cloud und helfen dabei, das Training zu optimieren.
Sicherheit
Das IZM hat textile Sensorelemente für Autos entwickelt. Sie sollen beispielsweise erkennen können, wie wachsam der oder die Autofahrende ist. Auch Fahrradfahrer:innen können von Smart Textiles profitieren. Das IZM hat in Kooperation mit einem Fashion Label eine High-Tech-Jacke entwickelt, die mit einem flexiblem Display ausgestattet ist. Das Display kann Lichtsignale abgeben, wodurch Fahrradfahrende im Straßenverkehr sichtbarer werden. Es ist zudem an ein Smartphone koppelbar, sodass auch Anrufe über das Display entgegengenommen werden können.
Fashion
Viele Entwicklungen haben es (bisher) nicht auf den Massenmarkt geschafft. Eine Kooperation zwischen Google und der Jeansmarke Levi’s dagegen schon: Bei diesem Smart Textile handelt es sich um eine Jeansjacke, die den Griff zum Handy überflüssig macht. Die Jacke ist mit der von Google entwickelten Jacquard-Technologie ausgestattet. Eingewebte Metallfäden und eine berührungsempfindliche Manschette im Jackenärmel ermöglichen es den Träger:innen, ihr Smartphone lediglich durch Wischen oder Tippen am Ärmel zu steuern.
Gesundheit
Eine Smart-Textile-Innovation, die Pflegenden die Arbeit erleichtert, hat das Start-Up Texible geschaffen. Die smarte Betteinlage registriert, wenn eine demenzkranke Person im Nassen liegt und verständigt das Personal. In einigen Krankenhäusern ist die Matte bereits im Gebrauch. Auch für den Einsatz im Privathaushalt ist sie erhältlich.
Für Menschen mit Handicaps könnte ein smarter Handschuh Erleichterung bringen. Er stabilisiert die Hände bei motorischen Störungen und hilft beim Greifen.
Wohnen
In Haus oder Wohnung könnten in Zukunft smarte Textilien mit Touch-Funktion und Sensoren Einzug halten, die die Luftqualität und Raumtemperatur messen. Denkbar sind auch spezielle Vorhänge, die Tageslicht imitieren können.
Sind Smart Textiles und Nachhaltigkeit vereinbar?
Die Fusion aus Textil und Technologie hat auch Potential in Sachen Nachhaltigkeit.
Das kalifornische Fashion-Start-Up Art by Physicist verwebt etwa eine spezielle Solarfolie in Jacken und Kleider, die bis zu fünf Volt Spannung erzeugen kann. Mit dem Strom können die Träger:innen dann elektronische Geräte aufladen. Sollte die Solarfolie nicht mehr funktionieren, lässt sie sich problemlos entfernen, austauschen und entsorgen: Sie ist vollständig wiederverwertbar und frei von giftigen Stoffen.
Laut dem Future-Briefings-Magazin gibt es auch bereits smarte Schuhe mit Nachhaltigkeitsfaktor. In solchen Schuhen sind sogenannte Piezokristalle verarbeitet, die Strom erzeugen, wenn sie zusammengedrückt werden. So könnten die Sneaker Bewegungsenergie speichern, die dann zum Aufladen von Geräten nutzbar wäre.
Aus Smart Textiles könnte sich jedoch ein Recycling-Problem ergeben, wenn die verwendeten Materialien sich am Ende ihrer Lebensdauer nicht mehr trennen und gesondert recyceln lassen. Doch einige Forschende denken dieses Problem bereits mit. An der TU Chemnitz wurden die Grundlagen einer Technologie entwickelt, die die Rückgewinnung von (Edel-)Metallen wie Silber, Kupfer und Nickel aus textilen Materialien ermöglicht. Die extrahierten Metalle können dann zur Wiederverwendung aufbereitet werden.
Vielen Smart Textiles mangelt es auch noch an Langlebigkeit und Robustheit. Die Praktikabilität von Textilien kann sich im Alltag reduzieren, wenn sie mit Technik vollgestopft sind. Dies ist unter anderem bei der Jeansjacke der Fall, die Levi’s und Google auf den Markt gebracht haben. Die Anbieter könnten nicht garantieren, dass die mehrere hundert Euro teure Jacke auch nach mehr als zehn Waschgängen noch voll funktionstüchtig ist.
Ein weiterer Kritikpunkt an Smart Textiles: Während wir sie tragen sammeln sie ständig Daten über uns und unsere Umwelt und reagieren darauf eigenständig. In gewisser Weise geben wir damit Kontrolle an Textilien ab, die sich unter Umständen nicht so schnell ablegen lassen wie herkömmliche Wearables, beispielsweise Smartwatches.
Fazit: Smart Textiles – zukunftsweisendes Must-have oder problematischer Trend?
Ohne Frage steckt in der Verschmelzung von Textilien und Technologie viel Potential. Insbesondere das Pflege- und Gesundheitswesen kann von Smart Textiles profitieren, wie einige bereits im Einsatz befindliche Entwicklungen zeigen.
Für den Alltagsgebrauch sind Smart Textiles bisher kaum mehr als teure High-Tech-Spielereien für „Early Adopters“ – Menschen also, die gerne zu den neuesten technischen Errungenschaften greifen und bereit sind, dafür auch viel Geld auszugeben.
Jedoch bleibt bei diesen Innovationen häufig die Nachhaltigkeit auf der Strecke. Nicht nur, weil Smart Textiles noch sehr empfindlich sind und mitunter ein Recycling-Problem verursachen könnten. Ein Nachhaltigkeitsproblem ist es auch, dass die Nutzung von ökologischen Fasern wie Bio-Baumwolle in der Entwicklung von Smart Textiles noch nicht der Standard ist.
Hinzu kommt der rasante technologische Fortschritt. Er könnte dafür sorgen, dass ein bestimmtes Smart Textile bereits nach kurzer Zeit als (technologisch) überholt gilt und dann entsorgt wird, um durch ein aktuelleres Produkt ersetzt zu werden. Smart Textiles könnten also sowohl die Fast-Fashion-Mentalität als auch das Bedürfnis nach den neuesten technologischen Entwicklungen anheizen. Eine Lösung für das Problem der Wegwerfgesellschaft sind Smart Textiles also vermutlich nicht.
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