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Nach Corona-Massenausbruch: Verdecktes Video aus Tönnies-Kantine zeigt katastrophale Zustände

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Foto: Screenshot Twitter TC3910

Vor zwei Tagen wurde bekannt, dass im größten Schlachtbetrieb Deutschlands hunderte Mitarbeiter*innen mit dem Coronavirus infiziert sind. Ein offenbar heimlich aufgenommenes Video aus der Kantine zeigt, dass sich die Angestellten zeitweise kaum vor einer Infektion schützen konnten.

Bereits im Mai wurden in mehreren deutschen Schlachthöfen insgesamt mehr als 1.000 Corona-Infektionen festgestellt. Nun wurden im größten deutschen Schlachtbetrieb „Tönnies“ in Rheda-Wiedenbrück mindestens 730 neue Fälle bestätigt. Der Landkreis Gütersloh schließt alle Schulen und Kitas, 7.000 Tönnies-Mitarbeiter*innen müssen in Quarantäne.

Aber wie konnte es überhaupt soweit kommen? Offenbar hielt der Betrieb zumindest zeitweise die Corona-Hygienevorschriften nicht ein – darauf deutet ein Video hin, das seit Anfang der Woche in den sozialen Medien verbreitet wird. Das Video zeigt eine Betriebskantine der Tönnies-Fabrik zur Pausenzeit.

Zahlreiche Angestellte sitzen eng aneinander an den Tischen, die Kantine ist so voll, dass sich Abstandsregelungen nicht einhalten lassen. „Wie sollen wir uns hier schützen?“, fragt eine Frau im Hintergrund Video – sie hat das Video aufgenommen. Hier das Video auf Twitter:

Von wann stammt das Tönnies-Video?

Ein Sprecher von Tönnes erklärte zunächst, das Video sei dem Unternehmen seit März bekannt. Damit würde es aus einer Zeit stammen, in der es noch keine verpflichtenden Corona-Schutz- und Hygienemaßnahmen gab. Aber wieso fragt die Frau in dem Video dann, wie sich die Mitarbeiter*innen schützen sollen?

Der Südwestrundfunk (SWR) hat die Metadaten des Originalvideos analysiert. Das sogenannte Kodierungsdatum des Videos sei auf den 8. April 2020 um 8.39 Uhr datiert. Bereits am 30. März hatte Nordrhein-Westfalen Hygienevorschriften beschlossen – das Video ist neun Tage später entstanden.

Schlachthöfe als Hotspots für Corona-Infektionen

Weshalb verbreitet sich das Virus ausgerechnet in Schlachthöfen so stark? „Das ist das traurige Resultat eines kranken Systems“, sagt die „Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten“ (NGG). Die Organisation kritisiert schon länger, wie die die Fleischindustrie mit ihren Angestellten umgeht.

Um Kosten zu sparen, stellen Schlachtbetriebe einen Teil ihrer Arbeiter*innen nicht fest an. Stattdessen beauftragen sie Subunternehmen, die ihnen Arbeitskräfte aus dem Ausland vermitteln. In der Regel sind es Arbeitsmigrant*innen aus Osteuropa, allen voran Rumänien und Bulgarien. Das Ganze funktioniert über Werk- oder Leihverträge.

Während die Arbeiter*innen bei den Schlachthöfen beschäftigt sind, wohnen sie in Sammelunterkünften. Zeit online berichtet von bis zu neun Personen in einer Dreizimmerwohnung – ideale Bedingungen für ein hochansteckendes Virus.

Hoher Preisdruck bei Fleisch

Kein Wunder also, dass sich so viele Beschäftigte in Schlachtbetrieben mit dem Coronavirus infiziert haben. Sie sind wegen der harten körperlichen Arbeit ausgelaugt und damit ohnehin besonders anfällig. Ist erst einmal jemand infiziert, kann sich die Krankheit in den beengten Verhältnissen schnell verbreiten.

„Die Corona-Fälle sind trauriges Resultat des extremen Preisdrucks beim Fleisch. Diese Krise macht deutlich, wie überfällig es ist, auf Stopp zu drücken und den ruinösen Preiskampf beim Fleisch zu beenden“, sagt die NGG. Sie fordert strengere Kontrollen und Regeln für Schlachthof-Unterkünfte – und dass die Arbeiter*innen besser vor Ausbeutung geschützt werden.

Fleisch
Billigfleisch hat seinen Preis. (Bild von Karamo auf Pixabay / CC0 Public Domain)

„Du bist kein Mensch für sie“

Nicht nur die Unterkünfte sind problematisch, der Status als Werk- oder Leiharbeiter*innen bringt noch mehr Nachteile mit sich: Der Arbeitsplatz ist nicht sicher, die Beschäftigen leben in ständiger Angst vor Kündigung. Außerdem erhalten sie oft nur den Mindestlohn – für körperlich und psychisch extrem belastende Arbeiten. Vielen wird außerdem Geld für Arbeitsmittel und die Unterkunft vom Lohn abgezogen.

„Du arbeitest dort wie ein Sklave auf der Plantage“, berichtete ein Arbeiter aus der Republik Moldau dem WDR. „Du bist kein Mensch für sie. Für sie ist das wichtigste, dass du arbeitest und ihnen Geld bringst […] Wenn du nicht so schnell arbeiten kannst, dann war es das, du bist gefeuert.“

Utopia meint: Über katastrophale Bedingungen in Viehbetrieben und Schlachthöfen wird immer wieder berichtet – meist geht es dabei um Tierquälerei. Die vielen Corona-Infektionen in Schlachtbetrieben bringen ans Licht, wie auch Menschen in solchen Anlagen ausgebeutet werden. Damit die Supermärkte Hackfleisch für ein paar Cent anbieten können, werden menschenunwürdige und gesundheitsschädliche Zustände für die Beschäftigten in Kauf genommen. Ein Grund mehr, auf Fleisch zu verzichten, oder den Fleischkonsum zumindest zu reduzieren.

Bitte lies unseren Hinweis zu Gesundheitsthemen.

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