Mit Sprudel und aus der Plastikflasche – so trinken viele Deutsche ihr Wasser am liebsten. Doch die Wirkung von Plastik auf die menschliche Gesundheit ist umstritten. Geht von abgefülltem Wasser aus PET-Flaschen wirklich eine Gefahr aus?
„Umwelthormone im Mineralwasser!“, so in etwa titelten viele große Medien im Jahr 2009. Zwei Wissenschaftler der Goethe Universität Frankfurt am Main veröffentlichten damals Forschungsergebnisse, die eine Belastung von Mineralwasser mit östrogenähnlich wirkenden Stoffen vermuten ließen. Die Aussagekraft der Studie wurde seitdem immer wieder von verschiedenen Seiten angezweifelt und Behörden gaben Entwarnung. Doch die Befürchtung, dass Wasser aus Plastikflaschen mit Umwelthormonen oder anderen Chemikalien belastet ist, hält sich.
Was ist seitdem in der Forschung passiert? Sind Hormone wirklich ein Problem – oder sind es womöglich ganze andere Substanzen? Gehen überhaupt ungesunde Stoffe aus Plastikflaschen ins Wasser über?
PET-Flaschen: Hormone im Mineralwasser?
Keine andere seriöse Forschungsarbeit fand seit der Frankfurter Studie von 2009 so hohe Belastungen mit hormonell wirksamen Substanzen. Stammten die Stoffe also wirklich aus den Plastikflaschen?
Die Suche nach der Quelle sei extrem schwierig und längst nicht abgeschlossen, sagt uns Dr. Martin Wagner, einer der Autoren der Studie. „Ich bin nach wie vor der Meinung, dass damals östrogene Belastungen im Wasser waren. Aber woher diese genau stammten, weiß niemand“, erklärt Wagner. „Leider ist seitdem wenig passiert, in den letzten zehn Jahren hat es kaum wissenschaftliche Untersuchungen zu Mineralwasser gegeben.“
Dr. Frank Welle, Chemiker beim Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV), zweifelt daran, dass die Hormonbelastungen wirklich aus den Plastikflaschen stammten. Bei der Frankfurter Studie sei auffallend, „dass die gleiche Mineralwassermarke in Glas- bzw. in PET-Flaschen keine signifikanten Unterschiede aufwies.“ Das schrieb er in einer Analyse 2014. Auch er sagt, seitdem habe es keine relevanten Veröffentlichungen zum Thema gegeben. „Aber das verwundert ja auch nicht, wenn überhaupt keine Hormone in Mineralwasser oder PET-Flaschen nachweisbar sind.“
Laut der letzten Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) aus dem Jahr 2011 gibt es „weder Hinweise auf eine östrogenartige Aktivität in den Mineralwässern noch wurden Substanzen in Konzentrationen nachgewiesen, die eine solche Aktivität hätten hervorrufen können.“ Allerdings sieht das BfR weiteren Forschungsbedarf.
Auch Dr. Martin Wagner, der heute an der Norwegian University of Science and Technology in Trondheim forscht, sagt: „Wir haben in der letzten Studie keine östrogene Wirkung in PET gefunden.“ PET komme dabei insgesamt relativ gut weg. Er kündigt allerdings an, dass eine neue, noch unveröffentlichte Studie durchaus hormonelle Belastungen gefunden habe. „Das zeigt, dass Ergebnisse in dem Bereich schwer verallgemeinerbar sind.“
Wie kommen Schadstoffe ins Wasser?
Sollten die Plastikflaschen tatsächlich nicht das (größte) Problem sein, wie kommen Chemikalien dann ins Mineralwasser? Eine mögliche Quelle für Verunreinigungen ist die Wasserquelle.
Verunreinigung von Mineralwasser an der Quelle
Aus Wasserquellen gelangen immer wieder unterschiedliche Verunreinigungen ins Mineralwasser. Unter anderem stellte das niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) bereits 2006 fest, „dass teilweise schon die Rohwässer eine östrogene Wirksamkeit besitzen.“ Das legt nahe, dass tatsächlich vorhandene östrogene Belastungen aus den Quellen statt aus den Flaschen stammen könnten. „Das wurde aber seitdem nicht weiter systematisch untersucht“, kritisiert Wagner.
Rückstände im Wasser sind grundsätzlich keine Seltenheit: Öko-Test testete im Mai 2020 100 verschiedene Mineralwasser und kam zu dem Ergebnis: 20 Quellen sind durch menschengemachte Verunreinigung beeinträchtigt.
Im Wasser fanden sich Rückstände von Pestiziden, Bor, Uran und Nitrat. Auch Stiftung Warentest findet regelmäßig Rückstände in Mineralwasser, welche zeigen, dass die Quellen offenbar nicht ausreichend geschützt sind. Allerdings sind die Konzentrationen in der Regel so niedrig, dass sie als gesundheitlich unbedenklich gelten.
Chemikalien aus der Wasserflasche
Aber gelangen denn nun auch aus den Flaschen Schadstoffe ins Wasser oder nicht? Bei der Untersuchung von Plastikflaschen als mögliche Quelle von Verunreinigungen erschwere die Unübersichtlichkeit an Kunststoffen und Additiven auf dem Markt die Forschung, sagt Wagner. „Jedes Produkt hat eine andere chemische Zusammensetzung. Das sorgt für viel Unsicherheit.“ Er kritisiert: „Die Intransparenz der Hersteller ist da ein großes Problem.“
Zwar müssen alle in PET-Flaschen eingesetzten Stoffe und Additive den Verordnungen und Positiv-Listen der EU entsprechen. Allerdings müssen die Hersteller ihre genauen Rezepturen nicht öffentlich machen. Für lebensmittelrechtliche Bewertungen werden sie aber zur Verfügung gestellt, erklärt uns Dr. Welle vom Fraunhofer IVV.
Er hat gemeinsam mit einer Kollegin im Juni 2020 eine neue wissenschaftliche Übersichtsarbeit zum Übergang von Substanzen aus Getränkeverpackungen (PET-Flaschen, Getränkedosen, Glasflaschen, Getränkekartons) an deren Inhalt veröffentlicht.
Das Fazit dieser Arbeit: Ja, bestimmte Stoffe können in geringen Mengen aus Getränkeverpackungen – auch aus PET-Flaschen – ins Wasser übergehen. Allerdings sind die Konzentrationen sehr gering und alle Grenzwerte, welche die EU für die gemessenen Stoffe sicherheitshalber festlegt, werden eingehalten.
Dr. Wagner allerdings kritisiert diese Grenzwerte: „Das sind meiner Meinung nach extrem hohe Mengen, die da erlaubt sind. Diese Grenzwerte basieren teils auf jahrzehntealten toxikologischen Erkenntnissen.“ Zudem bemängelt er, dass nur einzelne Substanzen berücksichtigt werden, nicht aber, was durch die gleichzeitige Aufnahme mehrerer unterschiedlicher Chemikalien passieren könnte. „Wenn gesagt wird, dass Produkte unbedenklich seien, weil alle Grenzwerte eingehalten werden, vermittelt das den Verbrauchern meiner Meinung nach ein falsches Gefühl der Sicherheit.“
Wasser aus Plastikflaschen: chemischer Nachgeschmack
Mal angenommen, PET-Plastikflaschen seien mehr oder weniger unbedenklich: Warum schmeckt das Wasser dann manchmal so seltsam? Jede*r kennt den chemischen Geschmack, wenn Plastikflaschen länger in der Sonne gelegen haben. Verantwortlich dafür ist das aus dem Plastik austretende Acetaldehyd. Der Stoff entsteht im Herstellungsprozess von PET; insbesondere bei hohen Temperaturen und langer Lagerung kann er ans Wasser abgegeben werden.
Die gemessenen Konzentrationen bleiben bleibt laut der neuen Studie von Frank Welle (s. oben) in jedem Fall unter den EU-Grenzwerten für Mineralwasser. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) stuft das Austreten von Acetaldehyd aus PET-Flaschen in den gemessenen Mengen als unbedenklich ein. Weil Acetaldehyd aber schon ab viel geringeren Konzentrationen zu schmecken ist, bleibt unter Umständen ein chemischer Nachgeschmack.
Neben Acetaldehyd können noch einige andere Chemikalien von Plastikflaschen an Mineralwasser abgegeben werden. Darunter etwa Antimon, ein Hilfsstoff bei der Herstellung von PET. Die Konzentrationen im Mineralwasser bleiben laut der oben genannten Studie aber zumindest weit unter den EU-Grenzwerten für Mineralwasser und Trinkwasser.
Fazit: Nach aktuellem Wissensstand gehört PET, aus dem Wasserflaschen üblicherweise bestehen, zu den unbedenklicheren Kunststoffen – zumindest was die Abgabe von Chemikalien ans Wasser angeht. Das schließt aber keineswegs aus, dass weitere Forschung neue Erkenntnisse zum Thema bringt.
Mikroplastik im Mineralwasser
Seit einigen Jahren gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass sich aus Plastikverpackungen winzige Kunststoffpartikel lösen. 2018 etwa fanden Forscher*innen des „Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts Münsterland-Emscher-Lippe“ (CVUA-MEL) in allen 38 getesteten Mineralwassern Mikroplastik. Dabei waren die Konzentrationen in Wasser aus PET-Flaschen besonders hoch. Den Forscher*innen zufolge „zeigen die Ergebnisse, dass Kunststoffverpackungen […] Mikroplastikpartikel emittieren können, die direkt vom Verbraucher aufgenommen werden.“ Eine weitere Studie fand ebenfalls 2018 in 93 Prozent der untersuchten Mineralwasserproben Mikroplastikpartikel.
2020 ließ auch Öko-Test mittels einer neu entwickelten Methode Mineralwasser auf Plastikpartikel untersuchen. Das Labor konnte so in knapp der Hälfte der getesteten Mineralwasser aus PET-Plastikflaschen „PET-Abrieb im Mikrometerbereich indirekt“ nachweisen. Die höchsten Konzentrationen fanden sich in stillem Wasser aus PET-Einwegflaschen. Allerdings: „Wann und wodurch es zu dem Abrieb der Teilchen aus dem Plastikmaterial kommt, […] kann die Analyse nicht klären.“
Auch wenn mehrere Forschungsarbeiten inzwischen mit ganz unterschiedlichen Methoden Mikroplastik in Mineralwasser gefunden haben, gibt Dr. Frank Welle vom Fraunhofer IVV zu bedenken: „Es ist sehr schwer, Mikroplastik zu analysieren.“ Er warnt vor wenig aussagekräftigen Studien: „Man sollte da sehr vorsichtig sein mit der Interpretation der Ergebnisse.“
Auch Öko-Test und Stiftung Warentest untersuchen Produkte (noch) nicht routinemäßig auf Mikroplastik, da sich noch keine standardmäßigen Test- und Bewertungsmethoden etabliert haben. Zudem ist noch unklar, woher die gefundenen Partikel wirklich stammen. Diverse Untersuchungen finden immer wieder auch Mikroplastik in Leitungswasser – es scheint also kein ausschließliches Plastikflaschen-Problem zu sein.
Wie ungesund ist Mikroplastik im Wasser?
Ob Mikroplastikpartikel, die wir mit Wasser, Nahrung oder gar Luft aufnehmen, eine Gesundheitsgefahr darstellen, ist noch immer nicht abschließend geklärt.
Eine umfassende Erhebung der EFSA stellte 2016 vor allem fest, dass die Daten und Analysemethoden für eine Einschätzung unzureichend seien und weitere Forschung notwendig sei. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam die WHO 2019.
Dr. Welle und ein Kollege kamen nach einer systematischen Übersichtsarbeit 2018 zu dem Schluss: „Nach unserer Meinung besteht keine Gefahr für den Verbraucher.“ Allerdings weist auch diese Arbeit darauf hin, dass für ein besseres Verständnis die Datenlage und Analysemethoden weiter verbessert werden müssen.
Wasser in Plastikflaschen: gesundheitsgefährdend oder nicht?
Ist Wasser aus Plastikflaschen (PET-Flaschen) nun also gesundheitlich bedenklich? Nach derzeitigem (!) Stand vermutlich eher nicht. Wir formulieren das bewusst so vage, weil zum Teil noch deutlich mehr Forschung nötig ist, um diese Frage abschließend beantworten zu können.
Der Verdacht, dass hormonell wirksame Stoffe von Plastikflaschen ins Mineralwasser übergehen, hat sich nach bisherigem Forschungsstand (noch) nicht bestätigt. Zwar können diverse Stoffe aus dem PET an den Inhalt der Flaschen abgegeben werden, nach aktuellem Wissensstand jedoch eher nicht in bedenklichen Mengen. Nicht nur dazu, sondern auch zu einer potenziellen Gesundheitsgefahr durch Mikroplastik fehlen aber noch klare Erkenntnisse.
Neben Stoffen aus dem Plastik kommen in Mineralwasser Rückstände aus der Landwirtschaft vor – allerdings betrifft das sowohl Wasser aus Plastik- als auch aus Glasflaschen.
Sollte man nun vorsorglich kein Wasser mehr aus Plastikflaschen trinken? Ob man aus gesundheitlichen Gründen verzichten möchte, muss jede*r für sich selbst entscheiden. Es gibt aber noch ganz andere Gründe, die dafür sprechen.
Es gibt gute Gründe, auf Wasser aus Plastikflaschen zu verzichten
Es ist in Deutschland vollkommen unnötig, abgefülltes Wasser zu trinken. Das Leitungswasser ist hierzulande quasi überall bedenkenlos trinkbar und oftmals sogar von besserer Qualität als Wasser in Flaschen. Auch um den Mineralienbedarf zu decken, ist bei einer halbwegs ausgewogenen Ernährung kein Mineralwasser nötig. Falls du dir dennoch unsicher bist, kannst du dein Leitungswasser von einem Fachlabor wie wassertest-online.de** testen lassen.
Für die Umwelt ist Leitungswasser eindeutig besser: Herstellung, Transport, Recycling und Entsorgung von Wasserflaschen verbrauchen wertvolle Ressourcen und verursachen Treibhausgase. Hinzu kommt, dass Plastik, wenn es nicht ordnungsgemäß entsorgt wird, ein massives Umweltproblem darstellt.
Ob es nun gesundheitlich bedenklich ist oder nicht, ist darum aus unserer Sicht gar nicht die entscheidende Frage. Die Frage ist: Brauche ich das? Und da lautet die Antwort zumindest in Deutschland ziemlich eindeutig: Nein.
Text: Victoria Scherff & Annika Flatley
Bitte lies unseren Hinweis zu Gesundheitsthemen.
** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos.War dieser Artikel interessant?