Utopia Image

LGBTIAQ+-feindlicher Artikel der Welt? Jetzt meldet sich Co-Autor zu Wort

Ein Gastbeitrag der Welt sorgte für Wirbel.
Foto: Unsplash / Sharon Mccutcheon / Screenshot Welt

Bei der Welt löste ein Gastbeitrag heftige Gegenreaktionen aus. Der Grund: Er stellte Teile der LGBTIAQ+-Bewegung und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an den Pranger. Selbst Axel-Springer-CEO Mathias Döpfner sah sich daraufhin verpflichtet, Stellung zu beziehen. Nun meldet sich einer der Verfasser:innen des umstrittenen Welt-Beitrags zu Wort.

Am 01. Juni erschien in der Welt ein Gastbeitrag von fünf Autor:innen. Unter ihnen Biolog:innen und Mediziener:innen, die nach eigenen Aussagen Beiträge des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) analysiert haben. Es folgte eine Abrechnung mit ARD und ZDF, denen die Verfasser:innen die Verfolgung einer „bedrohlichen Agenda“ vorwarfen. Konkret ging es um eine angebliche „Transgender-Ideologie“, mit der Kinder durch TV-Formate wie Die Sendung mit der Maus „indoktriniert“ werden würden. In einer ersten Version des Artikels hieß es in der Headline sogar: „Wie ARD und ZDF unsere Kinder sexualisieren und umerziehen.“

Die Autor:innen behaupten, sie hätten „einige Dutzende Sendungen“ des ÖRR gesehen und „schockierende Beobachtungen“ gemacht. Demnach würden die unterschiedlichen Kanäle von ARD und ZDF „tendenziöse Berichterstattung, Begriffsverwirrung und Bedeutungsverschiebung“ vornehmen.

Konkret wird unter anderem auf einen Funk-Beitrag eingegangen, indem – so die Kritik der Gastautor:innen – eine Geschlechtsangleichung „als kinderleichter Schritt“ dargestellt werden würde. „Die psychischen und körperlich schweren und irreversiblen Folgen solcher Maßnahmen werden allerdings entweder überhaupt nicht geschildert oder bestenfalls nebenbei erwähnt“, heißt es in dem Welt-Artikel, in dem trans* Personen als „Trend“ bezeichnet werden, und der der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung zu LGBTIAQ+-Themen Unwissenschaftlichkeit vorwirft.

Springer-CEO bezeichnet Welt-Gastbeitrag als „unterirdisch“

Zwei Tage nach Erscheinen des Gastbeitrags, der in den sozialen Medien, aber auch unter Journalist:innen auf heftige Reaktionen gestoßen ist, bezog Axel-Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner ebenfalls Stellung. In einem Gastbeitrag bei der Welt versuchte er auf die Kritik, der Springer-Verlag würde mit besagtem Artikel Ressentiments gegen die LGBTIAQ+-Community schüren, einzugehen. Döpfner ordnete den Gastbeitrag und seinen Ansatz als „unterirdisch“ ein, ebenso die verallgemeinernde Kritik an den ÖRR-Medien für die Berichterstattung zu den Themen. Er könne die Einwände gegen den Artikel deshalb nachvollziehen. Döpfner verweist jedoch auf die Meinungsfreiheit: Gastbeiträge wie dieser hätten ihre Berechtigung um „Grenzen auszuloten und auf diese Weise Debatten anzustoßen“. Sie seien „nicht die Stimme der Redaktion“.

Gleichzeitig machte sich Ulf Poschardt, Chefredakteur der Welt, die Position der Autor:innen sehr wohl zu eigen. Auf dem Karrierenetzwerk LinkedIn schrieb Poschardt mit Verweis auf den umstrittenen Beitrag: „Wenn diese das Jugendprogramm des ÖRR in Sendungen, im Internet oder auf sozialen Medien konsumieren, kann nichts schiefgehen, mögen Eltern vertrauensvoll denken. Tatsächlich aber sind wir auf Kanälen wie ‚Funk‘, ‚Reporter‘, ‚Die da oben‘, und ‚Y-Kollektiv‘ auf Beiträge gestoßen, die Kannibalismus (über 2,5 Millionen Aufrufe), Vampir-Fetische (über eine Million Aufrufe) oder ‚Wie ist es, vergewaltigt zu werden?‘ (über 3 Millionen Aufrufe) unreflektiert an Kinder herantragen.“

Inzwischen hat sich auch einer der Autor:innen zu Wort gemeldet. In einem Interview mit der Zeit weist Jugendpsychiater Alexander Korte Döpfners Kritik, der Beitrag sei „grob einseitig“, zurück – da der Springer-CEO damit unterstellen würde, der Gastbeitrag sei „homosexuellen- und transfeindlich“.

Korte sagt: „In einem Dossier tragen wir schließlich viele Belege für die Einseitigkeit der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien zum Thema Transidentität und Geschlechtervielfalt zusammen.“ Auf den Einwand der Zeit, dass weder das Dossier, noch der Gastbeitrag eine „nüchterne wissenschaftliche Abhandlung“ sei, er dem ÖRR aber ausgerechnet „Indoktrination“ vorwerfe, erwidert der Autor: „Die Überschrift stammt von der Welt. Wir hatten einen nüchternen Titel gewählt“. Allerdings hätten er und seine Co-Autor:innen auch im Text, in dem das Wort ebenfalls vorkommt, „präziser“ mit bestimmten Begrifflichkeiten umgehen sollen.

Transsexualität zu komplex für Die Sendung mit der Maus?

Weiter erklärt Korte, dass Transsexualität ein „sehr komplexes Thema mit unterschiedlichen Entwicklungswegen“ sei – und es deshalb Probleme berge, es stark vereinfacht bzw. kindgerecht in Formaten wie Die Sendung mit der Maus darzustellen. „Wenn das komplexe Thema die Zielgruppe überfordert, frage ich mich, warum man es dann unbedingt im Kinderfernsehen bringen muss“, so Korte. Er stellt klar: „Ich glaube allen Betroffenen ihre subjektive Wahrnehmung. Es ist aber unsere Verantwortung als Mediziner und Therapeuten, Menschen auch vor falschen Entscheidungen zu bewahren. Das mag für Außenstehende paternalistisch klingen, aber die Fachliteratur liefert genug Belege dafür, dass sich nicht jede Selbstkategorisierung als transsexuell aus medizinisch-psychologischer Sicht als zutreffend erweist.“ Zudem betont Korte, dass die Existenz von Intersexualität nicht die biologische Zweigeschlechtlichkeit widerlegen würde.

Auf die Frage, wieso der Welt-Gastbeitrag wenig differenziert und vielmehr emotional auf die Thematik eingehen würde, antwortete der Jugendpsychiater, dass er und seine Co-Autor:innen die Debatte „in die Mitte der Gesellschaft“ tragen wollten.

Bei der LGBTIAQ+-Community handelt es sich um die „Lesbian Gay Bisexual Trans Intersex A- Queer“-Community und weitere Geschlechtsidentitäten, die sich nicht durch die binären Geschlechtsidentitäten Mann und Frau sowie Heteronormativität repräsentiert sieht. LGBTIAQ+-Personen haben immer wieder mit Ausgrenzung und Diskriminierung zu kämpfen.

** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos.

Gefällt dir dieser Beitrag?

Vielen Dank für deine Stimme!

Verwandte Themen: