Dm-Gründer Götz Werner war einer der bekanntesten Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens. Nun ist er mit 78 Jahren verstorben. Vor seinem Tod sprachen wir mit ihm über persönliche Freiheit, unbeliebte Jobs und über das Grundeinkommen als Menschenrecht.
Der Unternehmer Götz Werner gründete 1973 die Drogeriemarkt-Kette dm mit mehr als 3.862 Filialen in zwölf europäischen Ländern. Werner ist auch Gründer der Initiative „Unternimm die Zukunft“, mit der er sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzt.
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Herr Werner, was würde mit den Menschen passieren, wenn sie monatlich 1.000 Euro frei von Bedingungen erhalten?
Götz Werner: Mit 1.000 Euro sollte man bescheiden, aber menschenwürdig im Sinne des Artikel I des Grundgesetzes leben können. Mit dem Grundeinkommen als Menschenrecht kommt jeden Monat Geld auf das Konto. Dann kann man Nein sagen. Nein zu allen Menschen, die Druck ausüben wollen. Man wäre freier.
Jean-Jacques Rousseau hat gesagt: „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.“
Götz Werner: „Arbeit können Sie nicht bezahlen“
Also sehen Sie das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) als Menschenrecht?
Götz Werner: Weil ich ein Mensch bin, habe ich ein ganz grundlegendes Menschenrecht. Mein Menschenrecht ist zu leben. Und erst wenn ich leben kann, kann ich auch arbeiten. Das Grundeinkommen ermöglicht die Arbeit. Das ist der entscheidende Punkt dabei. Mit einem BGE wird nicht die Arbeit bezahlt, sondern es ermöglicht sie erst.
Viele würden auf die Frage „Was ist gute Arbeit?“ antworten: Gute Arbeit ist gut bezahlt. Nein! Arbeit können Sie nicht bezahlen. Was bezahlbar ist, ist, dass Sie leben können.
Nehmen wir als Beispiel dieses Interview. Es ist ein Irrtum zu meinen: Sie würden für das Interview bezahlt. Nein, Sie werden bezahlt, damit Sie leben können. Deshalb können Sie es sich leisten, dieses Interview zu führen.
Sie wollen das Grundeinkommen durch eine Mehrwertsteuer von 50 Prozent finanzieren. Diese Mehrwertsteuer verstehen Sie als Konsumsteuer. Erklären Sie das Modell bitte genauer.
Götz Werner: Anders als die Konsumsteuer greifen heute alle anderen Steuerarten erst, wenn die Leistung noch gar nicht erbracht ist. Ein Beispiel: Wir ernten und besteuern den Pfirsich zu einem Zeitpunkt, zu dem er noch nicht reif ist.
Schon heute sind alle Steuern auf kaum nachvollziehbare Weise in den Preisen verkalkuliert. Mit einer Konsumsteuer würde sich das ändern, denn sie greift erst, wenn das Produkt tatsächlich gekauft wird.
Dann fließt auch erst das Geld?
Götz Werner: Dann wird das Geld erst sichtbar. Letztendlich reduzieren alle Steuern, die keine Konsumsteuern sind, die Leistung. Das Einkommen entsteht aus der Leistung, die die Gemeinschaft erwirtschaftet. Genauso wie das bedingungslose Grundeinkommen.
Es finanziert sich durch die Leistungen, die wir erbringen.
„Man muss den Sinn erfassen können“
Vielen Menschen gibt ihre Arbeit Struktur und Orientierung im Alltag. Was würde passieren, wenn die wirtschaftliche Notwendigkeit zu arbeiten durch das BGE wegfiele?
Götz Werner: Mit dem BGE wird ein Freiraum geschaffen, aus dem heraus Menschen tätig werden können. Ich kann mir in der Folge eher die Arbeit aussuchen, die mir entspricht.
Trifft dieses nach Verwirklichung strebende Menschenbild auf die Mehrheit zu?
Götz Werner: Ja, das sieht man bei Kindern. Sie sind unheimlich kreativ, lernbereit, sie wollen die Welt entdecken und interpretieren. Und da muss man anknüpfen: Man muss den Menschen die Möglichkeit geben, sich einzubringen und auszudrücken zu können.
Bei dm sind rund 60.000 Menschen im Unternehmen tätig. Jedem muss man die Gelegenheit geben, zu verstehen, warum er da ist. Er muss mitgestalten und den Sinn erfassen können. Unternehmensverantwortliche müssen dafür sorgen, dass Menschen mit ihrer Tätigkeit ihre Biografie gestalten können.
Ein interessanter Gedanke. Doch wer würde beim BGE denn noch die unliebsamen Jobs machen?
Götz Werner: Wenn Sie wollen, dass in der Welt etwas geschieht, haben Sie drei Möglichkeiten: Erstens, Sie machen es selbst. Zweitens, Sie automatisieren es. Drittens, Sie schaffen einen Arbeitsplatz, den man verstehen und gestalten kann – und der sinnstiftend ist. Man kann doch nur dann jahrelang irgendwo arbeiten, wenn dort Dinge gemacht werden, mit denen man sich identifizieren kann.
Wir müssen uns also wechselseitig Aufgaben zuordnen, die verstehbar, gestaltbar und sinnhaft sind. So formulierte das auch Hirnforscher Gerald Hüther. Dann können wir davon ausgehen, dass sich genügend Menschen dafür bewerben und mitmachen wollen.
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„Ohne Druck verhält man sich mitmenschlich“
Würde das auch für eine Stelle als Putzkraft zutreffen?
Götz Werner: Warum nicht? Wenn diese Stelle so gestaltet wird, dass Menschen in der Tätigkeit Sinn sehen und dafür wertgeschätzt werden.
Was ist mit den Tagen, an denen ich keine Motivation habe zur Arbeit zu gehen?
Götz Werner: Sie gehen davon aus, wir müssten zur Arbeit gezwungen werden. Doch wenn die Motivation von innen kommt, dann sind Sie intrinsisch motiviert – und brauchen keinen Zwang.
Wenn Menschen nicht unter Druck gesetzt werden, dann verhalten sie sich mitmenschlich. Nehmen wir das Beispiel einer Mutter: Sie kann auch nicht einfach sagen: Heute mache ich mal nichts. Die Aufgabe, sich um das Kind zu kümmern, stellt sich jeden Tag – unabhängig von der Motivation.
Also schreiben Sie den Menschen genügend Selbstmotivation zu?
Götz Werner: Das habe ich als Unternehmer erlebt. Und das sieht man an den vielen Ehrenamtlichen in unserem Land. Warum sind sie ehrenamtlich tätig? Weil sie Sinn in ihrer Tätigkeit sehen. Aber: Sie können es nur, wenn sie es sich leisten können. Und sie können es sich leisten – mit einem entsprechenden Einkommen.
„Wenn die Bezahlung zu gering ist, würde keiner mehr hingehen“
Heutzutage sind viele Jobs ungerecht entlohnt, denken wir zum Beispiel an Kindergärtner und Altenpfleger. Woran würde man im Falle eines BGE messen, wie hoch eine bestimmte Arbeit entlohnt wird?
Götz Werner: Das vereinbaren Mitarbeiter und Vorgesetzter miteinander. Sie haben Ihr Grundeinkommen und Sie haben noch andere Aufgaben. Doch Sie sind bereit, einen Teil Ihrer Zeit im Unternehmen einzubringen, weil Ihnen die Aufgaben gefallen und Sie etwas dazuverdienen wollen.
Wenn die Bezahlung zu gering ist, würde keiner mehr hingehen.
Was wäre mit den sinnleeren Jobs, die nach Ihrer Logik keiner mehr machen würde. Würden diese einfach wegfallen?
Götz Werner: Nein, es gäbe ja noch die Möglichkeit: Man konstruiert eine Maschine, die diese Arbeit übernimmt. Wir haben bereits lauter technischer Knechte, man denke an Drucker, Computer oder Smartphones, die uns die Arbeit abnehmen.
Deutschland gibt jedem Bürger ein bedingungsloses Grundeinkommen. Würde das nicht viel mehr Leute anziehen, als das System leisten kann?
Götz Werner: Wir können auch heute nicht jeden einladen, nach Deutschland zu kommen. Man muss die Menschen entsprechend aufnehmen und versorgen können. Man kann nicht von Willkommenskultur reden und nicht vorher definieren, was das bedeutet.
Wenn Menschen bleiben wollen, müssen wir daher als Gemeinschaft klären: Wollen wir das? Können wir das? Wie sind die Rahmenbedingungen? Das müssen wir heute und in Zukunft machen. Auch ohne Grundeinkommen. Das muss jedes Land machen.
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Keine Existenzängste mit Grundeinkommen
Herr Werner, was ist für Sie eine Utopie?
Götz Werner: Eine Utopie ist die Vision der Verbesserung der Zukunft. Die Frage „Wie kann ich die Welt besser machen?“ schlummert in jedem Menschen. Was könnte uns helfen, die Welt interessanter gesünder, ausgewogener und ausgeglichener zu machen?
Früher war es für die Menschen unvorstellbar, dass die Erde eine Kugel ist. Auch das Smartphone war mal eine totale Utopie. Heute ist es Realität.
Wie wäre es, ein Grundeinkommen zu haben und keine Existenzängste? Das Grundeinkommen ist das Utopischste, was man sich vorstellen kann.
Was braucht es noch, bis wir das BGE haben?
Götz Werner: Wir müssen die Idee verstehen. Wir müssen die Einsicht und das Bewusstsein haben, dass Arbeit unbezahlbar ist.
Schiller hat bereits 1792 den Gencode der Grundeinkommensidee formuliert: „Der Mensch ist noch sehr wenig, wenn er warm wohnt und sich satt gegessen hat, aber er muss warm wohnen, und satt zu essen haben, wenn sich die bessre Natur in ihm regen soll.“
Herr Werner, ich danke Ihnen für das Gespräch.
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