Die Klimakrise bedroht quasi alle Aspekte menschlichen Lebens – von Wohnraum und Ernährung bis zu unserer Gesundheit. Doch sie trifft nicht alle Menschen gleich stark. Mädchen und Frauen spüren die Folgen oft härter als Männer.
Vorweg: In diesem Artikel wird oft die Rede von sozialen Ungleichheiten sein. Das Geschlecht ist dabei nur ein Faktor – Ungerechtigkeiten erstrecken sich über zahlreiche Dimensionen wie etwa Ethnie, Alter, Herkunft, Bildungsstand, Religion, sexuelle Orientierung, körperliche Fähigkeiten usw. Zu allen würden sich eigene Untersuchungen lohnen; die besondere Position von Frauen in der Klimakrise gehört jedoch zu den am besten dokumentierten.
Untersuchungen, Beobachtungen und wissenschaftliche Daten weisen immer wieder darauf hin, dass Frauen überproportional von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind und sein werden. Wir haben recherchiert, warum das so ist – und was sich ändern muss.
„Ein sich veränderndes Klima betrifft alle, aber es sind die Ärmsten der Welt und diejenigen in gefährdeten Lebenssituationen, insbesondere Frauen und Mädchen, die die Hauptlast der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen tragen. Oft sind Frauen und Mädchen die letzten, die essen oder die gerettet werden, sie sind größeren Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt, wenn Wasser- und Abwassersysteme beeinträchtigt werden und sie übernehmen mehr Haus- und Pflegearbeit, während die Ressourcen schwinden.“
UN Women
Gender und Klimawandel
Eine erste Erkenntnis: Die Folgen des Klimawandels treffen allgemein den globalen Süden besonders hart – nicht nur irgendwann in der Zukunft, sondern schon heute. Und entsprechend treffen sie auch die Menschen, insbesondere die Frauen, die dort leben, besonders hart.
„Die Situation im globalen Süden ist deutlich besser erforscht und die Folgen sind viel sichtbarer,“ erklärt uns Ulrike Röhr, Mitgründerin der Initiative GenderCC. GenderCC ist ein internationales Netzwerk aus Organisationen, Expert:innen und Aktivist:innen, das sich für eine geschlechtergerechte Klimapolitik einsetzt. „Das heißt aber nicht, dass wir nicht im Norden auch diese Ungleichheiten zwischen den Geschlechter beobachten. Hier sind sie nur etwas verdeckter.“
Die zweite Erkenntnis: Diese Ungleichheiten sind überwiegend nicht etwa durch biologische Unterschiede begründet, sondern durch das soziale Geschlecht (Gender) und entsprechende Rollenzuschreibungen. Und diese Rollenzuschreibungen unterscheiden sich global gar nicht so stark.
Eine dritte Erkenntnis: Die Klimakrise bedroht überall die Gesundheit der Menschen. Insbesondere im globalen Süden aber bedroht das Zusammentreffen von Klimaveränderungen und geschlechtsspezifischer Diskriminierung immer stärker auch das Überleben von Frauen und Mädchen.
Gesundheitliche Risiken durch die Klimakrise
Eine Meta-Analyse von 130 Studien zeigte 2020, dass Frauen und Mädchen überproportionalhohen Gesundheitsrisiken durch die Folgen des Klimawandels ausgesetzt sind. Mehr als zwei Drittel der untersuchten Studien stellten fest, dass Frauen stärker von den gesundheitlichen Auswirkungen betroffen sind als Männer.
Die Ergebnisse der Meta-Analyse hat die Website Carbon Brief veröffentlicht und visualisiert. Hier heißt es:
„Die erhöhten Risiken, denen Frauen ausgesetzt sind, spiegeln meist ihre Stellung in den Gesellschaften der Welt wider – und nicht etwa einen physiologischen Unterschied zwischen Männern und Frauen.“
Daisy Dunne (Carbon Brief)
Einige Beispiele:
Wenn Nahrung aufgrund von klimatischen Veränderungen knapp wird, haben Frauen in ärmeren Ländern ein höheres Risiko als Männer, an Hunger zu leiden. Eine Erklärung dafür ist, dass die gesellschaftlichen Rollenbilder dazu führen, dass knappe Nahrung eher an Männer und Jungen verteilt wird als an Frauen und Mädchen.
Etwa zwei Drittel der untersuchten Studien befanden, dass die Wahrscheinlichkeit von Tod oder Verletzung bei Extremwetterereignissen für Frauen höher ist als für Männer – allerdings mit großen regionalen Unterschieden. Vor allem in weniger reichen Ländern, in denen sie einen niedrigeren sozioökonomischen Status haben, sterben Frauen eher bei Extremwetterereignissen. Zwar sind die Ursachen noch nicht eindeutig erfasst, ein besonders prägnantes Beispiel gibt es jedoch aus Bangladesch: Hier bewegen sich Frauen aufgrund von gesellschaftlichen Erwartungen tendenziell seltener ohne männliche Begleitung außer Haus und tragen zudem oft Saris – beides schränkt ihre Bewegungsfreiheit im Fall von Überflutungen stark ein.
Gleichzeitig zeigen Studien, dass auch bei der großen Hitzewelle in Europa 2003 mehr Frauen als Männer starben (s. WHO). Es könnte sein, dass das auch mit einer Unterversorgung mit Wasser zu tun habe, sagt uns Gender-Expertin Röhr. „Und zwar, weil Frauen oft eher erst für andere sorgen, bevor sie für sich selbst sorgen, letztendlich also aufgrund von traditionellen Rollenzuschreibungen.“
Die Coronavirus-Pandemie zeigt aktuell eindrücklich, wie sehr Krisen bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verstärken oder sogar wieder beleben. Nicht nur tragen Frauen weltweit wesentlich mehr Care-Arbeit, sie sind auch in Pflegeberufen besonders stark vertreten und dort großen Belastungen und Risiken ausgesetzt. Beides sind Aspekte, die sich auf die fortschreitende Klimakrise übertragen lassen und mit dieser wachsen werden.
„Solange sich die Care-Arbeit nicht besser verteilt, kann es auch keine echte Gleichberechtigung geben.“
Ulrike Röhr (GenderCC)
Extreme Folgen: Gewalt, Kinderehen, ungeplante Schwangerschaften
Die Klimakrise verstärkt bekanntlich Extremwetterereignisse wie Stürme, Überflutungen oder Waldbrände. Ein Risiko, das damit einhergeht, ist tatsächlich nicht (nur) durch Geschlechterrollen, sondern durch das biologische Geschlecht bestimmt: „Mit dem Klimawandel zusammenhängende Katastrophen unterbrechen häufig die Versorgung mit Mitteln der Familienplanung.
Zudem haben Naturkatastrophen und Krankheiten im Zusammenhang mit dem Klimawandel negative Auswirkungen auf die Schwangerschaft und die Gesundheit von Müttern“, heißt es im Bericht „Gender and Climate Change“ der Global Gender Climate Alliance aus 2016. Naturkatastrophen, aber auch durch den Meeresspiegelanstieg salzig werdendes Trinkwasser, können Fehlgeburten und Frühgeburten begünstigen. In Katastrophenlagen ist der Zugang zu gynäkologischer Versorgung und Geburtshilfe zudem oft eingeschränkt.
Katastrophen gehen außerdem oft mit Flucht und/oder Evakuierung einher. Hier zeigt sich, dass Frauen nicht nur mitunter bei der Flucht behindert werden (s. oben), sondern auch in Notunterkünften benachteiligt sind: Dem Bericht „Gender and Climate Change“ zufolge sind Notunterkünfte oft nicht auf die Bedürfnisse von Frauen ausgelegt, bieten ihnen keine (mitunter kulturell gebotene) Privatsphäre oder etwa separate Waschräume.
Die Notlage kann diversen Studien zufolge sogar gewalttätige Übergriffe auf Frauen und Mädchen begünstigen. Auch insgesamt nimmt nach Naturkatastrophen die Gewalt gegen Frauen zu – auch die häusliche Gewalt, und ebenfalls in westlich geprägten Ländern.
Vor allem im globalen Süden hingegen zeichnet sich ab, dass aufgrund der Coronakrise Kinderehen wieder zunehmen könnten. Die Gründe dahinter lassen sich ohne weiteres auch auf die Klimakrise übertragen: Krisen schränken für die Mädchen nicht nur den Zugang zu Bildung und Hilfsangeboten ein, gleichzeitig drängen sie ihre Familien stärker in die Armut – sei es aufgrund von Jobverlust, Vertreibung oder Ernteausfällen. Mädchen jung zu verheiraten kann die Familien finanziell erleichtern. (Sehens- und lesenswert zum Thema: Das Projekt Brides of the Sun)
Warum Frauen sich schwerer an den Klimawandel anpassen können
Weltweit sind Frauen stärker von Armut betroffen und haben weniger Geld oder Besitz als Männer. Das stimmt auch heute noch für die sogenannten Industrieländer. Doch im globalen Süden ist die Situation der Frauen weit dramatischer, sagt Röhr von GenderCC. Dort haben Frauen tendenziell weniger Landbesitz, weniger Zugang zu landwirtschaftlichen Produktionsmitteln wie Geräten, Saatgut oder Dünger, aber auch weniger Kapital.
„Frauen betreiben in der Tendenz eher Subsistenzwirtschaft (quasi Selbstversorgung, Anm. d. Redaktion) und die ist durch die Folgen des Klimawandels besonders stark getroffen“, sagt Röhr. „Durch die neoliberale Wirtschaftspolitik wurden Frauen in vielen Ländern immer weiter verdrängt, auf immer schlechtere Böden, die jetzt besonders von den Klimawandel-Folgen betroffen sind.“
Gleichzeitig haben sie oft weniger Bildungschancen als Männer und damit weniger Informationen, zum Beispiel über neues Saatgut oder andere landwirtschaftliche Methoden, die helfen könnte, sich an den Klimawandel anzupassen.
Und dann ist da noch das Klischeebild (das auch wir hier verwenden) von den afrikanischen Frauen, die weite Wege zurücklegen müssen, um Wasser zu holen. Falsch ist es nicht, sagt Röhr. Zunehmende Trockenheit und Hitze sorgen dafür, dass diese Wege immer länger werden. Darum müssen Mädchen immer früher im Haushalt helfen. „Das hat langfristige Folgen auf die soziale und die Bildungssituation der Frauen.“
Die Ungleichverteilung der Care- und Haushaltsarbeit macht es Frauen schwerer, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Oft bleibt schlicht zu wenig Zeit, sich um Dinge wie neue Anbaumethoden oder aber bezahlte Arbeit zu kümmern, die Familien widerstandfähiger gegen die Klimakrise machen könnten. Das gilt nicht nur für Entwicklungsländer: Auch in den USA zeigte sich nach dem Wirbelsturm Katrina, dass eher Frauen die Care-Arbeit übernahmen und mit höherer Wahrscheinlichkeit ihre Jobs aufgaben.
Verstärkt wird das noch, wenn Frauen allein für die Familie verantwortlich sind: Es besteht wenig Zweifel daran, dass die Klimaveränderungen auf der ganzen Welt massive Migrationsbewegungen auslösen oder verstärken werden (Stichwort: Klimaflüchtlinge). Männer ziehen dabei in vielen Teilen der Welt eher weg als Frauen. Das wiederum macht zurück gebliebene Frauen unter Umständen noch verletzlicher für die Folgen der Klimakrise – vor allem, wenn ihnen wie oben beschrieben Landbesitz, Geld und Wissen fehlt.
Was muss sich ändern?
In erster Linie verstärkt die Klimakrise sowieso schon vorhandene soziale Ungleichheiten. Um die Last gerechter zu verteilen, müsste also vor allem die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen und Mädchen bekämpft werden – mit Bildung und Aufklärung für alle Geschlechter.
Damit sie bessere Chancen haben, sich an veränderte Klimabedingungen anzupassen, brauchen Frauen mehr Zugang zu Land, Produktionsmitteln, Kapital und Wissen. Haushalts- und Care-Arbeit muss fairer verteilt werden, Frauen mehr Gestaltungsspielräume erhalten. Das sozusagen auf der Meta-Ebene, denn gesellschaftliche Strukturen ändern sich bekanntlich nur sehr langsam.
Bevölkerungsbefragungen in den Industrieländern zeigen immer wieder: Frauen nehmen den Klimawandel stärker als Bedrohung wahr als Männer. Sie fordern in der Regel mehr Maßnahmen zur Bekämpfung und Anpassung von der Politik und sind auch bereit, mehr Geld dafür auszugeben. Eine Studie kam sogar zu dem Schluss, dass Länder, in denen Frauen einen höheren politischen Status haben, die CO2-Emissionen pro Kopf niedriger sind als anderswo.
Wenn Frauen also mehr Macht und Gestaltungsspielräume hätten, hätten wir dann womöglich eine effektivere Klimapolitik?
„Auf jeden Fall müssen Frauen bzw. Gender-Fragen stärker einbezogen werden in den Klimaschutz“, sagt Röhr und nennt als Beispiele internationale Abkommen wie etwa die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC), aber auch die nationalen Klimaschutzpläne (NDCs) und die kommunale Klimapolitik.
„Im Moment fokussiert man sich im Kampf gegen den Klimawandel sehr viel auf technische Lösungen. Aber wenn das vorbei ist, wird es zunehmend auch um Suffizienz gehen – und das setzen eher Frauen um“, so Röhr.
Klima und Geschlecht müssen in der Politik, aber auch in der Forschung, in der Kommunikation und in lokalen Maßnahmen noch stärker zusammen gedacht werden. Wenn über Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen beraten, diskutiert und geforscht wird, müssen wir geschlechtsspezifische Bedürfnisse beachten. Und Debatten über Geschlechtergerechtigkeit sollten gleichzeitig die Herausforderungen der Klimakrise einschließen.
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Voneinander lernen
Auch Hilfeleistungen aller Art für besonders betroffene Gebiete und Personen müssen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern berücksichtigen. Ob es um Aufforstungsprojekte, neues Saatgut oder erneuerbare Energieversorgung geht: All diese Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel sollten auf Gender-Aspekte hin überprüft werden. „Wenn Maßnahmen sozial und geschlechtergerecht wirken, werden sie eher akzeptiert“, so Röhr.
Für entscheidend hält sie, dass Frauen vor Ort unterstützt und geschult werden – aber auch, dass man ihnen zuhört und ihre Erfahrungen mit einbezieht. ,,Sie wissen am besten, wie sich der Klimawandel vor Ort auswirkt, was sie brauchen und welche Maßnahmen wirken. Da können wir auch viel voneinander lernen.“
Hinweis: In diesem Artikel beziehen wir uns vor allem auf binäre Geschlechterbegriffe (Frau/Mann). Das ist stark vereinfachend und uns ist bewusst, dass Geschlechtsidentitäten weitaus vielfältiger sind. Zum Zusammenhang zwischen Klimawandel und Trans- bzw. nicht-binären Personen sind uns aber derzeit zu wenige Daten bekannt, um eindeutige Aussagen machen zu können.
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