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Cottagecore: Nachhaltiger Lebensstil oder Fashion-Trend?

Cottagecore lässt den Traum von einem ruhigen Leben in der Natur wahr werden
Foto: CC0 / Pixabay / Rosy_Photo

Unter Cottagecore lassen sich auf Social Media Unmengen an Beiträgen finden, die ein romantisches Landleben idealisieren. Doch was steckt wirklich hinter diesem Trend?

Ein einfacheres Leben ohne viel Stress, dafür mitten in der Natur: Cottagecore bezeichnet genau diese Sehnsucht nach einem idyllischen Landleben.

2018 tauchte der Begriff als Hashtag vermehrt auf Social Media auf. Aber erst während der Pandemie ist Cottagecore so richtig bekannt geworden. Schließlich träumen vor allem viele Städter:innen vom abgeschiedenen Landleben ohne ständige Infektionsgefahr und mit viel Platz, um eigenes Gemüse anzubauen. Auch Popstar Taylor Swift griff diesen Trend auf und zeigte sich zum Beispiel in ihrem Musikvideo zum Song „Willow“ Ende 2020 in rustikaler Kleidung und mitten in einem verwunschenen Wald.

Cottagecore romantisiert die Vorstellung vom einfachem Leben auf dem Land. Dabei dreht sich der Trend viel ums Handwerken, Gärtnern und eine harmonische Verbindung zur Natur. 

Aber geht es bei Cottagecore tatsächlich um Nachhaltigkeit oder ist es nur ein vergänglicher Lifestyle-Hype im Internet? 

Was genau ist Cottagecore?

Cottagecore setzt sich aus den Wörtern „Cottage“, also einem kleinen Landhaus, und „-core“ zusammen. Diese Endung kommt von „Hardcore“ und bezeichnet damit das Extreme. Cottagecore lässt sich damit also als „Landleben extrem“ bezeichnen. Auf Pinterest, TikTok und Instagram lassen sich unter diesem Schlagwort unzählige verträumte Aufnahmen von romantischen Gärten mit vollen Obstbäumen, rustikalen Holzküchen und vorwiegend Frauen in verspielten, weiblichen Kleidern beim Handarbeiten finden.

Cottagecore ist dabei eigentlich kein neuer Trend. Schon seit Jahrhunderten sehnen sich die Menschen nach einem einfacheren Leben. Das war schon während der Renaissance (15. bis 16. Jahrhundert) so, als Künstler:innen die Natur für sich entdeckten und Details aus der Antike wieder modern wurden. Auch Dichter und Dramatiker wie William Shakespeare und Christopher Marlowe schrieben über ihre Sehnsucht nach einem einfachen Leben fernab der Gesellschaft. In seinem 1854 erschienen Buch „Walden“ beschreibt der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau sein zurückgezogenes Leben in einer Blockhütte. Anhänger:innen des Cottagecore-Trends zitieren Thoreaus Schrift oft.

Wie nachhaltig ist Cottagecore?

Cottagecore wirkt auf den ersten Blick sehr nachhaltig
Cottagecore wirkt auf den ersten Blick sehr nachhaltig
(Foto: CC0 / Pixabay / dieuthaihong)

Eigenes Gemüse anbauen, Secondhand-Klamotten und -möbel und Kapitalismuskritik: Auf den ersten Blick wirkt Cottagecore nachhaltig. So bauen viele Anhänger:innen von Cottagecore ihr Gemüse beispielsweise nach traditionellen Anbaumethoden an. Auch die Vermeidung von Verpackungsmüll ist ein großes Thema: So gibt es zum Beispiel unzählige TikTok-Videos in denen erklärt wird, wie man aus frisch gesammelten Brennnesseln Tee macht, oder Anleitungen, um Wachstücher selber herzustellen. 

Politisch wird Cottagecore mit Antiglobalisierung in Verbindung gebracht. Schließlich geht es bei Cottagecore darum, zum ländlichem Leben zurückzukehren, in dem traditionell Selbstversorgung eine große Rolle spielt sowie die Saisonalität und Regionalität von Produkten. Vielen Anhänger:innen von Cottagecore ist es wichtig, im Einklang mit der Natur zu leben. Auch „climate anxiety“ – also die Angst vor den Folgen der Klimakrise – ist immer wieder Thema. Und wie andere Aussteiger:innen haben viele Cottagecore-Anhänger:innen auch genug vom sich ewig drehenden Hamsterrad des Kapitalismus. Selber machen statt kaufen ist angesagt. Und so werden Marmeladen eingekocht, Kleider genäht und Bücherregale selber gezimmert. 

Aber wie mit vielen anderen Internettrends wird auch mit Cottagecore versucht, Geld zu machen. Sucht man im Internet nach dem Begriff, landet man bei zahlreichen Shops, die diverse Cottagecore-Produkte verkaufen. Mit dem Trend Cottagecore lassen sich von Handyhüllen mit romantischen Mustern über teure Kleider bis hin zu Deko-Gegenständen wie Trockenblumen oder Vasen alles vermarkten, was ästhetisch zum Traum des Landlebens passt. Und auch die etlichen Cottagecore-Influencer:innen befeuern Konsum im Namen des einfachen Lebens, indem sie sich ständig mit neuen Kleidungsstücken und Accessoires zeigen. 

Cottagecore und seine Schattenseiten

Bei Cottagecore gibt es viele Kritikpunkte.
Bei Cottagecore gibt es viele Kritikpunkte.
(Foto: CC0 / Pixabay / profkomorowski)

Es gibt noch mehr Kritik an Cottagecore: Denn bis auf wenige Ausnahmen porträtiert Cottagecore vor allem junge Frauen, die sich alleine um die Hausarbeit und das Familienidyll kümmern. So verträumt die Aufnahmen vom Backen, Stricken und von der Kinderbetreuung zwischen Wäscheleine und blühendem Lavendel auch sein mögen, zeigt Cottagecore doch ein sehr traditionelles Frauenbild, das eigentlich längst überholt ist. Das kann auch der nostalgische Filter über den Videos und Fotos nicht verbergen. 

Außerdem ist Cottagecore ein Trend, den vor allem weiße Menschen vorleben. Gerade in den USA ist er deswegen nicht unumstritten. Denn das Leben wie zu Zeiten vor dem amerikanischen Bürgerkrieg, das viele Internet-User:innen auf Instagram und TikTok nachstellen und idealisieren, wäre ohne Sklaverei und Kolonialismus nicht möglich gewesen. Nach dem Ende der Sklaverei zogen viele People of Color (Selbstbezeichnung von Menschen, die von der Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiß klassifiziert werden) in die Städte, weil sie dort eher Arbeit fanden. Ein Landleben oder gar eine eigene Farm war für sie schon allein finanziell nicht möglich. Dass die Zeit vor dem Bürgerkrieg gerade in Amerika so verklärt wird, hat auch immer etwas mit Patriotismus und Rassismus zu tun. Die Romantisierung eines landwirtschaftlichen Lifestyles hat außerdem historische Parallelen zum Faschismus.

Ein weiteres Problem von Cottagecore ist, dass dieser Lifestyle nur durch gewisse Privilegien möglich wird. Nur die wenigsten von uns können sich wahrscheinlich ein Häuschen direkt am Waldrand mit idyllischem Garten leisten. Außerdem hat Cottagecore kaum etwas mit dem wirklichen Leben auf dem Land zu tun. Welche:r Landwirt:in kann es sich schon erlauben, stundenlang über Felder zu spazieren oder picknicken zu gehen und dabei Fotos von sich zu machen?

Cottagecore ist, was du daraus machst

Cottagecore ist Interpretationssache und für alle da.
Cottagecore ist Interpretationssache und für alle da.
(Foto: CC0 / Pixabay / mrkhang)

Es gibt aber auch andere Interpretationen von Cottagecore: So machen sich immer mehr junge, queere Menschen den Trend zu eigen. Dabei gehen sie stereotypischen heteronormativen Tätigkeiten wie häkeln oder backen nach und interpretieren diese für sich neu. Für viele queere Personen ist die Cottagecore-Community zu einem sicheren Hafen im Internet geworden, in dem sie sich ausleben und ihrer Fantasie freien Lauf lassen können. Und auch People of Color posten Videos und Fotos und zeigen damit, dass die Sehnsucht nach einem einfachen Landleben nicht nur etwas für die weiße Bevölkerung ist. Eindrücke davon gibt es auf dem Instagram-Account CottagecoreBlackFolks. Außerdem gibt es asiatische Einflüsse im Cottagecore zu finden. Denn viele Filme der japanischen Zeichentrickschmiede Studio Ghibli thematisieren die Rückbesinnung auf ein ruhiges Leben in der Natur.

Cottagecore hat wie so viele Trends seine Vor- und Nachteile. Im Endeffekt ist Cottagecore aber, was du daraus machst. Träumst du von einem ruhigen, nachhaltigen Landleben, musst du dich dafür nicht irgendwelchen Normen anpassen oder dich mit Influencer:innen vergleichen. Wenn du dich für Cottagecore und seine Ästhetik interessierst, kann dies potentiell einen nachhaltigeren Lebensstil zur Folge haben. Doch wichtig ist, einige Cottagecore-Strömungen kritisch zu hinterfragen und den Trend nicht als Ausrede zu nehmen, um mehr zu konsumieren. 

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