Utopia-Redakteur Benjamin hat sich lange um saisonale Ernährung gedrückt. Sein Selbstversuch hat das geändert und ließ ihn seine Meinung zu einem einst verhassten Wurzelgemüse überdenken.
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15 Prozent der in Deutschland verursachten Treibhausgase entstehen laut Bundesumweltministerium durch unsere Ernährung. Welche Lebensmittel wir kaufen, hat somit einen großen Anteil an unserer Klimabilanz. Dies ist einer der Gründe, weshalb ich mich seit acht Jahren vegan ernähre und beim Einkauf auch immer mehr auf Bio-Qualität und Regionalität achte. Das Thema saisonales Gemüse habe ich aber lange vernachlässigt, bis ich im vergangenen Herbst den Entschluss fasste, einen Selbstversuch zu wagen: Seit November greife ich in der Gemüseabteilung nur noch nach Produkten, die Saison haben.
Anfangs bedeutete das erstmal Verzicht. Doch mit der Zeit lernte ich neue spannende Gemüsesorten kennen, die ich zuvor sträflich ignoriert hatte. Im folgenden Erfahrungsbericht erkläre ich, welche Hürden am größten waren und wie ich sie überwunden habe.
Außerdem entschuldige ich mich hiermit bei allen Pastinaken. Das gelblich-weiße Wurzelgemüse konnte ich früher nie ausstehen, doch es hat mir den vergangenen Winter im wahrsten Sinne des Wortes versüßt und wurde zu meinem absoluten Highlight des Selbstversuchs.
Selbstversuch „saisonales Gemüse“: Die Regeln
Erstmal aber noch ein paar Hinweise zu den Rahmenbedingungen meines Selbstversuchs: Der erste volle Monat, an dem ich mich saisonal ernährte, war der November 2022. Als Grundlage für meine Kaufentscheidungen nutzte ich den Utopia-Saisonkalender. Ich durfte also nur Gemüsesorten kaufen, die im entsprechenden Monat auf dem Kalender zu finden waren und somit in Deutschland Saison hatten. Dabei griff ich bevorzugt zu solchen, die frisch geerntet wurden. Doch auch Lebensmittel aus Lagerung waren erlaubt.
Obst habe ich beim Versuch bewusst ausgeklammert, und zwar hauptsächlich wegen Bananen, auf die ich einfach (noch) nicht verzichten will. Diese haben zwar das gesamte Jahr über Saison, aber eben in tropischen Ländern und nicht in Deutschland.
Außerdem galt das Kriterium der Saisonalität nur für den Kauf von frischem Gemüse. Bei Konserven und verarbeiteten Produkten wäre es schlicht zu mühsam gewesen, jede einzelne Zutat zu überprüfen. Darüber hinaus war ich gelegentlich auch mal im Restaurant essen, wo ich nicht explizit darauf geachtet habe, ob das verwendete Gemüse gerade Saison hat.
Nun könnte jemand einwenden, dass das ganz schön viele Ausnahmen sind und der Versuch deshalb viel zu einfach ist. Aber die lockeren Regeln sind aus gutem Grund gewählt.
Bewusster Konsum muss nicht asketisch sein
In meinem Versuch geht es nicht darum, irgendjemandem etwas zu beweisen, indem ich eine möglichst schwere Herausforderung knacke, sondern darum, einfach ein bisschen nachhaltiger zu leben. Dabei halte ich es für sinnvoller, mich in vielen kleinen Schritten dem Nachhaltigkeitsideal anzunähern, als mir zu viel auf einmal vorzunehmen, zu scheitern und somit meine Motivation zu verlieren.
Wenn nämlich aus den Umgewöhnungen erstmal Gewohnheit wird, kann ich mich weiteren Maßnahmen widmen, um meinen ökologischen Fußabdruck weiter zu reduzieren – ohne je das Gefühl zu bekommen, auf zu viel verzichten zu müssen.
Trotzdem gibt es natürlich mit jedem kleinen Experiment auch gewisse Hürden zu überwinden. Auch bei meinem Versuch, nur noch saisonales Gemüse zu kaufen, war ich zumindest zu Beginn etwas ratlos.
Nur saisonales Gemüse: Der Selbstversuch
Phase 1: Bye, bye, Brokkoli!
Die ersten zwei bis drei Wochen waren die schwersten. Denn als ich den Saisonkalender für November mit meinem normalen Konsum verglich, fiel mir auf, dass einige meiner Lieblingsgemüsesorten fehlten.
Besonders der Verzicht auf Paprika, Zucchini und Brokkoli machte mir Sorgen. Schließlich gehören alle drei seit Jahren zu meiner Grundausstattung im Kühlschrank und meine bescheidenen Kochkünste basieren daher zu großen Teilen auf jenen Zutaten. Nun musste ich einen ganzen Winter lang ohne meine Gemüselieblinge auskommen.
Die erlaubte Auswahl bot hingegen vor allem eine Fülle an Salat-, Kohl- und Wurzelgemüse, das mir entweder nicht besonders gut schmeckte oder bei dem ich nicht wusste, wie ich das zubereiten sollte. Meine erste Reaktion also: „Möchte ich das wirklich durchziehen?“
Vielleicht hätte ich an diesem Punkt schon aufgegeben. Doch dann wanderte mein Blick auf den Kürbis, ein Gemüse, das mir gut schmeckt und das mir aufgrund der beliebten Halloween-Schnitzereien schon immer irgendwie sympathisch war. Allerdings hatte ich es noch nie selbst zubereitet. Und siehe da: Eine Kartoffel-Kürbis-Pfanne später hatte ich mein erstes Erfolgserlebnis – und es sollte nicht mein Letztes bleiben.
Phase 2: Abenteuer Einkaufen
Auch wenn ich meine Lieblingssorten anfangs vermisste: Der Kürbis hatte mir gezeigt, dass es eine große Freude sein kann, neue Gemüsearten auszuprobieren und zu testen, wie ich sie harmonisch in meine gewohnten Gerichte einbauen kann.
Langsam aber sicher lernte ich die Einschränkungen bei der Gemüsewahl schätzen. Ende November war Einkaufen keine langweilige Routineaufgabe mehr, sondern eine spannende Schatzsuche. Ich nahm mir immer vor, zumindest ein Gemüse mitzunehmen, dass ich bisher noch nie oder nur sehr selten gekauft hatte, und so landeten unter anderem etwa Wirsing, Knollensellerie oder Rosenkohl in meinem Korb.
Zwar schmeckten mir die meisten dieser Sorten nicht so gut wie meine Allzeit-Favoriten Paprika und Brokkoli, doch das mussten sie auch nicht. Jede neue Zutat war eine aufregende Erweiterung meines Horizonts, sodass ich mich irgendwann regelrecht aufs Einkaufen freute.
Das ist ein Aspekt, der bei Diskussionen um Verzicht oft zu kurz kommt: Wir leben in einer Überflussgesellschaft, in der der Verzicht bestimmter Produkte oft auch den Raum für Möglichkeiten eröffnet, die man ansonsten vielleicht für immer verpasst hätte.
Zugegeben: Das gilt nur, wenn der Verzicht freiwillig ist. Teile unserer Gesellschaft sind leider gezwungen, sehr bewusst zu konsumieren, um überhaupt über die Runden zu kommen. Den Begriff Überflussgesellschaft finde ich dennoch passend. Denn allein schon die Tatsache, dass ich große Teile meines Speiseplans streichen kann und immer noch eine riesige Bandbreite an Optionen habe, die nur wenige Straßen entfernt in einem Supermarkt fast jederzeit parat liegt, halte ich bereits für einen großen Luxus.
Phase 3: Die Pastinake – Liebe auf den zweiten Blick
Von all dem saisonalen Gemüse, das mich durch den Selbstversuch gebracht hat, war ich von einem besonders überrascht: der Pastinake, die ich Mitte Dezember kennenlernte. Vor meinem Experiment empfand ich nichts als Abneigung gegen diese ausgebleichte, aufgequollene und verschrumpelte Perversion einer Mohrrübe, die mit ihrem penetranten Eigengeschmack jede Packung Gemüsechips massiv abwertet. Doch so dachte mein altes Ich!
Mit der Zeit merkte ich, wie genial sich kleine Mengen Pastinaken eignen, um meinen Gerichten eine faszinierende süßliche Note zu verleihen. Denn ganz im Gegensatz zu ihrem blassen Erscheinungsbild sind Pastinaken geschmacklich um einiges intensiver als Mohrrüben. So verleihen sie Gerichten einen zusätzlichen Pepp, wenn man sie in Maßen einsetzt. Damit füllen sie eine Nische in meinem kulinarischen Sortiment, die zuvor nicht optimal besetzt war.
Denn wenn ich koche, versuche ich in der Regel möglichst wenig Salz zu verwenden, da die übliche Ernährung in Deutschland schlichtweg zu viel Salz enthält. Kein Wunder, schmeckt ja auch. Damit sich der Mangel an Salz aber nicht so bemerkbar macht, hilft es, andere Geschmacksrichtungen umso stärker zu bespielen. Ein kleiner Spritzer Essig oder Zitronensaft sorgt für erfrischende Säure, frischer Rucola für kontrastierende Bitterstoffe, viel Pfeffer oder Chilipulver für ordentlich Schärfe und Hefeflocken für den typischen Umami-Geschmack.
Doch wie erzeugt man Süße? Also ohne sein Gericht ganz billig mit Zucker oder Sirup vollzuschütten? Zwar gibt es Möglichkeiten, wie sich auf natürliche Weise eine milde Süße hinzufügen lässt, etwa mit Mais oder auch Mohrrüben, aber Pastinaken erfüllen den Job viel besser, eben weil sie so intensiv sind.
Mini-Rezept für eine Pastinaken-Pfanne
Meine Lieblingsbeilage aus dem Selbstversuch hat mich fast den kompletten Winter begleitet und passt hervorragend zu Kartoffelpüree und gebratenem Tofu oder veganem Schnitzel. Sie lebt von der erdigen Süße der Pastinake und ist dazu auch super einfach und fix gekocht:
Einfach 3 Mohrrüben, 1 Pastinake und 2 Zwiebeln klein würfeln und mit etwas Fett oder Öl in der Pfanne anbraten, bis das Gemüse schön durch ist. Das Ganze lässt sich nach Belieben würzen – ich bevorzuge Kurkuma, Pfeffer, Chilipulver, Petersilie und eine Prise Salz – und schon hat man eine herrliche Gemüsebeilage.
Phase 4: Ganz normaler Alltag
Nachdem ich den November und Dezember überstanden hatte, wurde aus dem Experiment bereits Routine. Mohrrüben, Pastinaken, Zwiebeln, Kartoffeln, Lauch und Champignons bildeten fortan das Fundament meiner Wintergerichte und verliehen der Jahreszeit ihren ganz speziellen eigenen Geschmack.
Ob eingetaucht in einem Curry, angebraten in einer Nudelpfanne oder einfach nur gedünstet zum Reis. Es gab genügend Möglichkeiten, aus der eingeschränkten Gemüseauswahl etwas zu zaubern, sodass ich Brokkoli und Co. seitdem nicht wirklich vermisse.
Zusätzliche Motivation erhielt ich außerdem, als ich das sehr empfehlenswerte Kochbuch „Vegan fürs Klima“ geschenkt bekam. Darin finden sich saisonale Rezepte für jeden Monat, was mir unter anderem ein leckeres Champignon-Lauch-Risotto und eine cremige Kartoffelsuppe bescherte.
Fazit: Mehr Wertschätzung und Abwechslung
Der Selbstversuch sorgte bei mir für eine bewusstere Wertschätzung gegenüber den vielen verschiedenen Lebensmitteln, die wir wie selbstverständlich in unseren Super- und Biomärkten vorfinden. Seitdem fiebere ich jedem neuen Monat entgegen und warte gespannt darauf, welche Gemüsesorten dann zur Auswahl stehen werden – was aufregender ist, als ich anfangs gedacht habe.
Außerdem sorgt saisonales Einkaufen für mehr Abwechslung auf meinem Teller. Das klingt erstmal paradox, weil mir dadurch grundsätzlich weniger Lebensmittel zur Verfügung stehen. Doch während ich früher das ganze Jahr über mehr oder weniger die gleichen Gemüsesorten gekauft habe, so kaufe ich nun je nach Jahreszeit unterschiedliche Zutaten ein.
Und wenn es dann endlich soweit ist und Paprika, Zucchini und Brokkoli endlich wieder Saison haben, dann werde ich jeden Bissen umso mehr genießen.
Mein Selbstversuch war ein voller Erfolg und ich habe keinen Grund, nun mit dem Einkaufen von ausschließlich saisonalem Gemüse aufzuhören. Abschließend kann ich nur empfehlen, es selbst mal auszuprobieren, um so vielleicht die ein oder andere Gemüsesorte neu zu entdecken. In diesem Sinne: Guten Appetit!
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