Hat der Stillstand des öffentlichen Lebens durch das Coronavirus Vorteile fürs Klima – oder ist eher das Gegenteil der Fall? Das sagen Experten*innen dazu.
Das Coronavirus ist eine Pandemie, die zahlreiche Menschenleben gefährdet. Wegen ihm müssen wir uns in unsere Wohnungen zurückziehen, viele Betriebe stehen still. Doch gerade dieser Stillstand scheint auch etwas Positives zu haben – und zwar für die Umwelt. In den Medien kursieren Bilder von glasklarem Wasser in Venedigs Kanälen. Außerdem sieht man immer wieder Fotos von wilden Tieren in und vor Städten; zum Beispiel wurden im Hafen der italienischen Stadt Cagliari Delfine gesichtet. Auch die NASA postet Diagramme, die demonstrieren, wie die Luft in China plötzlich besser wird. Es scheint fast so als würde die Natur von unseren Quarantänemaßnahmen profitieren. Aber stimmt das auch?
Coronavirus: Werden Gewässer sauberer?
Auch wenn die Gewässer in Venedig klarer sind, hat sich die Wasserqualität deshalb nicht verbessert. Ein Sprecher des venezianischen Bürgermeisters erklärte gegenüber CNN: „Das Wasser sieht jetzt klarer aus, weil es weniger Verkehr auf den Kanälen gibt, so dass das Sediment auf dem Grund bleiben kann.“ Die gesichteten Delfine sind in der Region laut Greenpeace nichts Außergewöhnliches.
Verändert sich die Luftqualität?
Die Luftqualität hat sich in den vergangenen Wochen in vielen Städten tatsächlich verbessert – das ist wissenschaftlich bewiesen. Forscher*innen haben für Studien zum Beispiel die Menge des Gases Stickstoffdioxid (NO2) in der Luft gemessen. Stickoxide entstehen bei Verbrennungsprozessen, zum Beispiel von Kohle, Öl und Gas – etwa beim Autofahren.
Weil die Menschen derzeit aber nicht mit dem Auto unterwegs sind, sondern vermehrt in ihren Wohnungen bleiben, ist die Luft in vielen Städten klarer geworden. Der Klimaforscher Guy Brasseur vom Max-Planck-Institut für Meteorologie hat Daten aus 1.600 Messstationen in China ausgewertet. Gegenüber Utopia erklärt er, dass Feinstaub dort in der Atmosphäre um 25 Prozent abgenommen hätte, NO2 sogar um fast 50 Prozent. Gleichzeitig hätten sich die Werte für Ozon aufgrund von Wechselwirkungen mit NO2 aber verdoppelt. Das Gas verringert die Luftqualität und ist in hohen Mengen giftig, der Wert werde sich Brasseur zufolge aber bald von selbst regulieren.
Auch in Europa ist die Luft besser geworden. Laut der Europäischen Umweltagentur (EEA) haben sich die Werte für NO2 in vielen italienischen Städten halbiert. Allerdings warnt die Tagesschau, dass auch das Wetter einen Einfluss auf die Werte haben kann.
Ist das Coronavirus gut fürs Klima?
Bessere Luft muss nicht unbedingt mehr Klimaschutz bedeuten. Denn das Klima schützen wir vor allem, wenn wir weniger Treibhausgase wie CO2 ausstoßen. Ist das denn gerade der Fall?
Ja, bestätigt Klimaforscher Brasseur. Er schätzt, dass in Europa etwa 20 Prozent weniger CO2 ausgestoßen wird als sonst. (Dieser Wert basiert auf Schätzungen, genaue Zahlen gibt es noch nicht.) Die Denkfabrik Agora Energiewende kam sogar zu dem Schluss, dass Deutschland wegen dieses Rückgangs seine Klimaziele für 2020 – minus 40 Prozent CO2-Emissionen gegenüber 1990 – doch noch erreichen wird.
Doch diese Änderungen resultieren nicht nur aus dem Coronavirus. Laut Agora Energiewende hat auch der milde Winter dieses Jahr dazu beigetragen; wir haben nämlich weniger geheizt als üblich. Auch die Stromproduktion aus Windkraft sei zu Anfang des Jahres gestiegen, außerdem seien die Gaspreise niedrig. All das hätte auch ohne Corona zu einem Rückgang der Treibhausgasemissionen geführt. Weil derzeit weniger Verkehr herrscht und viele Fabriken stillstehen, hat sich der Effekt aber verstärkt.
„Für das Klima hat das alles aber wenig Bedeutung“, so Brasseur. Denn das Klima ändert sich langsam. „Was zählt, ist nicht der CO2-Ausstoß von heute, sondern wie viel wir insgesamt in die Atmosphäre eingespeist haben und einspeisen werden.“ Denn auch wenn wir kurzzeitig weniger CO2 produzieren, steigen die Konzentrationen in der Atmosphäre doch weiter an. Insgesamt wird die Coronakrise seiner Meinung nach keinen großen Einfluss auf den Klimawandel haben.
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Coronavirus: Nachteile für den Klimaschutz
Nur weil die CO2-Emissionen wegen Corona gerade niedriger als sonst sind, heißt das nicht, dass der Klimaschutz von dem Virus profitiert. Im Gegenteil: Preise für Rohöl, Benzin und Diesel sind drastisch gesunken, man kann also aktuell billig Energie aus fossilen Rohstoffen gewinnen. Auch die Preise für CO2-Zertifikate haben sich fast halbiert – von 24 auf 16 Euro (Stand: 20.März).
Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts, warnte kürzlich im Interview mit der SZ: „Wenn wir die Wirtschaft wieder zum Laufen bringen, ohne die Strukturen zu ändern, werden die Emissionen alle wieder da sein.“ Viele Expert*innen befürchten zudem einen „Nachholeffekt“: Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, würde man nach der Krise mehr produzieren als vorher. Das bedeutet auch: potenziell mehr Emissionen.
Die Wirtschaft zu fördern ist natürlich wichtig, um Unternehmen und auch Jobs zu erhalten. Dabei könnten Politiker*innen aber auch gezielt grüne Wirtschaftszweige fördern. Messner schlägt zum Beispiel vor, Investitionen zu fördern, die sowohl die Folgen der Coronakrise bekämpfen als auch dem Klimaschutz dienen. Konkret könne man zum Beispiel in die Elektrifizierung des Verkehrs investieren oder in Gebäudesanierungen.
Was können wir aus Corona lernen?
Die Coronakrise bedroht die Gesundheit und Existenz von Millionen Menschen. Dabei wurde die Bedrohung ganz zu Anfang, als die Anzahl der Infizierten in Deutschland noch gering war, von Vielen nicht Ernst genommen. Von Politiker*innen genauso wie von der Bevölkerung, obwohl die Wissenschaft vor der Beschleunigung der Neuinfektionen gewarnt hatte. „Das liegt daran, dass die meisten Menschen erst dann Konsequenzen ziehen und handeln, wenn sie eine Bedrohung konkret erfahren können,“ so die Geschäftsführerin des Deutschen Klima-Konsortiums, Marie-Luise Beck. „Im Februar war es noch undenkbar, Karneval oder Fußball abzusagen. Jetzt merken wir, da ist eine nahe, konkrete Bedrohung, die uns selbst betrifft.“
Ähnlich sei es auch im Hitzesommer 2018 gewesen. Dieser habe die Folgen des Klimawandels auch hier in Deutschland spürbar gemacht. Weil sich der Klimawandel aber auf viel längeren Zeitskalen abspielt, hat er im Moment nicht dieses Katastrophenpotenzial. Sie weist darauf hin, dass auch der Meeresspiegel inzwischen 2,5 Mal schneller ansteigt als durchschnittlich zwischen 1901 bis 1990. Doch das scheint kaum beunruhigend zu sein, denn die absoluten Zahlen sind noch gering und die Folgen sind zu weit entfernt.
Utopia meint: Durch die derzeitige Krise haben wir vieles gelernt: Dass Menschen dazu bereit sind, sich einzuschränken, wenn sie einen guten Grund dazu haben. Dass wir solidarisch sein können mit einer Gruppe, deren Überleben bedroht ist. Und dass die Politik im Angesicht einer globalen Krise doch entschieden handeln kann. Bleibt zu hoffen, dass wir diese Lektionen im Hinblick auf die Klimakrise nicht so bald wieder vergessen.
Fürs Klima wäre vor allem wichtig, dass die Menschheit ihre CO2-Emissionen langfristig senkt. Wie wir das erreichen können und wie du selbst dazu beitragen kannst, liest du hier:
- Klimaziele: Diese Ziele verfolgt Deutschland
- Erneuerbare Energien: Warum nur Sonne & Wind das Klima retten
- CO2-Ausstoß bei Wohnung, Ernährung & Verkehr: Wo verbrauchst du wie viel?
- Zu Ökostrom wechseln … in 5 einfachen Schritten
- CO2-Emissionen beim Heizen senken – ohne zu frieren
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