Dunkelretreats sind eine Form des Self-Care-Urlaubs, bei dem Teilnehmer:innen eine Zeit lang ganz im Dunkeln verbringen. Das soll vielseitige positive Auswirkungen auf Körper und Psyche haben. Doch was ist wirklich dran?
In Dunkelretreats (vom Englischen retreat, zu Deutsch: Rückzug, Zufluchtsort), auch bekannt als Dunkeltherapien, tauchen Menschen für einen bestimmten Zeitraum in absolute Dunkelheit ein. Die Anbieter:innen solcher Retreats versprechen den Teilnehmer:innen eine Reihe von potenziellen Vorteilen für ihre körperliche und psychische Gesundheit. Dazu gehören beispielsweise
- eine intensivierte spirituelle Erfahrung,
- eine verbesserte Selbsterkenntnis,
- Stressabbau,
- Entgiftung,
- gesteigerte Kreativität sowie
- ein tieferes Verständnis des eigenen Selbst.
Die Behauptungen der Anbieter:innen beruhen jedoch oft auf subjektiven Erfahrungsberichten und persönlichen Anekdoten, anstatt auf wissenschaftlichen Studien oder empirischen Beweisen. Es gibt nur begrenzte Forschung zu diesem spezifischen Bereich.
Die Praxis, sich über längere Zeit in vollständige Dunkelheit zu begeben, gibt es in einigen Kulturen seit langer Zeit. Im tibetischen Buddhismus beispielsweise wird sie durchgeführt, jedoch laut Buddhismuslehrer Lama Justin traditionell nur von erfahrenen Spirituellen.
Wie läuft ein Dunkelretreat ab?
Du kannst ein Dunkelretreat für nur einen Tag absolvieren, oder sogar mehrere Wochen in Dunkelheit verbringen. Der Durchschnittswert liegt dabei um die fünf bis sieben Tage. Alle Räume, die du nutzt, sind komplett abgedunkelt. So musst du zum Beispiel auch im Dunkeln essen und aufs Klo gehen. Wichtig ist dabei, dass es wirklich dunkel ist – dass also durch keinen Schlitz unter der Tür, oder durch ein irgendwo aufblinkendes Licht an einem Gerät der Raum doch teilweise erleuchtet wird. Vollständige Dunkelheit ist heutzutage, unter anderem wegen Lichtverschmutzung, nur sehr selten erfahrbar.
Auch Schall wird meist so gut wie möglich ausgeschlossen – denn Lärm solltest du auf dem Retreat ebenfalls nicht erfahren. Für frische Luft sorgt beispielsweise ein Frischluftschacht.
Essen zu kochen ist in der Situation schwierig, sodass dir im Dunkelretreat meistens Essen und Getränke bereitgestellt werden. Anhand dieser festen Mahlzeiten lässt sich die Tageszeit abschätzen, was für einige einen Kritikpunkt darstellt: Idealerweise solle man im Dunkelretreat ganz ohne äußere Einflüsse sein, wozu man auch die Tageszeit zählen kann. Was du isst, kannst du entweder vor dem Beginn einem Essensplan entnehmen, oder dich überraschen lassen. Meist achten die Anbieter:innen auf gesunde, vegetarische oder vegane Ernährung, mitunter auch in Bio-Qualität.
Einige Menschen entscheiden sich stattdessen dazu, während der Zeit im Dunkeln zu fasten. Es gibt jedoch keine Belege, dass Fasten und ein Dunkelretreat einander positiv beeinflussen. Allerdings gibt es beim Fasten generell mehr Dinge zu beachten als bei der Dunkeltherapie. Erfahre hier mehr zu beliebten Fastenarten: Fasten nach Buchinger, Intervallfasten und Wasserfasten.
Wie soll man sich nun mehrere Tage beschäftigen, wenn man weder digitale Geräte nutzen, noch lesen oder Spiele spielen kann? Wer es sich zutraut, kann im Dunkeln Sport machen. Dafür solltest du jedoch sicherstellen, dass du genug Platz hast und dich nirgends stößt. Yogaübungen bieten sich an, weil du dich dafür selten weit durch den Raum bewegen oder springen musst.
Einerseits könntest du zum Beispiel ein Hörbuch anhören, ohne dabei dem Licht des Bildschirms ausgesetzt zu sein. Andererseits dient das Dunkelretreat ganz klar der Selbstreflexion und der Stille. Das Kloster Saunstorf zum Beispiel empfiehlt, dass Teilnehmende ihrer Dunkeltherapie bereits Erfahrung in einer „Form innerer Praxis wie Meditation, Selbsterforschung“ oder ähnlichem mitbringen sollten.
In den Rezensionen auf der Klosterwebseite beschreiben Teilnehmer:innen zum Beispiel, warum sich die Zeit nicht so sehr dehnt, wie man vielleicht annehmen möchte: „Das Leben verlangsamte sich immer mehr, denn jede kleine Alltagshandlung wie zum Beispiel Essen und Anziehen erforderte viel mehr Aufmerksamkeit und Genauigkeit und damit auch mehr Zeit“. In einem Selbstversuch, auf den wir unten näher eingehen, beschreibt ein Reporter, dass er nach einer gewissen Zeit auch einfach „viel rumgelegen“ hätte, ohne jedoch wirklich Langeweile zu empfinden.
Je nach Anbieter:in gibt es auch regelmäßige Begleitgespräche. Bei anderen bleibt man die Dauer über nur für sich im Dunkelretreat.
Risiken von Dunkelretreats und warnende Expert:innen
Bevor man sich für ein Dunkelretreat oder eine Dunkeltherapie entscheidet, ist es wichtig, die potenziellen Risiken zu beachten. Der Mangel an externen Reizen und das Fehlen von Licht können zu einer Störung des natürlichen Wach-Schlaf-Rhythmus führen und das Zeitgefühl der Teilnehmer:innen beeinflussen. Einige Menschen könnten unter solchen Bedingungen auch Angstzustände, Halluzinationen oder andere psychische Probleme entwickeln.
Marek Malůš, ein Psychologe, der eine Form von Dunkeltherapie seit Jahren untersucht, berichtet im Atlantic davon, dass ein teilnehmender Student von der Erfahrung sogar traumatisiert wurde. Im Artikel konkludieren er und andere Wissenschaftler:innen, dass die Methode psychologisch gesehen einen hohen Gewinn versprechen könne, jedoch auch ein hohes Risiko hätte.
Es gibt also Expert:innen, die Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und des Nutzens von Dunkelretreats äußern. Sie weisen darauf hin, dass die potenziellen Vorteile nicht ausreichend durch wissenschaftliche Beweise gestützt werden und dass die isolierende Natur des Konzepts für einige Menschen schädlich sein kann. Daher sollte jede:r vor Teilnahme an einem Dunkelretreat Rücksprache mit Fachleuten wie Psychotherapeut:innen oder Ärzt:innen halten.
Gegenüber SRF, wo sich ein Mitarbeiter im Rahmen eines Selbstversuchs einem siebentägigen Dunkelretreat unterzogen hat, warnt zum Beispiel Psychotherapeut Arnold Wittwer: „Da das Gehirn keinen Input von außen erhält, generiert es selber welchen. Sie werden Halluzinationen haben.“.
Einzelne Anbieter:innen sprechen auch davon, dass das Dunkelretreat das „innere Kind“ ansprechen kann. Auch solche Versprechungen sind nicht ganz ohne ihre Risiken. Mehr dazu erfährst du in einem anderen Ratgeber:
Dunkeltherapie als Begriff und seine Einordnung
Der Begriff „Dunkeltherapie“ wird von einigen Anbieter:innen verwendet, um den Eindruck zu erwecken, dass es sich um eine therapeutische Methode handelt. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Dunkeltherapie in der Regel nicht von ausgebildeten Psycholog:innen oder medizinischen Fachkräften durchgeführt wird. Es handelt sich eher um einen alternativen Ansatz, der von Personen ohne formelle medizinische Ausbildung angeboten wird.
In den unten näher beschriebenen Selbstversuchen sind das zum Beispiel eine Heilpraktikerin, beim Kloster Saunstorf eine „erfahrene Dunkelraum-Begleiterin“, sowie eine Leiterin einer Naturheilpraxis und „Medizin-Frau“.
Der Begriff Therapie ist außerdem problembehaftet, weil er eine Heilung suggeriert. Besonders Menschen, die bereits psychische Probleme haben, sollten jedoch vorsichtig an die Sache herangehen. Durch eine Woche in Dunkelheit beispielsweise psychische Probleme „heilen“ zu können, sollte niemals die Erwartung der Teilnehmenden sein.
Es gibt jedoch auch Hinweise darauf, dass und warum ein Dunkelretreat positive Auswirkungen haben könnte. Der Psychologieprofessor Malůš erklärt gegenüber dem Atlantic, dass er das Retreat als eine Form der sogenannten REST ansieht (restricited environment stimulation therapy). Das ist eine Therapie, früher als Sinnesentzug bekannt, bei der dem/der Patient:in für 24 bis 48 Stunden möglichst alle Sinneseindrücke entzogen werden. Studien haben dem Psychologen zufolge gezeigt, dass diese Art der Therapie die Stimmung bessern, Stress reduzieren und die Kreativität fördern kann.
Selbstversuche in den Medien
Da wissenschaftliche Belege wie auch Expert:innenstimmen zu dem Thema schwer zu finden sind, haben Mitarbeitende in verschiedenen Medien bereits Selbstversuche gestartet, darunter zum Beispiel Franziska Felber von Deutschlandfunk Nova. Ihr Dunkelretreat dauerte „nur“ 24 Stunden, doch selbst in dieser Zeit musste sie „alle Kräfte bemühen“, um nicht auf ihrem Handy die Uhr zu checken.
Begleitet wurde sie von einer Heilpraktikerin, die eine Erklärung dazu abgab, warum Felber in der Zeit ungewöhnlich viel schlief: Menschen seien durch ihren Alltag oft bereits erschöpft. Sobald sie zur Ruhe kämen, was der Dunkelretreat ja möglich machen soll, nutze der Körper das aus, um sich zu erholen – und schlafe erstmal. Das Fazit von der Deutschlandfunk-Nova-Reporterin: „Mit Wellness hat das Dunkelretreat nichts zu tun. Doch zum Innehalten und In-Mich-Gehen würde ich es sofort wieder machen.“.
Der Zeit-Autor Lukas Rietzschel hat sich an eine etwas längere Zeit gewagt: Vier Tage und drei Nächte harrte er in völliger Dunkelheit aus. Er beschreibt, dass er sich manchmal nicht sicher gewesen sei, ob er träume oder wach sei. Die Fantasie habe er nicht abstellen können. Vor allem nach dem Schlaf empfand er das fehlende Licht als bedrückend: „Aufwachen in Dunkelheit ist das Schlimmste.“ Auch körperlich sei der Dunkelretreat nicht nur angenehm gewesen. Vom vielen Liegen und Sitzen haben sich an seinen Schultern, Ellbogen und entlang seines Beckens Druckstellen gebildet.
Der SRF-Reporter Robin Pickis geht in einem Q&A-Video näher auf seine Erfahrung ein: Er habe die Woche über nichts besonders vermisst. Jedoch habe es geholfen, dass er durch die Kamera, zu der er sprach, gewissermaßen eine Bezugsperson gehabt hätte, mit der er seine Empfindungen teilen konnte. Seine Wahrnehmung aber habe sich stark verändert. Wenn es zum Lüften ein Fenster öffnete, musste er sich, so sagt er, die Ohren zuhalten, sobald ein Auto vorbeifuhr.
Im Dunkelretreat meditieren?
Viele Teilnehmer:innen nutzen die Dunkelheit als eine Möglichkeit, tiefer in ihre meditative Praxis einzutauchen und eine intensivere Erfahrung zu machen. Erfahrene Meditierende könnten möglicherweise von einem Dunkelretreat profitieren, da es ihnen ermöglicht, ihre Konzentration und Selbsterforschung zu vertiefen. Wer sich durch Meditationsübungen besser selbst kennengelernt hat, kann voraussichtlich auch starke emotionale Reaktionen besser einschätzen und regulieren.
Personen, die keinerlei Erfahrung mit Meditation haben oder die psychische Erkrankungen haben, sollten jedoch vorsichtig sein. Die Isolation und der sensorische Entzug können belastend sein und zu unvorhersehbaren emotionalen oder psychischen Reaktionen führen.
Besonders Meditations-Anfänger:innen oder Menschen mit gesundheitlichen Problemen sollten vor der Teilnahme an einem Dunkelretreat Rücksprache mit professionellen Therapeut:innen oder Ärzt:innen halten.
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