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Letzte Generation stellt Städten Ultimaten – einige reagieren empört

Letzte Generation
Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Die Klimagruppe Letzte Generation fordert von Städten ultimativ Unterstützung für ihre Ziele. Das sorgt bei einigen Politiker:innen für Empörung. Auch Erpressung wird den Aktivist:innen vorgeworfen. Dabei ist die rechtliche Einordnung nicht einheitlich.

Die Klimagruppe Letzte Generation hat in Briefen diversen Städten Ultimaten gestellt. Wer weitere Straßenblockaden mit festgeklebten Aktivist:innen vermeiden will, soll sich öffentlich hinter ihre Ziele für eine radikale Klimawende stellen, heißt es darin. Einige Städte reagierten empört, so etwa Hamburg, Berlin und Köln. Ihnen droht die Gruppe mit „maximaler Störung der öffentlichen Ordnung“. Andere verhandelten mit den jungen Leuten und erreichten einen Proteststopp. Ist das legitim? Oder macht sich der Staat dadurch erpressbar?

Reaktionen auf den Deal der Letzten Generation

„Bei einer Erpressung müsste man ja etwas tun, was einem widerstrebt, was der eigenen Position widerstrebt oder zum eigenen Schaden führt, und all das ist hier nicht der Fall“, sagte Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) Anfang März in der ARD. „Wir haben hier einen gemeinsamen Nenner, und der heißt Klimaschutz.“ Onay war der erste, der einen Deal mit der Letzten Generation einging und ihre Forderungen in einem Brief an die Bundestagsfraktionen aufnahm. Marburg und Tübingen folgten.

Nach Angaben der Klimagruppe laufen mit weiteren Kommunen Gespräche. „Es ist erfreulich, dass immer mehr Politiker:innen, unabhängig von der Bewertung unserer Protestform, verstehen, dass unsere inhaltlichen Anliegen von existenzieller Wichtigkeit sind und wir für das Gemeinwohl protestieren“, schrieb die Gruppe auf Twitter.

Eine Verhandlungslösung lehnt sowohl Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ab, als auch Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. „Regelmäßig handelt es sich bei dem Vorgehen um Straftaten wie Nötigung, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Sachbeschädigungen“, sagte Landsberg der Deutschen Presse-Agentur. Es sei „nicht üblich, dass man Straftäterinnen oder Straftätern durch politische Zusagen entgegenkommt“.

Lässt sich die Politik erpressen?

Ob sich die Politik erpressen lässt, verneint der Erfurter Rechtsprofessor Tim Wihl. Um Erpressung handele es sich nicht, weil dies eine Geldforderung voraussetze, sagte Wihl der dpa. Auch eine Nötigung der Stadtoberen sieht er nicht in den Straßenblockaden oder der Drohung damit. Zum einen sei der ausgeübte Druck nicht so groß, dass Oberbürgermeister auf Forderungen eingehen müssten. „Das ist immer noch eine freie Entscheidung“, sagte Wihl. Zum anderen sei es „fraglich, ob das Mittel verwerflich ist“. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus den 1980er und 1990er Jahren sei klar: „Auch robuste Blockadeaktionen fallen unter das Versammlungsrecht.“

Wenn ein Unternehmen bei bestimmten politischen Rahmenbedingungen mit der Schließung eines Werks drohe, denke auch niemand an Nötigung, meinte Wihl. „Das ist für Bürgermeister unangenehm, und sie würden sich wohl mit dem Unternehmen treffen. Ähnlich ist es bei großen Demonstrationen: Sie bauen Druck auf, sich zu treffen. Nichts anderes ist es bei den Blockaden der Letzten Generation.“

Andere Jurist:innen sehen das anders – so etwa die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. „Ich glaube, man kann sich nicht hinstellen und sagen, wenn ich nicht das bekomme, was ich möchte, dann klebe ich mich fest“, sagte Reker im Deutschlandfunk. „Das ist für mich eine Nötigung, der ich nicht nachgeben kann.“ Die Staatsanwaltschaft Hamburg wertete den Brief der Aktivist:innen an die Stadt als mögliche Nötigung von Verfassungsorganen. Aktivist:innen der Letzten Generation wurden bereits von unterschiedlichen Gerichten in Deutschland wegen Nötigung verurteilt.

Forderung der Letzten Generation nach einem „Gesellschaftsrat“

Eine weitere verfassungsrechtliche Diskussion gibt es über die zentrale Forderung der Letzten Generation nach einem „Gesellschaftsrat“. Dieser soll im Losverfahren besetzt werden und die Breite der Gesellschaft spiegeln. „Veganer:innen und Autofans diskutieren gemeinsame Lösungen, denn auch sie haben ein geteiltes Interesse: die Lebensgrundlagen auf diesem Planeten schützen und den Weg dahin sozial gerecht gestalten“, so stellt sich die Gruppe das vor. Der Rat soll Vorschläge machen, „wie Deutschland bis 2030 emissionsfrei wird“ – also deutlich vor dem geltenden Zieljahr 2045. Und die Regierung soll öffentlich zusagen, diese Maßnahmen als Gesetzesvorhaben ins Parlament einzubringen.

Kann hier wieder eine Nötigung gesehen werden? Soll mit so einem Rat das gewählte Parlament umgangen und so die verfassungsrechtliche Ordnung ausgehebelt werden? Rechtsexperte Wihl rät zu differenzieren. Die Idee von Bürgerräten als Ergänzung der Parlamentsarbeit gebe es seit langem. In Ländern wie Irland hätten sie zu Konsensentscheidungen beigetragen, etwa bei der gleichgeschlechtlichen Ehe. Verbindliche Vorgaben könne ein solches Gremium aber nicht treffen. „Für ein solches Ersatzparlament müsste man erstmal die Verfassung ändern“, sagte Wihl.

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