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Nachhaltig leben: Wieso wir immer noch zu Billig-Produkten greifen

Shopping, Einkaufen, Geschäft
Foto: CC0 / Pixabay / kc0uvb

Viele Deutsche geben an, nachhaltig(er) leben zu wollen. Doch nur wenige setzen ihre guten Vorsätze auch in die Tat um. Woran liegt das? Auf den Spuren der „Attitude Behaviour Gap“.

Nichts ist so verführerisch wie ein Schälchen Erdbeeren. Die leuchtend roten Früchte ziehen in der Obsttheke die Blicke auf sich. Ein Preisschild wirbt mit Sonderangebot: Nur 1,99 für 500 Gramm. Deutlich kleiner steht darunter das Herkunftsland. Die Früchte wurden aus Südamerika eingeflogen – hier ist noch nicht Erdbeerzeit. Bio sind sie auch nicht. Sehen aber lecker aus.

Nun heißt es: Stark bleiben. Den Einkaufswagen entschlossen zur Kasse schieben. Ein letzter, verzagter Blick zurück. Wäre es wirklich so schlimm? Erdbeeren sind doch gesund. Und einmal ist keinmal.

Szenen wie diese spielen sich täglich in etlichen Supermärkten ab. Denn Nachhaltigkeit ist vielen ein Anliegen – doch bei Sonderangeboten oder Schnäppchenpreisen vergessen wir unsere guten Vorsätze. Aber warum ist das so?

Attitude Behaviour Gap: Bio ist besser – doch wir kaufen es nicht

An guten Vorsätzen mangelt es den Deutschen nicht: Laut einer Studie des Hausgeräteherstellers Ritterwerk würden 60 Prozent lieber auf Wochen- und Biomärkten beziehungsweise auf dem Bauernhof einkaufen. 26 Prozent sagen, sie würden für Bio bis zu zehn Prozent mehr zahlen.

Doch die Realität sieht anders aus: Im europäischen Vergleich geben Deutsche eher wenig für Lebensmittel aus. 2018 kauften sie Nahrungsmittel großteils im Discounter.

Natürlich gibt es Ausnahmen: Einigen Menschen gelingt es, ökologisch und umweltbewusst einzukaufen. Auch sind Bio-Produkte in den vergangenen Jahren beliebter geworden – immer mehr Discounter führen sie in ihrem Sortiment.

Der Umsatz der Bio-Branche in Deutschland ist 2018 um 5,5 Prozent gestiegen –  auf insgesamt 10,91 Mrd. Euro. Doch das ist vergleichsweise wenig: Für Lebensmittel gaben die Deutschen 2018 insgesamt 159,29 Mrd. Euro aus. Der Anteil von Bio liegt also nur bei etwa sieben Prozent. Das spiegelt nicht einmal annähernd das Interesse wider, das die Umfragen ermittelt haben.

Wenn wir gute Absichten nicht umsetzen

Den Unterschied zwischen grundsätzlicher Einstellung und tatsächlichem Verhalten beschreiben Verhaltensökonomen als „Attitude Behaviour Gap“.  Nachhaltig zu handeln ist eine gute Absicht. Doch schafft man es im Alltag oft nicht, sie umzusetzen. Und das nicht nur beim Einkauf von Lebensmitteln.

Dr. Silke Kleinhückelkotten vom ECOLOG-Institut für sozial-ökologische Forschung und Bildung hat die Attitude Behaviour Gap beim Kleiderkauf erforscht. Ihre Studie ergab: Ein Großteil der rund 2.000 Befragten empfand es als sehr wichtig, dass Kleidung nachhaltig (46 Prozent) und fair (47 Prozent) hergestellt wird. Auch war der Mehrheit der Befragten bekannt, dass Textilunternehmen ihre Arbeiter oft ausbeuten und umweltschädliche Chemikalien verwenden.

Ihr Kaufverhalten wollen sie zukünftig trotzdem nicht ändern. „Nur weil etwa 50 Prozent der Befragten sagen, dass ihnen Nachhaltigkeit wichtig ist, heißt das nicht, dass diese Hälfte in Zukunft entsprechend handelt“, folgert Dr. Kleinhückelkotten im Gespräch mit Utopia.

Ist uns Umweltschutz zu anstrengend?

Plastikverpackungen haben großen Nachholbedarf im Bereich Recycling.
Die Deutschen recyceln im Schnitt 415 Kilogramm Wertstoffe pro Kopf und Jahr. (Foto: CC0 / Pixabay / blickpixel)

Heißt das, wir heucheln lediglich Interesse vor – die Umwelt ist uns aber eigentlich egal?

Nein. Laut einer Studie des Umweltbundesamts empfinden immer mehr Deutsche Umwelt- und Klimaschutz als wichtig. Zwei Drittel sehen sie als eine grundlegende Bedingung, um zukünftige Aufgaben zu bewältigen.

Dr. Kleinhückelkotten zufolge sind uns andere Dinge aber manchmal wichtiger. An ein Kleidungsstück stellen wir beispielsweise verschiedene Anforderungen: Idealerweise sollte es nachhaltig sein, aber für viele ist es wichtiger, dass es dem eigenen Modegeschmack entspricht. Und gleichzeitig muss das Teil bequem sein, oder sommerlich, oder beides.

Wer einkauft, wägt – bewusst oder unbewusst – ab: Je höher der Aufwand oder der Preis, desto unwahrscheinlicher, dass man die umweltfreundliche Alternative wählt. Deshalb recycelt der Durchschnitts-Deutsche immerhin 415 Kilogramm Wertstoffe pro Jahr (wenig Aufwand). Auch benutzen viele (billiges) recyceltes Toilettenpapier. Doch es gibt nur 83.175 zugelassene Elektro-Autos in Deutschland (von 64.800.000 Fahrzeugen) – denn eine Neuanschaffung ist teuer. Und nur 1,6 Prozent der Bevölkerung haben ihre Ernährung umgestellt und ernähren sich vegan.

Wissen wir nicht mehr, was nachhaltig ist?

Ein weitere mögliche Ursache für die Attitude Behaviour Gap: Unser Handel ist zu intransparent. Schaut man sich ein Produkt näher an, blickt man auf lange Zutatenlisten voller E-Nummern oder Wörter wie „Glycerinfettsäureester“ – darunter können sich nur die wenigsten etwas vorstellen.

Auch die vielen Siegel stiften Verwirrung. Immerhin gibt es allein in Deutschland mehr als 1000 verschiedene Kennzeichen und Label. Eine Studie der Verbraucherzentrale aus dem Jahr 2016 bewertete fast alle deutschen „Klima-Label“ als intransparent und wenig glaubwürdig. Meist handelte es sich um Eigenlabel einzelner Marken wie „Alpro Soya“ oder „Frosta“.  „Der Konsument muss erst mal ein Siegel-Diplom machen, bevor er einkaufen geht“, schimpft Dario Sarmadi von der Verbraucherorganisation Foodwatch.

Dr. Kleinhückelkotten sieht das anders: „Dieses Argument wird teils vorgeschoben“, kritisiert die Expertin für Nachhaltigkeitsbewusstsein. Man könne sich sehr wohl informieren – die nötige Recherche sei vielen aber zu aufwändig.

Wirklich viel Zeit müssten Verbraucher eigentlich nicht investieren: Immerhin gibt es Apps wie Codecheck, die Inhaltsstoffe per Barcodescanner überprüfen. Auch kann man sich an ein paar seriösen Siegeln orientieren – auch im Textilbereich. Und bei Lebensmitteln ist „Bio“ ein geschützter Begriff. Das heißt: Wo Bio draufsteht, ist auch Bio drin.

Attitude-Behaviour-Gap überwinden: So handelst du nachhaltiger

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Etabliere neue Einkaufsroutinen. So kannst du die Attitude Behaviour Gap überwinden. (Foto: Pixabay/ CC0/ Pexels)

Für viele ist Einkaufen Routine. Wir greifen zu Lebensmitteln, Haushaltswaren oder kaufen von bestimmten Modeketten, ohne lange darüber nachzudenken. Das spart Zeit und Nerven. Und trägt leider dazu bei, dass wir nachhaltige Optionen gar nicht erst wahrnehmen.

Um das zu ändern, musst du deine Routine aufbrechen. Sieh dir beim nächsten Supermarktbesuch alle Regale an. Merke dir, wo die Bio-Produkte stehen und orientiere dich an Nachhaltigkeits-Siegeln wie dem Blauen Engel,  einem Bio-Siegel oder dem Fairtrade-Siegel. Mit der Zeit fällt dir das immer leichter und du entwickelst neue Einkaufsgewohnheiten.

Übrigens: Nachhaltig zu leben muss nicht teuer sein. Bio-Lebensmittel kosten zwar oft etwas mehr – doch diesen Aufpreis kannst du leicht ausgleichen. Du sparst zum Beispiel automatisch Geld, wenn du auf teure tierische Produkte wie Fleisch verzichtest. Und vegane Lebensmittel wie zum Beispiel Hafermilch kannst du aus Hafer, Wasser, Salz und Zucker selber machen – das kostet so gut wie nichts. Fertigprodukte sind meist überteuert und enthalten fragwürdige Zusatzstoffe. Koche deshalb lieber selbst und nutze frische Zutaten – das schont auch den Geldbeutel. (Mehr Tipps: Die 13 ultimativen Tipps, mit denen du Geld sparst – und gleichzeitig die Umwelt schützt)

Vielleicht kochst du bereits regelmäßig selbst, erledigst deine Einkäufe im Unverpackt-Läden oder kaufst Obst und Gemüse nur saisonal. Das ist super, weiter so. Wenn du aber doch einmal zu den konventionellen Erdbeeren greifst – sei nicht frustriert. Das nächste Mal kannst du es besser machen. Sei lieber stolz auf das, was du schon geleistet hast. Jeder kleine Beitrag zum Klimaschutz zählt.

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