Ist Hafermilch doch nicht gesund? Die FAZ befragte eine Biochemikerin zu Ernährungs- und Abnehmtipps. In einer Passage des Interviews ist zu lesen, dass man Hafermilch nicht trinken sollte. Was steckt dahinter – und warum greift sich ein Leitmedium ausgerechnet diese provokante Aussage als Titel heraus? Ein Kommentar.
Veganismus scheidet die Geister – noch immer und vielleicht immer deutlicher. Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) offenbar Grund genug, vom Konsum eines pflanzlichen Lebensmittels plakativ abzuraten, auch wenn diese Aussage einer Ernährungsexpertin nur einen sehr kleinen Teil eines Interviews einnimmt. Für mich ein Ungleichgewicht.
Aber der Reihe nach: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) sprach mit Biochemikerin Jessie Inchauspé darüber, was gut für unseren Blutzuckerspiegel ist und wie sich dieser auf unseren Körper auswirkt. Inchauspé gibt im Interview auch Tipps, in welcher Reihenfolge man welche Nährstoffe essen und was zum Frühstück auf den Tisch kommen soll.
Richtig frühstücken – mit oder ohne Hafermilch?
Ihre Empfehlung für eine niedrige Glukosekurve – die einen im Gegensatz zu Glukosespitzen leichter abnehmen lassen soll – ist ein herzhaftes Frühstück. Die FAZ fragt daraufhin: „Und was ist mit Hafermilch?“
Jessie Inchauspé antwortet: „Das ist eine Riesensache! Die verursacht häufig enorme Glukosespitzen, weil sie mehr Kohlenhydrate enthält als Mandel- oder Kuhmilch – sie besteht ja nicht aus Nüssen, sondern aus Getreide.“
Und weiter sagt die Biochemikerin: „Es ist also nicht ratsam, sie zu trinken. Schon gar nicht auf leeren Magen. Damit die Glukose wenigstens nicht sofort ins Blut kommt. Aber noch besser ist es, zu Mandelmilch oder Kuhmilch zu wechseln.“
Utopia empfiehlt Hafermilch – trotz der Kohlenhydrate
Das widerspricht den Empfehlungen, die wir bei Utopia unseren Leser:innen geben. Wir raten zu pflanzlichen Milchalternativen wie Hafermilch. Bei Mandelmilch sprechen Umweltaspekte gegen eine uneingeschränkte Empfehlung. Das hat mehrere Gründe (siehe unten), doch zunächst ist bei der Aussage von Frau Inchauspé der Kontext wichtig.
Genau dieser geht im Titel des Interviews verloren: Die Expertin bezieht sich auf das Trinken von purer Hafermilch zum Frühstück – und auf Menschen, die abnehmen möchten. Mag sein, dass ein Glas Hafermilch den Blutzuckerspiegel ansteigen lässt und man nach dem Verdauen deshalb weniger Energie hat.
Hinweis: Wir beziehen uns auf gesunde Menschen. Für Diabetiker:innen beispielsweise gelten andere Ernährungsregeln. Auch interessant in diesem Zusammenhang: Wie viel Zucker steckt wirklich in Hafermilch?
Wir empfehlen aber auch nicht, Hafermilch literweise zu trinken statt ein richtiges Frühstück zu sich zu nehmen. Und ich kenne auch keine Vegetarier:innen und Veganer:innen, die das tun. Im Gegenteil: Hafermilch ist ein gerne genommener Ersatz für Kuhmilch im Kaffee, im Müsli und zum Backen. Auch ich trinke meinen Cappuccino wann immer es geht mit Hafermilch – auch wenn ich mich ansonsten (noch) nicht vollständig vegan ernähre.
Und ich tue es bewusst. Deshalb ärgern mich Titel wie „Hafermilch sollte man nicht trinken“ bei großen Medien wie der FAZ. Sie sind ein gefundenes Fressen für Menschen, die im Veganismus nur Schlechtes sehen wollen. Im schnelllebigen Online-Journalismus, bei dem oft nur Titel gelesen und der Text – wenn überhaupt – nur überflogen wird, entsteht dann ein falscher Eindruck bei den Leser:innen. Ob diese Irreführung so gewollt ist, lässt sich von außen nicht beurteilen.
Wir müssen aufhören, Veganismus zu verteufeln
Das ist nicht zuletzt für die FAZ schade, denn das Interview hält einige spannende Passagen bereit. Auf Hafermilch geht nur eine einzige Frage ein. Umso wichtiger, dass wir noch einmal klarstellen, warum wir Hafermilch gegenüber Kuhmilch und auch gegenüber Mandelmilch bevorzugen:
- Hafermilch besteht aus keinerlei tierischen Inhaltsstoffen. Deshalb müssen auch keine Kühe für die Milch leiden, wie sie es in der konventionellen Milchwirtschaft vielerorts tun. Für Mandelmilch werden im industriellen Maßstab Bienen als Nutztiere eingesetzt.
- Hafer wird in Deutschland und Europa angebaut, die Transportwege sind dadurch recht kurz. Mandeln dagegen kommen oft aus den USA. Zwar kannst du auch Kuhmilch aus Deutschland kaufen, doch das häufig eingesetzte Soja fürs Tierfutter hat einen weiten Weg hinter sich, bis es in den hiesigen Futtertrögen landet.
- Tierhaltung geht zulasten von Umwelt und Klima, Kühe etwa produzieren das Treibhausgas Methan. Einer Schätzung des Umweltbundesamtes zufolge stammen rund 65 Prozent der gesamten Methan-Emissionen in Deutschland aus der Landwirtschaft, ein Großteil davon aus der Rinderzucht. Der Anbau von Hafer ist deutlich klimaschonender. Und im Vergleich zu Mandeln verbraucht der Anbau von Hafer deutlich weniger Wasser.
Für mich ist klar: Tierwohl und die Umwelt wiegen für mich schwerer als ein Abnehmtipp. Da verzichte ich lieber auf den Schokoriegel zum Kaffee – oder probiere vielleicht mal Jessie Inchauspés Tipp aus, einen Schluck Essigwasser vor den Mahlzeiten zu trinken.
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