Aufforstung gilt oft als eine der wichtigsten Waffen im Kampf gegen den Klimawandel. Kritiker:innen zufolge ist diese Einschätzung aber nicht nur übertrieben optimistisch; sie warnen sogar, dass das Bäumepflanzen sich negativ aufs Klima auswirken kann. Stimmt das?
Anmerkung der Redaktion: Neue Recherchen zu Zertifikatprogrammen stellen den Sinn von bestimmten Umweltschutzprojekten in Frage. Empfehlungen und Informationen in diesem Beitrag könnten veraltetet sein. Unsere Beiträge zum Thema werden demnächst aktualisiert.
Ärmel hochkrempeln, Schaufel in die Hand, Loch buddeln, Bäumchen rein, gießen und vor allem: Lächeln. Besonders Firmenchef:innen und Regierungsvertreter:innen lassen sich gerne beim Bäumepflanzen fotografieren. Schließlich zeigt das vermeintlich, wie sehr ihnen die Zukunft unseres Planeten am Herzen liegt.
Laut einer Studie der ETH Zürich könnten ganze zwei Drittel der bislang durch uns Menschen verursachten CO2-Emissionen durch das Pflanzen neuer Bäume ausgeglichen werden. Kritiker:innen jedoch bezeichnen das als Augenwischerei und kritisieren die Aussagen der Studie als nicht differenziert genug. Anlass für uns, die Sinnhaftigkeit des Bäumepflanzens genauer unter die Lupe zu nehmen.
Übrigens: Im Utopia-Podcast kommen einige der im Text erwähnten Expert:innen persönlich zu Wort. Für mehr Infos kannst du einfach reinhören – auf Spotify, Deezer, Apple Podcasts, Google Podcasts und vielen anderen Apps oder direkt hier:
Jeder Baum ein Gewinn fürs Klima?
6 H2O + 6 CO2 + Licht = 6 O2 + C6H12O6. Dunkle Erinnerungen an den Biologieunterricht werden wach: Bäume und andere Pflanzen machen aus Wasser, Kohlenstoffdioxid und Licht feinsten Sauerstoff und Glucose. Dank Fotosynthese scheint die Erde für Emissionsverursacher wie uns Menschen perfekt designt zu sein.
Doch die Rechnung geht nicht ganz auf. „Bäume binden CO2 aus der Luft, wenn sie wachsen, aber wenn Sie verfaulen oder verbrannt werden, dann wird das CO2 wieder frei“, erklärt Reto Knutti, Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich gegenüber Utopia.
„Mehr Bäume können damit einmalig einen Beitrag als CO2-Senke leisten, aber nur so lange die Menge an Biomasse zunimmt, also wir neue Bäume pflanzen.“ Zudem dauere es viele Jahrzehnte, bis der aufgeforstete Baumbestand groß genug sei, um die gewünschte Wirkung zu entfalten. „Bis zum Zeitpunkt von Netto Null CO2-Emissionen 2050 bleibt eigentlich nicht genügend Zeit“, folgert der Experte.
5. Baumpflanz-Initiativen können falsche Anreize setzen
Die guten Absichten hinter Baumpflanz-Initiativen und Aufforstungsgesetzen können nach hinten losgehen, wenn politisch falsche Schwerpunkte gesetzt werden. In Chile wurde beispielsweise über Jahre hinweg das Pflanzen neuer Bäume so stark subventioniert, dass der Schutz bestehender, alter Wälder vernachlässigt und diese sogar zum Teil durch Plantagen ersetzt wurden.
Dabei sind alte Wälder so viel mehr als nur eine Ansammlung von Bäumen: Sie sind komplexe Ökosysteme und vielfältige Lebensräume, die nicht nur Kohlenstoff speichern, sondern auch durch Verdunstungsprozesse Wasserkreisläufe und schließlich unser Wetter beeinflussen.
Schutz und Pflege bestehender Wälder sollten daher nicht aufgrund von Aufforstungsprojekten in den Hintergrund geraten. Hiervor warnt auch der NABU und fordert, „dass Finanzhilfen nicht nur in die schnelle Aufforstung geschädigter Flächen und den Umbau naturferner Forste fließen. Der Erhalt der noch intakten und naturnahen Waldökosysteme ist mindestens genauso wichtig.“
6. Bäume pflanzen über vertrauenswürdige Organisationen
Baumpflanz-Initiativen können einen Nutzen für Menschen und Umwelt haben – aber nicht immer ist das der Fall. Organisationen wie Plant for the Planet waren in den vergangenen Monaten unter anderem wegen fragwürdig hohen Zahlen viel Kritik ausgesetzt. Woran also erkennt man, ob eine Organisation seriös arbeitet – und so wirklich das Klima schützt?
Eike Lüdeling von der Uni Bonn rät, sich etwas mit der Organisation auseinanderzusetzen. „Es sollte erkennbar sein, dass sich die Organisationen mit der Wirkung der Bäume in den Zielsystemen beschäftigt haben.“ Es solle also nicht nur von Kohlenstoff und Klima die Rede sein, sondern auch von anderen positiven Effekten der Bäume. Dienen gepflanzte Obstbäume Kleinbäuer:innen als Einnahmequelle? Werden lokal angepasste Baumarten gepflanzt, um degradierte Ökosysteme wiederherzustellen?
„Auch wäre es, gerade bei Projekten in Ländern des globalen Südens, wichtig, die derzeitigen Landnutzer im Blick zu haben.“, erklärt der Experte. „Wo deren Rolle nicht kommuniziert wird, wären zumindest Rückfragen angebracht.“
Und was, wenn die Bäume illegale Abholzung, Schädlingen oder einem Feuer zum Opfer fallen? Für diese Fälle haben verschiedene Organisationen verschiedene Strategien. Bei Primaklima werden zum Beispiel von Anfang an mehr Setzlinge gepflanzt, um etwaige Ausfälle zu kompensieren. Dazu wird vor jedem Projekt eine Risikoanalyse durchgeführt und die Projekte werden unter anderem von unabhängigen Dritten überwacht, erklärt Henriette Lachenit im Gespräch mit Utopia. Wenn nötig, gibt es auch Nachpflanzungen.
Lies auch: Bäume pflanzen fürs Klima: 16 empfehlenswerte Organisationen – und worauf du achten solltest
7. Bäume pflanzen ist kein CO2-Freifahrtschein
Insgesamt bergen Ausgleichsmaßnahmen wie das Pflanzen von Bäumen stets das Risiko, dass sie dringend notwendige Verhaltensänderungen verlangsamen, weil sie suggerieren, dass man sich das gute Gewissen quasi mit dazukaufen kann.
„Der Anbau von Pflanzen und das Speichern des von ihnen aus der Atmosphäre aufgenommenen CO2 ist kein brauchbares Mittel zur Stabilisierung unseres Klimas, wenn fossile Brennstoffe einfach unvermindert weiter verfeuert werden“, heißt es dazu in einer Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).
So wäre dem Klima zum Beispiel insgesamt viel mehr geholfen, wenn wir alle weniger fliegen würden, als wenn wir uns unsere Flugreisen durch Spenden für Aufforstungsprojekte grün kaufen.
Das gilt nicht nur für uns, sondern auch für die Industrie. „Wo Unternehmen ausschließlich auf solche imageträchtigen Maßnahmen setzen, aber keine Anstrengungen unternehmen, die in ihrem Produktionsprozess entstehenden Emissionen zu reduzieren, finde ich solche Aktionen nicht zielführend“, erklärt Gartenbauwissenschaftsexperte Eike Lüdeling.
Eine Oxfam-Studie kommt außerdem zu dem Schluss, dass zu viel Aufforstung negative Folgen nach sich zieht: Denn dadurch können landwirtschaftliche Flächen verloren gehen, was unter anderem die Nahrungsmittelpreise in bestimmten Regionen erhöhen kann. Von uns verursachte Emissionen lassen sich also nicht endlos durch Baumpflanzungen in Afrika, Südamerika oder Asien ausgleichen.
Lies auch: Alles mögliche ist jetzt angeblich ‚klimaneutral!‘ – aber was heißt das eigentlich?
Wann ist Bäumepflanzen also sinnvoll?
Bäume pflanzen ist kein Patentrezept, mit dessen Hilfe wir unsere Klimasünden ungeschehen machen können. Unter den richtigen Bedingungen kann Aufforstung jedoch einen wichtigen Beitrag leisten, um klimaschädliches CO2 aus der Atmosphäre zu binden.
Insgesamt macht Bäume zu pflanzen dann Sinn, wenn…
- eher kohlenstoffarme Böden bepflanzt werden, sodass bei der Aufforstung möglichst wenig CO2 aus dem Boden freigesetzt wird.
- die richtigen Baumarten für die richtigen Standorte gewählt und dabei zukünftige Klimaszenarien mit in Betracht gezogen werden.
- dadurch Mischkulturen entstehen, die Lebensräume für Pflanzen und Tiere bieten.
- sichergestellt wird, dass die Bäume langfristig auch gepflegt und bei der Aufforstung die Interessen der lokalen Bevölkerung berücksichtigt werden.
- entsprechende Initiativen politisch klug gesteuert werden und zugleich auch der Schutz bestehender Wälder vorangetrieben wird.
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