Haben Pflanzen Gefühle? Diese Frage ist unter Forschenden noch immer umstritten. Pflanzen können auf erstaunliche Weise auf ihre Umwelt reagieren, aber hat dies etwas mit Bewusstsein zu tun? Wir klären auf.
„Sie ist etwas empfindlich“: Vielleicht hast du genau so bereits über eine deiner Zimmerpflanzen gesprochen. Wahrscheinlich hast du damit gemeint, dass sie ganz bestimmte Ansprüche an ihren Standort hat oder einen hohen Pflegeaufwand mit sich bringt – und nicht, dass sie schnell gekränkt ist; wie ein Mensch, den du als „empfindlich“ charakterisieren würdest.
Doch Wissenschaftler:innen wollen herausfinden, ob sie genau das nicht auch sein könnte und fragen sich: Haben Pflanzen auch Gefühle im Sinne emotionaler Erfahrungen? Oder sind ihre Reaktionen auf die Umwelt lediglich biochemischer Natur?
Pflanzen haben kein zentrales Nervensystem
Haben Pflanzen Gefühle, Sprache und ein Bewusstsein? Für viele scheint diese Frage überflüssig angesichts der Tatsache, dass Pflanzen laut Quarks kein zentrales Nervensystem wie Wirbeltiere – einschließlich des Menschen – besitzen. Das Zentralnervensystem besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark und ist in verschiedene Bereiche unterteilt, die spezifische Funktionen ausführen. Das Gehirn verarbeitet sensorische Eingaben von den Sinnesorganen (was wir sehen, hören, riechen, schmecken und tasten können), interpretiert sie und sendet Signale an die Muskeln und Drüsen, um entsprechende Reaktionen auszulösen. Es ist auch der Sitz des Bewusstseins, der Gedanken, der Emotionen und der Persönlichkeit.
Die menschliche Fähigkeit, die Welt subjektiv zu fühlen und zu erleben, macht uns empfindungsfähig. Empfindungsfähigkeit bedeutet im Wesentlichen die Fähigkeit, Gefühle zu haben. Sie setzt ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein und kognitiven Fähigkeiten voraus. Mehrere Studien belegen, dass auch Tiere fühlende Wesen sind, die positive und negative Gefühle empfinden können. Doch Pflanzen fehlen die anatomischen Strukturen und Nervensysteme, die bei Tieren für die Verarbeitung von Empfindungen und Emotionen verantwortlich sind.
Trotzdem reagieren auch Pflanzen offensichtlich auf ihre Umwelt und auf verschiedene Reize wie Licht, Wasser und Berührung. Das ermöglichen ihnen komplexe biochemische Prozesse, die ihnen helfen, sich an ihre Umgebung anzupassen. Zum Beispiel können sie auf Stressfaktoren reagieren und chemische Signale aussenden, um andere Pflanzen in ihrer Nähe vor Gefahren zu warnen.
Können Pflanzen also zum Beispiel die bewusste Entscheidung treffen, in die eine oder andere Richtung zu wachsen? Diese Frage beantwortet die Mehrheit der wissenschaftlichen Gemeinschaft mit einem „Nein“. In einer 2019 veröffentlichten Arbeit mit dem Titel „Plants neither possess nor require consciousness“ (Pflanzen besitzen weder ein Bewusstsein noch benötigen sie ein solches) wies Professor Lincoln Taiz, Botaniker an der University of California in Santa Cruz, die Idee zurück, dass Pflanzen über Merkmale wie Bewusstsein und Kognition verfügen. Das liege daran, dass sie nicht die notwendige strukturelle, organisatorische und funktionelle Komplexität aufweisen, die das Gehirn entwickeln musste, bevor sich ein Bewusstsein bilden konnte.
Haben Pflanzen Gefühle? Die Pflanzenneurobiologie untersucht es
Mit den komplexen Mechanismen, durch die Pflanzen Informationen wahrnehmen, verarbeiten und darauf reagieren, beschäftigt sich laut National Geographic die sogenannte „Pflanzenneurobiologie“. Obwohl der Begriff „Neurobiologie“ normalerweise mit Nervensystemen von Wirbeltieren in Verbindung steht, beschreibt er in diesem Kontext die komplexen Signalketten und Kommunikationswege, die in Pflanzen auftreten. Diese Wissenschaft untersucht zum Beispiel folgende Dinge, die der Frage „Haben Pflanzen Gefühle?“ recht nah kommen:
- Pflanzenwahrnehmung: Wie nehmen Pflanzen ihre Umwelt wahr? Dies kann die Erfassung von Licht, Temperatur, Feuchtigkeit, Schwerkraft und anderen physikalischen Parametern umfassen.
- Signalübertragung: Wie kommunizieren Pflanzenzellen miteinander? Dies umfasst die Erforschung von elektrischen Signalen, die sich in Pflanzen ausbreiten können, ähnlich wie Nervenimpulse in tierischen Nervensystemen.
- Chemische Kommunikation: Pflanzen sind in der Lage, chemische Signale auszusenden und auf sie zu reagieren. Dies kann die Freisetzung von Duftstoffen zur Anlockung von Bestäubern oder zur Warnung vor Schädlingen beinhalten.
- Stressreaktionen: Wie reagieren Pflanzen auf Umweltstressoren wie Hitze, Trockenheit oder Schädlingsbefall?
- Wachstum und Entwicklung: Die Pflanzenneurobiologie erforscht, wie Pflanzen Informationen über ihre Umwelt aufnehmen und in ihre Wachstumsmuster und Entwicklung einbeziehen.
- Lernen und Gedächtnis: Ein interessante Fragestellung ist, ob Pflanzen in der Lage sind, Informationen zu speichern und daraus in der Zukunft zu lernen.
- Interaktionen mit anderen Organismen: Pflanzen kommunizieren nicht nur untereinander, sondern auch mit anderen Organismen in ihrer Umgebung, wie Mikroorganismen im Boden oder Tieren, die sie fressen. Ein bekanntes Beispiel ist Mykorrhiza, eine wechselseitige Verbindung zwischen einem Pilz und einer Pflanze.
Die wissenschaftliche Gemeinschaft verwendet den Begriff „Pflanzenneurobiologie“ allerdings nicht ohne Kontroversen. Einige Forschende bevorzugen es, von „pflanzlicher Signaltransduktion“ oder „pflanzlicher Kommunikation“ zu sprechen, um den Unterschied zwischen Pflanzen und Menschen/Tieren zu betonen.
Fühlen Pflanzen Schmerz?
Immer wieder wollen Forschende Beweise gefunden haben, dass Pflanzen Schmerz empfinden können. So hat ein Team von Wissenschaftler:innen der Universität Tel Aviv im Jahr 2019 entdeckt, dass einige Pflanzen einen hochfrequenten Alarmton aussenden, wenn sie Umweltstress ausgesetzt sind. Die Forschenden testeten Tomaten- und Tabakpflanzen, indem sie ihnen Wasser entzogen und ihre Stängel abschnitten und dann ihre Reaktion mit einem Mikrofon aufzeichneten. In beiden Fällen stellten sie fest, dass die Pflanzen anfingen, Ultraschalltöne zwischen 20 und 100 Kilohertz auszusenden, von denen sie annahmen, dass sie ihre Notlage an andere Pflanzen und Organismen in unmittelbarer Nähe weitergeben könnten.
Pflanzen können also auf Umweltstressoren reagieren. Das hast du vielleicht auch schon selbst beim Baumschneiden beobachten können: Wenn du einen Ast von einem Baum absägst, bildet dieser eine dünne Schutzschicht über der abgeschnittenen Stelle. Dieser Vorgang ähnelt stark dem Heilungsprozess, den wir bei Wunden an Menschen und Tieren beobachten können.
Trotzdem: Diese Reaktionen auf Umweltstressoren oder Verletzungen bedeutet nicht, dass Pflanzen wie Menschen und Tiere Schmerz fühlen können oder dass Pflanzen allgemein Gefühle hätten. Sie besitzen nämlich weder Schmerzrezeptoren noch Nerven.
Können Pflanzen (miteinander) sprechen?
Auch eine Studie aus dem Jahr 2023 bestätigt, dass viele verschiedene Pflanzenarten Ultraschalltöne oder chemische Warnstoffe erzeugen können, um Stress zu signalisieren. Das bedeutet nicht, dass Pflanzen Gefühle haben – aber es ist ein Beweis, dass Pflanzen auf ihre ganz eigene Weise über ihre Umwelt miteinander kommunizieren können.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie Pflanzen „sprechen“, ist das Wood Wide Web. Das ist ein komplexes unterirdisches Netz aus Wurzeln, Pilzfäden und Bakterien, das Bäume miteinander verbindet. Über dieses Netz tauschen Bäume Informationen darüber aus, welcher Baum Wasser oder Nährstoffe braucht, und sie teilen ungleich verteilte Ressourcen. Das gelingt, weil die Wurzelsysteme „Nachrichten“ in Form von chemischen und elektrischen Signalen an die gesamte Pflanze weitergeben können.
Haben Pflanzen Sinne?
Pflanzen können Berührung wahrnehmen
Gewächse reagieren auf Berührung. Das zeigt die Mimose (Mimosa pudica) ganz eindeutig: Wird sie berührt, oder auch nur kontaktlos erschüttert, faltet sie ihre Blätter als Schutzmechanismus ein. Besonders interessant: Die Mimose kann sogar „lernen“, auf wiederholte Berührungen anders beziehungsweise nicht zu reagieren. Laut National Geographic hat die Botanikerin Monica Gagliano von der University of Western Australia festgestellt, dass sich junge Mimosen schnell an ruckartige Bewegungen gewöhnen können, wenn sie merken, dass von ihnen keine Gefahr ausgeht.
Pflanzen können hören
Studien belegen, dass Pflanzen Geräusche wahrnehmen können und sogar bestimmte Verhaltensweisen zeigen, wenn sie etwas „hören“. Wenn einige Blumen das Summen von Bienen wahrnehmen, produzieren sie süßeren Nektar, um die Wahrscheinlichkeit einer Fremdbestäubung zu erhöhen.
Pflanzen können riechen
Pflanzen brauchen keine Nasen, um zu riechen. Forschende haben entdeckt, dass Pflanzen Informationen von Geruchsmolekülen aufnehmen und darauf reagieren können. Sie aktivieren dann bestimmte Gene, die ihr Wachstum beeinflussen. Die Entdeckung könnte dazu führen, dass zum Beispiel Landwirt:innen das Verhalten von Pflanzen ohne Gentechnik oder Pestizide beeinflussen können. Sie könnten beispielsweise Felder mit einem Duftstoff besprühen, der die Pflanzen dazu bringt, sich gegen Schädlinge zu wehren.
Pflanzen können sehen
Obwohl Pflanzen keine Augen haben, können sie dennoch in gewisser Weise „sehen“. Pflanzen können viele verschiedene Formen von Licht wahrnehmen, von Ultraviolett bis Infrarot. Mit dieser Fähigkeit folgen Sonnenblumen tagsüber der Sonne von Ost nach West und orientieren sich nachts neu, um der Morgendämmerung zu begegnen.
Fazit: Haben Pflanzen Gefühle?
Pflanzen nehmen ihre Umwelt auf verschiedene Weise wahr – und reagieren darauf. Das hat wohl aber nichts damit zu tun, dass sie ein Bewusstsein haben, Schmerz empfinden oder dass Pflanzen Gefühle entwickeln. Laut Quarks handelt es sich lediglich um „genetisch kodierte Programme, die sich im Laufe der Evolution als hilfreich für die Pflanze gezeigt haben.“
Das Wissen darüber, wie Pflanzen auf die Gegebenheiten in ihrer Umgebung antworten, ist für uns Menschen äußerst wichtig. Das zeigt das Beispiel mit den Pflanzen, die auf Duftstoffe reagieren. Wenn wir wissen, was Pflanzen dazu veranlasst, zu wachsen, sich gegen Schädlinge zu wehren oder sich gegenseitig zu unterstützen, kann das genutzt werden, um die Gewächse resistenter und ertragreicher zu machen und eventuell den durch die Klimakrise ausgelösten Trockenstress etwas abzupuffern.
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English version available: Do Plants Have Feelings? All Sides of the Debate
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