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Vertical Farming: Vor- und Nachteile des Zukunftskonzepts

Vertical Farming
Foto: CC0 / Pixabay / naidokdin

Vertical Farming – die Zukunft der Landwirtschaft? Während Urban Gardening nun auch in Deutschland angekommen ist, sind vertikale Farmen noch selten. Dabei bietet das Zukunftskonzept vielversprechende Antworten auf globale Fragen der Zukunft.

Was ist Vertical Farming?

Vertical Farming oder vertikale Landwirtschaft bezeichnet ein Zukunftskonzept, bei dem die landwirtschaftliche Produktion in Städte verlagert wird. In mehrstöckigen Bauten, sogenannten Farmscrapers, lassen sich Pflanzen das ganze Jahr über züchten. Der große Vorteil gegenüber herkömmlicher Landwirtschaft besteht darin, dass direkt am Ort des Bedarfs produziert wird. Das spart Transportkosten. Zudem wird Fläche effizienter genutzt, da die Pflanzen vertikal auf mehreren Ebenen wachsen.

Im besten Fall sind die urbanen Gewächshäuser Teil einer Kreislaufwirtschaft, die Abfälle beispielsweise in Biogasanlagen verwertet und erneuerbare Energien nutzt.

Wie eine Studie des Fraunhofer-Instituts zeigt, wachsen in etwa 50 vertikalen Farmen weltweit hauptsächlich grünes Blattgemüse wie Salat (69 Prozent), sowie Basilikum (56 Prozent), Tomaten (44 Prozent) und Erdbeeren (25 Prozent). Aber auch andere Kräuter, Pilze, Algen sowie Obst- und Gemüsesorten sind zu finden. Weizen, Mais, Kartoffeln oder Reis eignen sich dagegen weniger für den Etagenanbau. Auch Nutztiere werden nach diesem Prinzip der effizienten Flächennutzung gehalten. Ein Beispiel dafür ist das in der DDR erbaute „Schweinehochhaus“ bei Maasdorf, in dem sich die Schweine auf mehreren Stockwerken befinden.

So futuristisch Vertical Farming auch klingt, die Idee dazu ist nicht neu: Bereits die indigenen Völker Südamerikas wussten ihr Land mittels Etagenanbau effizient zu nutzen. Das moderne Konzept vertikaler Landwirtschaft stammt von dem US-amerikanischen Mikrobiologen und emeritierten Universitätsprofessor Dickson Despommier, der 1999 in New York erste Pläne für diese Art des Urban Farming entwickelte. Doch erst seit 2009 gibt es Vertical Farming auch in der Praxis – und das noch immer in recht kleinem Umfang.

Wie funktioniert Vertical Farming?

Der Anbau in einer Vertical Farm erfolgt vollautomatisiert.
Der Anbau in einer Vertical Farm erfolgt vollautomatisiert. (Foto: CC0 / Pixabay / BrightAgrotech)

Vertical Farming kommt fast komplett ohne menschliche Arbeitskraft aus, da das Anbausystem vollautomatisiert ist. Jede Ebene verfügt über Sensoren, die die benötigte Wasser- und Nährstoffzufuhr bestimmen. Meist kommen in den bepflanzten Gebäudekomplexen Hydroponik-Systeme zum Einsatz. Dabei wurzeln die Pflanzen (sogenannte Hydrokulturen) statt im Substrat in Behältern mit Nährstofflösung. Das Tropfbewässerungs- und Beleuchtungssystem aus LEDs steuert ein zentraler Gewächshauscomputer. Er reguliert auch die Umgebungswärme und die Luftfeuchtigkeit automatisch.

Um mögliche Erkrankungen zu entdecken, prüfen Sensoren die Umgebungsluft der Pflanzen auf Phytopathogene (also Krankheiten auslösende Organismen). Der richtige Zeitpunkt für die Ernte wird ebenfalls digital bestimmt: Die von Sensoren gemessenen Flavonoide in den Pflanzen lassen Rückschlüsse auf den Reifegrad zu. Insgesamt ist Vertical Farming damit stark von modernen Technologien abhängig.

Die regulierte Umgebung bietet ideale Wachstumsbedingungen für die Pflanzen. Nach Angaben des Fraunhofer-Instituts lassen sich die Ernteerträge gegenüber denen in der konventionellen Landwirtschaft deshalb deutlich steigern: Salat kann bis zu zwölf Mal im Jahr geerntet werden, Spinat ist bereits nach 14 bis 20 Tagen erntereif (im Vergleich zu 35 bis 40 Tagen auf dem Feld) und Erdbeeren bringen in Hydrokulturen rund 17 Prozent mehr Ertrag.

Diese Art des Anbaus ist äußerst effizient und einige Wissenschaftler*innen sehen darin eine mögliche Lösung für die Probleme der Zukunft. Nach Angaben der UN müssen 2050 rund 9,7 Milliarden Menschen mit Nahrung versorgt werden, davon rund 70 Prozent in Städten. Zum Vergleich: Aktuell leben nur rund 55 Prozent im urbanen Raum. Um die wachsende Weltbevölkerung zu versorgen, müsste die Menschheit mehr landwirtschaftliche Fläche erschließen, was aus umwelttechnischer Sicht problematisch ist. Auch der Klimawandel macht Ackerbau in vielen Regionen immer schwieriger. Vertical Farming könnte hier Abhilfe schaffen und die Nahrungsmittelbereitstellung in Städten erleichtern.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch kritische Stimmen, die vor allem den hohen Energieverbrauch der Anlagen thematisieren. Im Folgenden findest du eine Übersicht mit den wichtigsten Argumenten.

Hinweis: Die folgenden Absätze zu Vor- und Nachteilen von Vertical Farming wurden nachträglich am 12.06.2020 von der Redaktion eingefügt.

Vertical Farming: Das sind die Vorteile

Urbane Landwirtschaft bringt viele ökologische Vorteile mit sich.
Urbane Landwirtschaft bringt viele ökologische Vorteile mit sich. (Foto: CC0 / Pixabay / JillWellington)
  • Keine langen Transportwege oder Kühlung: Das spart Ressourcen und es verderben weniger Lebensmittel während des Transports.
  • Effiziente Flächennutzung: Durch den mehrstöckigen Anbau können kleine Flächen viele Menschen versorgen.
  • Wasserverbrauch verringert sich: Nach Angaben des Fraunhofer-Instituts ist die Landwirtschaft für 70 Prozent des weltweiten Wasserverbrauchs verantwortlich, wodurch immer mehr Flüsse und Seen austrocknen. Da das Wasser im Kreislaufsystem des Vertical Farmings nicht versickert oder verdunstet, ist der Wasserverbrauch geringer als auf dem Feld.
  • Ganzjährige Ernte möglich: Da Vertical Farms nicht dem Wechsel der Jahreszeiten ausgesetzt sind, sind die Erträge deutlich höher.
  • Schutz vor Ernteausfällen: Die Pflanzen wachsen in einer kontrollierten Umgebung und sind unabhängig von klimatischen Bedingungen oder anderen Umwelteinflüssen. Das ist insbesondere mit Blick auf den Klimawandel von Vorteil, da extreme Wetterereignisse immer häufiger werden.
  • Weniger Spritz- und Düngemittel: Durch die kontrollierte Umgebung herrschen bereits gute Wachstumsbedingungen, weshalb weniger Pestizide nötig sind. Aber: Kommt es doch zum Schädlingsbefall, können diese optimalen Bedingungen auch zum Nachteil werden, da auch die Schädlinge davon profitieren. Dann sind große Mengen an Pestiziden nötig, um den aggressiven Befall zu stoppen.
  • Frische Produkte: Da das Obst und Gemüse direkt am Erzeugungsort konsumiert wird, ist es auch beim Kauf noch frisch.
  • Exotisches Obst und Gemüse regional verfügbar: In den regulierbaren Gewächshäusern können auch exotische Pflanzen angebaut werden.
  • Flächen können renaturiert werden: Indem Flächen effizienter genutzt werden, können Äcker in ihren Naturzustand rückgeführt werden. Das schont Ressourcen, denn die herkömmliche Landnutzung bringt zahlreiche Umweltprobleme mit sich – Beispiele sind die große Pestizidbelastung, Waldrodung, Bodenerosion und Bodenverdichtung, Versalzung, Desertifikation oder die Übernutzung von Flächen.
  • Mehr Artenvielfalt: Wird mehr Nutzfläche in naturbelassenes Brachland zurückgeführt, bietet das mehr Lebensraum für verschiedene Arten und wirkt dem Artensterben entgegen. Zudem müssen durch Vertical Farming weniger stadtnahe Waldflächen dem Ackerbau weichen.
  • Erneuerbare Energiequellen: Der Energiebedarf der Vertical Farms kann beispielsweise durch am Gebäude angebrachte Solarzellen gedeckt werden. Aber auch entstehende organische Abfälle können in einer nahegelegenen Biogasanlage direkt der Stromerzeugung dienen. Nach Angaben des Fraunhofer-Instituts nutzen bereits 78 Prozent der urbanen Farmen erneuerbare Energien.
  • Verbesserte Luftqualität: Der von den Pflanzen produzierte Sauerstoff kann die Luft in Ballungsräumen aufwerten.
  • Weniger Treibhausgas-Emissionen: Laut Fraunhofer-Institut ist die Landwirtschaft weltweit für rund 30 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich und trägt damit einen erheblichen Teil zum Treibhauseffekt bei. Das Kreislaufsystem in Vertical Farms spart Ressourcen und stößt weniger Kohlendioxid aus. Fällt die Feldbewirtschaftung weg, spart das Treibstoff und vermindert die CO2-Belastung.
  • Hilft bei der Ernährung der Weltbevölkerung: Beim derzeit prognostizierten Bevölkerungswachstum müssen in Zukunft immer mehr Menschen versorgt werden, was nicht nur zu einem Ernährungs-, sondern auch zu einem Umweltproblem werden kann. Das Fraunhofer-Institut gibt an, dass wir bereits 80 Prozent der kultivierbaren Fläche der Erde landwirtschaftlich nutzen. Durch Vertical Farming müssten keine neuen Flächen erschlossen werden.
  • Geringere Unfallgefahr für Arbeiter: Im Vergleich zur Feldbewirtschaftung sind Arbeiter beim Vertical Farming weder Pestiziden noch anderen Gesundheitsrisiken ausgesetzt, die häufig mit dem Ackerbau verbunden sind (beispielsweise steigt mit der täglichen Feldarbeit in einigen Ländern das Risiko, sich über Mückenstiche mit einer Infektionskrankheit anzustecken oder von einer giftigen Schlange gebissen zu werden).
  • Geringe Personalkosten: Fast alle Prozesse finden automatisiert statt.

Vertical Farming: Diese Nachteile gibt es

Farmscrapers benötigen viel Energie.
Farmscrapers benötigen viel Energie. (Foto: CC0 / Pixabay / Free-Photos)
  • Zusätzlicher Energieverbrauch und Mehrkosten: Während Pflanzen auf dem Feld nach der Aussaat mehr oder weniger sich selbst überlassen sind, wird beim Vertical Farming künstlich bewässert, belüftet, beleuchtet und überwacht. Auch der Bau einer Vertical Farm ist mit hohen Kosten verbunden und von Investoren abhängig. Wenn aber konsequent erneuerbare Energiequellen genutzt werden, können die Pflanzen dennoch nachhaltig angebaut werden.
  • Langer Weg bis zur wirtschaftlichen Rentabilität: Hohe Energiekosten und das große Startkapital können eingesparte Transportkosten teilweise wieder aufwiegen. Urbane Farmen sind damit nicht immer rentabel, insbesondere in den Anfangsjahren. 2018 konnten laut Fraunhofer-Institut 60 Prozent der befragten urbanen Betriebe Gewinne erzielen.
  • Keine Lösung für den Welthunger: Grundnahrungsmittel wie Weizen, Kartoffeln, Mais oder Reis eignen sich weniger für den Etagenanbau und benötigen weiterhin große landwirtschaftliche Flächen.
  • Keimrisiko besteht weiterhin: Auch in kontrollierter Umgebung können Keime auftreten. In diesem Fall kann sich die Krankheit sehr schnell ausbreiten, da auch für die Eindringlinge keine Störfaktoren bestehen.
  • Gefährdet das Überleben kleiner Betriebe: Vertical Farms lohnen sich vor allem im großen Stil. Um ein solches Projekt umzusetzen, sind Investoren nötig, wodurch eine Abhängigkeit von Großkonzernen entsteht. Zudem gehen durch die automatisierten Systeme Arbeitsplätze verloren.
  • Viel Technik nötig: Aus ökologischer Sicht umstritten ist auch die große Menge an benötigter Technik, wie beispielsweise LED-Lampen, die produziert und wieder entsorgt werden müssen. Auch der Bau einer Vertical Farm hinterlässt einen großen ökologischen Fußabdruck.
  • Risiko von Ernteausfällen besteht weiterhin: Auch wenn klimatische Faktoren keine Rolle mehr spielen, wird die Lebensmittelversorgung durch einige große Gebäudekomplexe umso verwundbarer. Im Falle von Stromausfällen, Erdbeben, Unfällen oder gar Sabotagen könnte das Versorgungssystem einer ganzen Stadt zusammenbrechen.

Vertical Farms in der Praxis

Vor allem Kräuter und Salat sind gut für den Anbau in Hydrokulturen geeignet.
Vor allem Kräuter und Salat sind gut für den Anbau in Hydrokulturen geeignet. (Foto: CC0 / Pixabay / marsraw)

Wie die Studie des Fraunhofer-Instituts zeigt, waren 2018 weltweit über 50 Indoor-Farmen bekannt. Die größten Betriebe sind in Nordamerika und Asien zu finden, wobei Vertical Farming auch in Europa angekommen ist.

Zu den größten Projekten zählt die gigantische Indoor-Farm des US-amerikanischen Unternehmens AeroFarms in New Jersey. Dort wächst laut AeroFarms auf einer Fläche von gut 6.500 Quadratmetern Salat, was einer jährlichen Ernte von bis zu 907.000 Kilogramm Salat entspricht. Nach Angaben des Konzerns konnte AeroFarms den Wasserverbrauch im Vergleich zum traditionellen Ackerbau um 95 Prozent senken und nimmt nur ein Prozent der Fläche ein, die konventionelle Feldbewirtschaftung benötigt.

Die derzeit größte Indoor-Farm ist die japanische Techno Farm Keihanna, die sich 25 Kilometer südlich von Kyoto befindet. Dort wurde sie 2018 von dem japanischen Konzern Spread erbaut. Nach Angaben des Unternehmens werden dort bis zu 30.000 Salatköpfe täglich produziert. In Japan existieren bereits mehrere erfolgreiche Indoor Farms, die insbesondere nach der Nuklearkatastrophe von 2011 dafür genutzt wurden, Pflanzen vor radioaktiven Stoffen in der Umgebung zu schützen.

In Paris baut das Startup Cycloponics seit 2017 Pilze, Salate und Keimlinge in einer alten Tiefgarage an. Auch in London wachsen in einer Underground Farm in einem alten Weltkriegsbunker seit 2015 erfolgreich Kräuter und Salate. In Deutschland haben sich das Startup Infarm, das mobile Gewächsregale direkt in den Supermarkt bringt, und die Ecofriendly Farmsystems in Berlin etabliert. Letztere kombinieren Fischzucht mit Gemüseanbau.

Vertical Farming: Ein vielversprechendes Zukunftskonzept?

Vertical Farming macht Obst und Gemüse direkt am Ort des Bedarfs verfügbar.
Vertical Farming macht Obst und Gemüse direkt am Ort des Bedarfs verfügbar. (Foto: CC0 / Pixabay / ElasticComputeFarm)

Insgesamt ist festzuhalten, dass das Konzept der Vertikalen Landwirtschaft noch recht wenig erprobt ist und einige Startups mit der Wettbewerbsfähigkeit zu kämpfen haben. Da die Anschaffungskosten sehr hoch sind und generell wenig staatliche Unterstützung geboten wird, dauert es meist lange, bis sich die Anlage wirtschaftlich rechnet. Zudem sind Produkte aus konventioneller Landwirtschaft oft günstiger.

Allerdings hat sich das Konzept in den letzten Jahren enorm entwickelt und das Bewusstsein für ökologisches Wirtschaften wächst stetig. Insbesondere angesichts des Klimawandels, der Ackerbau in einigen Ländern immer schwieriger macht, sind neue Lösungen gefragt. Diese Lösungen kann vertikale Landwirtschaft bieten, denn sie braucht außer Strom kaum andere Ressourcen. Wichtig ist aber, dass die benötigte Energie aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Dann lassen sich Obst und Gemüse nachhaltig und nahezu pestizid- und emissionsfrei anbauen, ohne dass große Flächen der Nahrungsmittelproduktion geopfert werden müssen. Mit diesen ökologischen Vorteilen ist Vertical Farming ein vielversprechendes Zukunftskonzept.

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