Die sinnvolle Nährwertkennzeichnung Nutri-Score gibt es seit November 2020. Wir erklären dir, wie die Nährwertampel Nutri-Score zustande kam – und welche Kritikpunkte es gibt.
Obwohl die einstige Ernährungsministerin Klöckner die Ernährungsampel Nutri-Score lange bewusst verhinderte, trat diese letztlich am 6. November 2020 in Kraft. Teile der Industrie fürchteten ihn – eben jene, die mit einem schlechten Score rechnen müssen. „Nutri-Score ist eine Verbraucherfalle“, behauptete etwa wenig überraschend die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker. „Die Industrielobby, die bisher alles daran gesetzt hat, eine verbraucherfreundliche Kennzeichnung zu verhindern, muss ihre Anti-Ampel-Kampagne einstampfen“, forderte daher Foodwatch.
Worum geht es? Der Nutri-Score bewertet ein Produkt mit der Note „A“, „B“, „C“, „D“ oder „E“ – einfacher und verbraucherfreundlicher geht es kaum. Als Portionsgröße werden dabei 100 Gramm angenommen. Produkte, die die Note „A“ erhalten, gelten als besonders gesund und für den täglichen Verzehr geeignet. Produkte, die mit „E“ gekennzeichnet werden, sollte man dagegen als seltenen Luxus betrachten.
Im folgenden Abschnitt erfährst du, wie diese Noten zustande kommen. Ursprünglich stammt die Ernährungsampel aus Frankreich, wo sie schon seit 2017 verwendet wird. Noch länger gibt es in Großbritannien eine Lebensmittelampel, die auch als Inspiration für den Nutri-Score diente. Entwickelt wurden beide Lebensmittelampeln von Ernährungswissenschaftler:innen.
So kommt der Nutri-Score zustande
Auch, wenn das Produkt am Ende nur eine Gesamtnote erhält, werden die Inhaltsstoffe einzeln angeschaut und in gesund und ungesund eingeteilt:
- Als gesund gelten Obst, Gemüse und Nüsse generell, außerdem Ballaststoffe und Proteine.
- Als ungesund gelten Zucker, Salz (Natrium), ein hoher Kaloriengehalt und gesättigte Fettsäuren.
Für jeden Inhaltsstoff wird zählt, wie viel das Produkt davon enthält. Anhand dessen wird eine Punktzahl vergeben. Generell gilt: Pluspunkte sind schlecht, Minuspunkte sind gut. Wenn ein Produkt beispielsweise viel Zucker enthält, kriegt es viele Pluspunkte. Wenn es dagegen viele Proteine enthält, kriegt es viele Minuspunkte, weil Proteine als gesund gelten.
Allgemeine Infos bietet das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Wie viele Punkte es genau für welche Mengen gibt, kannst du unter den „Scientific & Technical“ FAQs von Santé Publique France nachlesen. Dort erfährst du zum Beispiel auch, dass der Zuckergehalt von Getränken strenger bewertet wird als von Essen.
Am Ende werden die Punkte zusammengerechnet. Da Minuspunkte gut sind, kannst du dir bereits denken, dass Produkte mit einer negativen Endpunktzahl einen besonders guten Nutri-Score bekommen.
Für Lebensmittel entsprechen die Noten des Nutri-Scores folgenden Punktzahlen:
- -15 bis -1: A
- 0 bis 2: B
- 3 bis 10: C
- 11 bis 18: D
- 19 und mehr: E
Für Getränke ist der Nutri-Score strenger:
- Wasser: A
- -15 bis 1: B
- 2 bis 5: C
- 6 bis 9: D
- 10 und mehr: E
Unabhängige Wissenschaftler:innen evaluieren seit 2021 die Berechnungen des Nutri-Score neu. Der Algorithmus des Nutri-Score soll damit besser an die aktuellen Ernährungsempfehlungen angepasst werden. Während Ergebnisse für die Kategorien „Getränke“ und die „Obst- und Gemüsekomponente“ im Laufe der Jahre 2022 und 2023 folgen, stehen die folgenden Änderungen seit Ende Juli 2022 fest:
- Zucker und Salz werden stärker gewichtet.
- Ballaststoffe: Ballaststoffreiche Vollkornprodukte können besser von denen unterschieden werden, die stärker raffiniert sind und daher weniger Ballaststoffe enthalten.
- Pflanzliche Öle können einfacher dahingehend unterschieden werden, ob sie gesunde oder ungesunde Fette enthalten. Öle mit wenig gesättigten Fettsäuren werden also besser gewertet.
- Fleisch solltest du aktuellen Empfehlungen zufolge nur sehr begrenzt essen, und zusätzliche Regelungen bei solchen Produkten sollen das widerspiegeln.
- Fisch und Milchprodukte werden durch diese ergänzten Kriterien auch differenzierter bewertet.
Erste Erfahrungen mit dem Nutri-Score
In Frankreich, wo es den Nutri-Score bereits seit 2017 gibt, wurden seit der Einführung mehrere Studien zur Lebensmittelampel durchgeführt. Konkret wollten die Forscher:innen zum Beispiel wissen, wie verständlich der Nutri-Score ist und ob die Menschen tatsächlich eher zu den Produkten mit positiven Bewertungen greifen.
Die Ergebnisse der Untersuchungen:
- Mehreren Auswertungen aus dem Jahr 2017 zeigten, dass 80 Prozent der Befragten den Nutri-Score sinnvoll fanden, 36 Prozent allerdings einen Mangel an Information beanstandeten; und dass sich der Gesundheitswert der eingekauften Lebensmittel im Durchschnitt leicht verbesserte, weil die Menschen eher zu Produkten mit einem guten Nutri-Score griffen.
- Eine Vergleichsstudie von 2019 fand, dass der Nutri-Score der am leichtesten verständliche unter den bekanntesten Lebensmittelkennzeichnungen war.
- Eine Übersicht der wissenschaftlichen Faktenlage zu dem Label findest du beim Ministère des solidarités et de la santé.
Nutri-Score: In Deutschland kontrovers diskutiert
Während der Nutri-Score in Frankreich überwiegend positiv aufgenommen und von der Regierung unterstützt wurde, stand in Deutschland vor allem der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) ihm kritisch gegenüber.
Auch frühere Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft sprachen sich dagegen aus, eine Lebensmittelampel wie den Nutri-Score einzuführen – Julia Klöckner haderte besonders lange mit dem Logo, bis sie ihm im Herbst 2019 endlich grünes Licht gab.
Die Kritiker stützen sich dabei auf die folgenden Argumente einiger Ernährungswissenschaftler:innen:
- Lebensmittel lassen sich nicht auf solch eine simple Weise in gesund und ungesund unterteilen.
- Jeder menschliche Körper braucht eine andere Ernährung und was als gesund gilt, ändert sich ständig, da in dem Bereich noch viel erforscht werden muss.
- Wenn man nur Lebensmittel mit der Note „A“ einkauft, heißt das noch lange nicht, dass man sich ausgewogen ernährt. Es kommt immer auch darauf an, welche Lebensmittel kombiniert und in welchen Mengen sie gegessen werden.
Doch selbst Klöckner sagte letzten Endes: „Der Nutri-Score ist so angelegt, dass er hinsichtlich einer gesunden Ernährung eine erste, gute Orientierung sein kann“, so die Ministerin bei der Vorstellung des Labels.
Verbraucherschützer wie Foodwatch und die Verbraucherzentralen, die Deutsche Adipositas Gesellschaft, die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und Verbände der Kinder- und Jugendmedizin sehen das ebenso:
- Ihrer Ansicht nach ist wegen der vielen übergewichtigen Kinder und Jugendlichen dringend eine einfachere Kennzeichnung der Lebensmittel nötig.
- Verbraucherschützer:innen argumentieren, dass gerade Familien mit niedrigem Einkommen und Bildungsstand durch bisherige Maßnahmen nicht erreicht wurden.
- Französischen Studien hätten dagegen klar belegt, dass Menschen durch den Nutri-Score tatsächlich gesünder einkaufen.
Nutri-Score: Der richtige Weg?
Es ist klar: Es gibt in Europa zu viele übergewichtige Menschen und dies hängt sicherlich mit einer zu ungesunden Ernährung zusammen. Deshalb ist es wichtig, dass die Nährwerte eines Produkts besser gekennzeichnet werden. Die Nährwerttabelle wird oft nicht oder nur kurz angesehen, und der/die Konsument:in kann die dortigen Angaben oft nicht kompetent einschätzen.
Aber reicht eine einzige Note wie der Nutri-Score wirklich aus, damit sich die Menschen signifikant gesünder ernähren? Die im vorherigen Abschnitt genannten Argumente der Ernährungswissenschaftler:innen lassen daran zweifeln, zumal Mikronährstoffe und Zusatzstoffe im Nutri-Score nicht oder nur sehr grob betrachtet werden. Sinnvoller wäre es wohl, deutlich den Gehalt von Zucker und Transfettsäuren zu kennzeichnen, da sich Wissenschaftler:innen bei diesen Stoffen einig sind, dass ihr Konsum stark begrenzt werden muss.
Was mit dem Nutri-Score nicht stimmt
Wurde mit dem Nutri-Score alles gut? Nein. Denn Ministerin Julia Klöckner führte den Nutri-Score nicht verpflichtend, sondern freiwillig ein. Das wird natürlich dazu führen, dass nur jene Marken den Nutri-Score auf den Packungen kennzeichnen werden, die gesund sind. Ungesunde Produkte werden auf die Kennzeichnung verzichten – und Verbraucher:innen werden also nicht gewarnt.
Da der Nutri-Score in Deutschland nur freiwillig ist, haben Lebensmittelhersteller die Wahl, ob sie die Kennzeichnung verwenden oder nicht. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen vzbv appelliert daher an die Unternehmen der deutschen Lebensmittelwirtschaft, die Nährwertampel so schnell wie möglich auf ihren Produkten zu nutzen. „Denn nur wenn eine große Zahl an Produkten gekennzeichnet ist, können Verbraucher tatsächlich vergleichen – und eine gesündere Wahl treffen“, so vzbv-Vorstand Klaus Müller.
Es sollte das Ziel sein, den Nutri-Score flächendeckend in Deutschland und darüber hinaus verbindlich in Europa einzuführen. Die EU-Kommission sprach sich inzwischen für eine erweiterte verpflichtende Nährwertkennzeichnung ab 2022 aus. Außerdem sieht man mittlerweile auch Produkte mit schlechterer Nutri-Score-Markierung. Der Grund: Wenn ein Unternehmen die Verwendung des Nutri-Score für eine seiner Marken freiwillig angemeldet, verpflichtet es sich, nach einer Übergangszeit alle Produkte dieser Marke mit dem Nutri-Score zu versehen.
Der Nutri-Score ändert an einem grundsätzlichen Problem nichts: Ungesunde Nahrungsmittel sind zu günstig, insbesondere viele Fertiggerichte und Süßigkeiten – aber auch Fleisch, Wurst und Käse. Darunter leiden nicht nur wir Menschen, sondern auch Bäuer:innen, Tiere und die Umwelt. Unser Landwirtschaftssystem ist ein großer Teil des Problems – das erkennt glücklicherweise auch der aktuelle Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir. Erst im Dezember 2021 fand er hierfür klare Worte.
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