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Planetary Health Diet in Deutschland? „Wenn morgen die Hälfte umsteigt, bricht in den Supermärkten Chaos aus“

Die "planetary health diet" soll gut für die Erde und den Menschen sein.
CC0 Public Domain / Pixabay - Engin_Akyurt / Pixabay - WikiImages.

Konzepte, um die Nahrungsmittelknappheit zu vermeiden oder Essen klimagerechter zu gestalten, gibt es einige – doch wie lassen sie sich umsetzen? Das haben wir am Beispiel der Planetary Health Diet mit Britta Klein vom Bundeszentrum für Ernährung besprochen. Sie erklärt, wieso eine Umstellung unseres Ernährungssystems von heute auf morgen nicht klappen kann, und wieso wir uns trotzdem jetzt schon darum bemühen müssen.

Die Planetary Health Diet (PHD) ist keine Diät, sondern eine Strategie, mit der sich die Weltbevölkerung theoretisch auch im Jahr 2050 ernähren lässt – laut Prognosen wird sie bis dahin auf etwa 10 Milliarden anwachsen. Das Konzept ist so ausgearbeitet, dass Nahrungsmittelknappheit vorgebeugt wird ohne die Erde dabei über ihre Grenzen auszubeuten, und dass globale Probleme wie Zivilisationskrankheiten, Hungersnöte und die Erderwärmung vermieden werden.

Es gibt zwar verschiedene Apps, um die Planetary Health Diet im Alltag auszuprobieren, aber bisher ist das Konzept eher Theorie. Wenn es nur Einzelpersonen umsetzen, ist der Effekt auf die weltweite Versorgung zudem gering. Was passieren müsste, um das Konzept zu verbreiten, welche Hürden es dafür allein in Deutschland gibt und wieso selbst die Planetary Health Diet allein nicht ausreicht – darüber haben wir bereits im April mit der Agrarwissenschaftlerin Britta Klein vom Bundeszentrum für Ernährung gesprochen. Inzwischen haben auch das Ökoinstitut und Greeenpeace eine Studie veröffentlicht, die die Vorteile und Chancen einer Verbreitung der Planetary Health Diet in Deutschland hervorhebt.

Wieso es so schwer ist, bessere Ernährungskonzepte zu etablieren

Utopia: Frau Klein, im Moment experimentiert man eher privat mit Ernährungsformen wie der Planetary Health Diet. Diese ist gesund, klimafreundlich und soll Nahrungsmittelknappheit verhindern. Was müsste geschehen, um Menschen im großen Rahmen für bessere Ernährungskonzepte zu begeistern? 

Britta Klein: Unsere Erfahrung ist, dass Maßnahmen wie Informationskampagnen wenig bis gar nichts helfen. Ein Flyer oder ein Post auf Instagram führt nicht automatisch zu einer Übersetzung in konkretes Handeln. Um gesunde – aber auch die planetarisch gesunde – Ernährung wirklich zu fördern, fehlen uns die „fairen Ernährungsumgebungen“.

Und was ist eine faire Ernährungsumgebung?

Jeder Mensch wird heutzutage mit Werbung überflutet und überall dazu verlockt, Dinge zu konsumieren, die ihm eigentlich nicht guttun und dazu, die Ressourcen der Erde zu belasten. Dazu wird der Konsum stark moralisiert: Menschen befinden sich in einer Zwickmühle, sie müssen zwischen „richtiger” und „falscher” Ernährung entscheiden. Das führt aber nicht zu mehr Motivation sondern eher zu Unmut.

In einer fairen Ernährungsumgebung ist die nachhaltige Wahl die einfache Wahl. Damit wäre ein großer Teil des Dilemmas gelöst. Um faire Ernährungsumgebungen zu schaffen, müssten hochwertige, gesunde Lebensmittel preiswert werden, verarbeitete viel teurer sein und Menschen müssten ihre Konsumentscheidungen unbeeinflusster treffen können. Solange das nicht funktioniert, wird fast jede Kampagne im Sand verlaufen.

Wenn Informationskampagnen nicht helfen, was dann?

Die Frage ist doch: Zu welchen Gelegenheiten kann man Menschen das Thema am besten nahe bringen? Wir sehen ein äußerst großes Potential für Verbesserungen in der Gemeinschaftsverpflegung, also zum Beispiel beim Essen in Kantinen, in Schulen oder Betrieben. Da gibt es auch schon eine ganze Menge gute Projekte: Die „Kantine Zukunft“ in Berlin setzt sich beispielsweise schon erfolgreich dafür ein, Kantinenessen ausgewogener zu gestalten. Das Konzept setzt außerdem auf Zutaten aus regionaler Bio-Landwirtschaft und darauf, dass auch alle Mitarbeitenden den Wert ihres Essens schätzen.

Britta Klein ist Agrarwissenschaftlerin und beschäftigt sich beim Bundeszentrum für Ernährung mit nachhaltiger Ernährungskultur.
Britta Klein ist Agrarwissenschaftlerin und beschäftigt sich beim Bundeszentrum für Ernährung mit nachhaltiger Ernährungskultur. (Foto: Privat)

„Wenn morgen die Hälfte der Deutschen auf die PHD umsteigt, dann bricht in den Supermärkten das Chaos aus.“

Denken Sie, die Planetary Health Diet ließe sich aus agrarwirtschaftlicher Sicht im großen Stil umsetzen? Zum Beispiel hier in Deutschland?

Wenn sich morgen die Hälfte der Menschen in Deutschland dazu entscheidet, auf die Planetary Health Diet umzusteigen, dann bricht in den Supermärkten der Republik das Chaos aus. In Deutschland haben wir zwar eine Überproduktion an Fleisch und Kartoffeln, aber von allem anderen haben wir viel zu wenig. Der Selbstversorgungsgrad bei Obst liegt bei gerade mal 20 Prozent, bei Gemüse bei 35 Prozent. Wenn wir nicht wollen, dass in Zukunft alle Erdbeeren aus China kommen und die Nüsse alle aus Kalifornien, dann müssen wir erst die Landwirtschaft in Lage versetzen, die nötigen Lebensmittel anbauen zu können. Ohne Transformation der Landwirtschaft keine Transformation des Ernährungssystems.

Und wann und wie müssen wir die Landwirtschaft transformieren?

Das muss sofort losgehen – wenn wir die Treibhausgasemissionen aus dem Ernährungssektor nicht reduzieren, haben wir wenige Chancen, die Klimaziele zu erreichen. Aber so leicht ist das nicht. Um Obst zu produzieren, müsste man zum Beispiel erst mal Bäume pflanzen. Bis diese Früchte tragen, dauert es.

Außerdem kann man in der Regel nicht einfach Grünland umbrechen und dort dann zum Beispiel Gurken anpflanzen. Dafür müssen viele weitere Bedingungen gegeben sein: Ist das der richtige Boden? Regnet es da genug? Wie sind die Standortbedingungen sonst?

Nahrungsmittelknappheit vorbeugen: Warum wir Rindfleisch reduzieren müssen

Für wenige Kilo Fleisch müssen Tiere jahrelang mit pflanzlichen Kalorien versorgt werden.
Für wenige Kilo Fleisch müssen Tiere jahrelang mit pflanzlichen Kalorien versorgt werden. (Foto: Pixabay/ CC0/ alexas_fotos)

Die Planetary Health Diet sieht vor, den Konsum von tierischen Produkten, allen voran rotem Fleisch, drastisch zu reduzieren – warum? 

Von allen Lebensmittelgruppen hat die Erzeugung von Fleisch den größten Einfluss auf Klima, Wasser, Boden, Luft, die Artenvielfalt – auf eigentlich alle belebten und unbelebten Faktoren. Das liegt unter anderem daran, dass die Produktion von tierischen Lebensmitteln eigentlich nicht effizient ist: Um zum Beispiel ein Kilo Fleisch zu produzieren, also einige tierische Kalorien herzustellen, muss ein Tier erst mit sehr vielen pflanzlichen Kalorien gefüttert werden – man nennt das auch „Veredelungsverluste“. Dazu kommen die Emissionen aus der Erzeugung: Rinder stoßen beispielsweise neben CO2 auch Methan aus, ein sehr klimawirksames Gas. Außerdem wird Methan auch frei, wenn später tierische Exkremente gelagert werden.

Andererseits ist Rindfleisch nicht gleich Rindfleisch. Wir haben in Deutschland sehr viel Grünland, und das kann nur durch Wiederkäuer genutzt werden. Und es macht sehr wohl einen Unterschied, ob Fleisch auf Grünland erzeugt wurde oder von Tieren stammt, die mit Grundfutter vom Acker und importiertem Zusatzfutter gefüttert wurden. Denn Dauergrünland speichert CO2 im Boden und deswegen können wir kein Interesse daran haben, es für Ackerbau aufzugeben. Trotzdem kann man natürlich kein Fleisch mit einer Klimabilanz erzeugen, wie sie ein pflanzliches Produkt hat. Deswegen müssen wir da besonders reduzieren – das gilt aber für Fleisch generell, nicht nur für Rind.

Ist die Planetary Health Diet Ihrer Meinung nach ein sinnvoller Ansatz, um Klimaschutz und Ernährung miteinander zu vereinbaren? 

Die Planetary Health Diet kann nur ein Teil eines zukunftstüchtigen Lebensstils sein. Und in dem Konzept steckt ja noch mehr: Die Strategie der EAT-Lancet-Kommission, welche die Planetary Health Diet entwickelt hat, beinhaltet zusätzlich auch die Halbierung der Nahrungsmittelverluste und optimierte Anbauverfahren, vor allem weltweit gesehen. Es sind beispielsweise auch Verbesserungen in der Produktionstechnik und in der Verwertung von Abfallprodukten nötig – aber eben auch darin, wie wir Verbraucher mit Lebensmitteln umgehen. Denn in Deutschland werfen wir immer noch jedes dritte Lebensmittel nicht genutzt weg, an irgendeiner Stelle der Produktionskette.

Tipps für die PHD: Nicht an Grammzahlen festklammern

Die Ernährungsumstellung kann also nur ein Teil der Lösung sein, wenn auch ein wichtiger. Damit dies aber auch gelingt: Was raten Sie Menschen, die ihre Essgewohnheiten an der Planetary Health Diet ausrichten wollen?

Ein verantwortungsbewusster Konsument zu sein ist eine ganz schön herausfordernde Sache. Und die Planetary Health Diet ist nur ein globales Modell: Man muss sie für jemanden aus Argentinien anders rechnen als für jemanden aus Ostafrika. Wer die Ernährungsweise ausprobiert, sollte sich nicht an Grammzahlen festklammern.

Wer durchschnittlich viel Fleisch isst, sollte seinen Fleischkonsum halbieren und dafür sorgen, dass er so selten wie möglich Lebensmittel wegwerfen muss. Was er oder sie dann stattdessen essen kann, dafür zeigt die Planetary Health Diet verschiedene Optionen auf – zum Beispiel Hülsenfrüchte. Wer schon vegetarisch oder vegan lebt, muss sich aber keineswegs „zurückentwickeln“, also wieder Fleisch konsumieren.

Danke für das Gespräch!

Weitere Auszüge aus dem Gespräch mit Britta Klein findest du in unserem Video zur Planetary-Health-Diet. Darin probiert unser Redakteur Grischa die Diät auch selbst aus. Was er dabei gelernt hat, kannst du hier erfahren:

Wenn du mehr über die Planetary Health Diet erfahren willst, dann wirf einen Blick in folgende Beiträge:

Hinweis: Das Interview wurde erstmals im April 2022 veröffentlicht.

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