Das Reinheitsgebot ist das zentrale Element der deutschen Bierbrau-Kultur. Es steht für Natürlichkeit und Tradition. Aber entspricht dieses Bild auch der Realität?
Hopfen, Gerstenmalz, Wasser und Hefe sind laut dem Reinheitsgebot die einzigen Zutaten, aus denen Bier bestehen darf. 2016 feierte das Reinheitsgebot 500-jähriges Jubiläum, dabei gilt es bundesweit erst seit 1906 und heißt erst seit 1918 Reinheitsgebot.
Ursprünglich war es eine bayrische Landesverordnung. Sie wurde erlassen, um einerseits dem damals verbreiteten Panschen von Bier entgegenzuwirken und andererseits, um das bayrische Bier vor Konkurrenz aus umliegenden Staaten zu schützen.
Reinheitsgebot: Wie ist die Rechtslage heute?
Das Reinheitsgebot ist heutzutage im sogenannten „Vorläufigen Biergesetz“ verankert, welches 1993 erlassen wurde:
- Die verschiedenen Biersorten werden in ober- und untergärige Biere unterteilt. Untergärige Biere werden mit Hefe gebraut, die absinkt, obergärige dagegen mit Hefe, die aufsteigt. Es gibt aber auch Mischformen.
- Für untergärige Biere gilt weiterhin das Reinheitsgebot. Allerdings dürfen seit einiger Zeit neben getrockneten Hopfendolden auch Hopfenpulver oder Hopfenextrakt verwendet werden.
- Für obergärige Biere sind die Regeln lockerer: Ihnen darf Zucker zugesetzt werden und es dürfen verschiedene Arten von Malz verwendet werden.
- Generell gilt das Reinheitsgebot nur für deutsche Biere, die für den deutschen Markt produziert werden.
- Für „besondere Biere“ gibt es außerhalb von Bayern eine Ausnahme: Traditionsreiche Biere, die schon immer Zutaten enthielten, die das Reinheitsgebot verbietet, können als „besondere Biere“ verkauft werden.
- Falls du Hobby-Brauer:in bist, musst du dir über das Reinheitsgebot wahrscheinlich keine Gedanken machen: Es gilt erst, wenn du im Jahr mehr als 200 Liter Bier produzierst.
Deutsches Bier: Also alles ganz natürlich?
Tatsächlich verbietet das Reinheitsgebot die Verwendung von Zusatzstoffen: Wenn du deutsches Bier kaufst, enthält es keine künstlichen Aromen, Farbstoffe, Enzyme, Emulgatoren oder Konservierungsstoffe. Das bezieht sich aber nur auf das Endprodukt. Wie sieht es mit dem Herstellungsprozess aus?
- Der frische, grüne Hopfen, wie er uns zuweilen in der Werbung gezeigt wird, wird in der Bierherstellung eher selten verwendet. Das hat verschiedene Gründe, etwa den Preis, auch können frische Hopfendolden nur kurz nach der Ernte verarbeitet werden. Wenn man sie das ganze Jahr über fürs Brauen einsetzen wollte, müsste man sie einfrieren, was die Ökobilanz verschlechtern würde. Sogenanntes Frischhopfenbier findest du als Spezialität, die dann auch als solche ausgezeichnet ist.
- Stattdessen kommen getrocknete Hopfenpellets, Hopfenpulver und Hopfenextrakt zum Einsatz.
- Bier enthält natürlicherweise Schwebstoffe, wie Hefezellen, die das Getränk im Verlauf der Lagerung trüben. Da dies normalerweise nicht erwünscht ist, werden die Schwebstoffe herausgefiltert. Dafür wird zuweilen der Kunststoff Polyvinylpolypyrrolidon verwendet, manchmal auch Fischblase. Beide Stoffe werden nach der Filterung wieder aus dem Bier entfernt und müssen deshalb nicht auf der Zutatenliste aufgeführt werden.
- Generell sind Hilfsstoffe erlaubt, die zur Herstellung gebraucht und anschließend wieder aus dem Bier entfernt werden – bei Bio-Bier sind diese verboten.
Schlussendlich bekommst du also meistens Biere, die zwar aus natürlichen Rohstoffen bestehen, aber in einem Prozess hergestellt wurden, den man als Konsument:in als weit weniger natürlich empfinden darf. Und auf die Zutaten sollten wir noch einen Blick werfen – denn auch, wenn sie natürlich sind, können sie trotzdem Schadstoffe enthalten.
Trotz Reinheitsgebot: Schadstoffe im Bier
Das Reinheitsgebot macht keine Aussage zu Schadstoffen, mit denen die Zutaten belastet sein könnten. Es gibt also keine besonderen Grenzwerte, die speziell für Bier gelten. 2016 hat das Umweltinstitut in München stichprobenartig 14 beliebte deutsche Biere getestet und in allen Glyphosat-Rückstände gefunden hat. Deutsche Braugerste darf zwar nicht mit Glyphosat behandelt werden, importierte Braugerste aus anderen Ländern aber schon.
Die Untersuchung erregte großes Aufsehen, da die Rückstände in allen Fällen weit über dem erlaubten Wert für Trinkwasser lagen und weil Glyphosat kurz zuvor von mehreren Institutionen als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft worden war.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung befand jedoch, dass die gefundenen Glyphosat-Mengen relativ zur Menge Bier, die ein Mensch im Durchschnitt trinkt, unbedenklich seien. Ohnehin enthielten sehr viele Lebensmittel Glyphosat-Rückstände. Dagegen argumentierte das Umweltinstitut, dass man bei solchen gesundheitsschädlichen Stoffen eigentlich keine akzeptable Untergrenze definieren könne.
Seitdem gab es noch weitere Untersuchungen mit ähnlichen Ergebnissen:
- 2017 führte das Umweltinstitut München eine ähnliche stichprobenartige Untersuchung durch, bei der erneut Glyphosat-Rückstände in allen Proben nachgewiesen wurden. Sie lagen zwar immer noch über dem Grenzwert für Trinkwasser, waren im Vergleich zum Vorjahr aber um 80 Prozent gesunken. Anscheinend hatte die Studie 2016 so viel Aufsehen erregt, dass viele Brauereien seitdem stärker darauf achten, welche Gerste sie verwenden.
- Im selben Jahr fand das niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) in 18 von 22 untersuchten Bieren Rückstände von verschiedenen Pestiziden und nitrathaltigen Düngemitteln.
- 2023 hat Öko-Test 50 Pilsbiere getestet. Die meisten seien insgesamt empfehlenswert, in zwölf stecken Spuren von Glyphosat. Alle acht Bio-Biere im Test waren frei von Glyphosat.
Die gefundenen Schadstoffmengen wurden bisher immer als unbedenklich eingestuft. Dennoch entsprechen sie vielleicht nicht dem Bild, das durch das deutsche Reinheitsgebot und den an „Natur“ nicht geizenden Werbe-Bildern suggeriert wird.
Aber: Auch bei Bio-Bieren kannst du dir nicht hundertprozentig sicher sein, dass sie keine Schadstoffrückstände enthalten. Allgemein schneiden diese bei Untersuchungen oft besser ab.
Wie regional ist deutsches Bier?
Bei Bier spielt nicht nur Natürlichkeit eine sehr große Rolle, sondern auch Regionalität. Viele Marken werben mit der Region oder dem Ort, aus dem sie stammen. Leider sind viele der beliebtesten deutschen Biermarken schon länger keine Privatbrauereien mehr. Stattdessen tragen sie zwar noch ihren alten Namen, gehören aber zu großen Konzernen. Hier sind ein paar Beispiele:
- Sowohl Jever (ursprünglich aus Ostfriesland) als auch Berliner gehören zur Radeberger Gruppe.
- Zum belgischen Konzern AB InBev gehören ungefähr 200 Biermarken, darunter das norddeutsche Beck’s, Hasseröder und das bayerische Franziskaner.
- Sternquell, Würzburger Hofbräu, Mönchshof – regionale Vielfalt? Nicht ganz: Alle gehören zumindest teilweise zum Mutterkonzern Heineken mit Sitz in Amsterdam. Heineken ist auch zu 30 Prozent an der Paulaner Brauerei Gruppe beteiligt, der Rest gehört zur Schörghuber Unternehmensgruppe (Bauen & Immobilien, Getränke, Hotel und Seafood).
- 2018 hatte sich Krombacher zu einer Zusammenarbeit mit Nestlé entschieden, worauf ein großer Teil der Öffentlichkeit sehr negativ reagiert hat.
In den letzten Jahren sind allerdings regionale, kleine Privatbrauereien wieder beliebter geworden. Das hängt vermutlich auch mit dem Craft-Beer-Trend zusammen. Viele Brauereien wollen sich vom Einheitsgeschmack der großen Konzerne absetzen und experimentieren mit besonderen Hopfensorten und traditionellen Herstellungsverfahren.
Für sie ist das Reinheitsgebot aber auch mit Einschränkungen verbunden: Viele würden gerne beispielsweise Gewürze oder andere Malzsorten verwenden, aber durch das Reinheitsgebot ist das sehr schwierig. Nicht zuletzt deshalb gab es nicht nur positive Stimmen zum 500-jährigen Jubiläum des Reinheitsgebotes 2016.
Was du tun kannst
Schlussendlich triffst du bei Bier trotz des Reinheitsgebotes auf ähnliche Probleme wie bei vielen Lebensmitteln und Getränken: Die Übermacht großer Konzerne, Schadstoffrückstände, industrialisierte Herstellungsverfahren.
Noch garantiert das Reinheitsgebot zumindest, dass Bier als Endprodukt keine Zusatzstoffe enthält. Dafür schränkt es gleichzeitig Brauereien ein, die gerne mit natürlichen Zutaten experimentieren würden.
Du selbst kannst mit dafür sorgen, dass die Vielfalt der deutschen Braukunst erhalten bleibt:
- Informiere dich darüber, welche bekannten deutschen Biermarken zu großen Konzernen gehören und welche tatsächlich noch Privatbrauereien sind.
- Mache dich auf die Suche nach lokalen Brauereien. Viele Kneipen, Getränkehandel und Supermärkte bieten inzwischen regionale Bierspezialitäten an. Du wirst erstaunt sein, welche geschmackliche Vielfalt alleine aus Hopfen, Malz, Hefe und Wasser entstehen kann.
- Probiere Biere, die als „besondere Biere“ vom Reinheitsgebot ausgenommen sind. Auch da gibt es erstaunliche Geschmackserlebnisse.
- Kaufe Bio-Bier. Wie so oft bei ökologischen Erzeugnissen sind viele nicht nur geschmacklich hervorragend, sondern auch weniger schadstoffbelastet sowie umwelt- und klimafreundlicher in der Herstellung. Auch bei Bier kannst du dich an den Siegeln der bekannten Anbauverbände Demeter, Bioland und Naturland, oder an dem weniger strengen EU-Bio-Siegel orientieren.
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Überarbeitet von Denise Schmucker
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