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„Ganz schlimmes Menschenbild“: Kühnert streitet sich mit CDU-Politiker um Bürgergeld

Kühnert streitet sich mit CDU-Politiker um Bürgergeld
Foto: Screenshot ARD Anne Will

Nach hitzigen Debatten im Bundestag soll das Bürgergeld kommen. Die Union wehrt sich noch dagegen, könnte die Sozialreform im Bundesrat blockieren. Bei Anne Will ging die Diskussion mit Kevin Kühnert (SPD) und Carsten Linnemann (CDU) in eine weitere Runde.

Der Bundestag hat bereits grünes Licht für das Bürgergeld gegeben, im Bundesrat könnte die Sozialreform jedoch noch am Montag blockiert werden. Die Union hatte dies angekündigt – im Vorfeld kam es immer wieder zu hitzigen Debatten. So auch im ARD-Talk bei Anne Will.

Zu Gast waren unter anderem Carsten Linnemann, stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU; SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sowie die ehemalige Linken-Chefin und Berliner Arbeitssenatorin Katja Kipping. Das Bürgergeld sieht vor, Arbeitslose künftig weniger durch angedrohten Leistungsentzug (Sanktionen) unter Druck zu setzen. Stattdessen sollen sie mit Weiterbildungsmaßnahmen stärker unterstützt werden. Kurzum: Hartz IV, wie es derzeit besteht, wird reformiert.

Für Wirtschaftspolitiker Linnemann ein Unding, wie er in der Sendung durchblicken lässt. „Dass man sagt, im ersten halben Jahr gibt es bei einer Pflichtverletzung keine Sanktionen, keine rote Karte, hat mit dem Sozialstaatsprinzip nichts zu tun.“

„Sonst verlieren Sie die Akzeptanz bei den Menschen“

Schon zu Beginn der Sendung erklärte Kühnert, dass die bisherige Diskussion – wie sie die Union führe – am Ziel vorbeischieße. Sein Argument: Nur drei Prozent der Hartz-IV-Empfänger:innen würden Sanktionen auferlegt – etwa durch Terminversäumnisse oder Verweigerungshaltung. „Die Diskussion, die wir also führen, führen wir wegen drei von 100 Leuten im Leistungsbezug“, so der SPD-Generalsekretär. „Und Sie sind bereit, in Kauf zu nehmen, dass die anderen 97 Arbeitslose als lustlose Trottel dargestellt werden, die sich nicht anstrengen wollen“, führt Kühnert weiter mit Blick zur Haltung der CDU weiter aus.

Linnemann hält dagegen und betont, es müsse auch ein Regelsystem für die wenigen Prozent geben. „Sonst verlieren Sie die Akzeptanz bei den Menschen, die jeden Tag arbeiten gehen.“ Sowohl Kühnert als auch Linken-Politikern Kipping sind sich einig: Die meisten Menschen wollen nicht langzeitarbeitslos sein. Überzeugung anstatt Sanktionen würden den Menschen helfen.

„Wir haben analysiert, was uns Praktiker in den Jobcentern sagen. Wie das mit verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit ist, die mit schlechten persönlichen Erlebnissen und Effekten einhergeht, wie groß der Kraftaufwand ist, die Leute da wieder rauszukriegen, und wie wichtig es ist, frühzeitig ein Gerüst aufzubauen, das auf Hilfe und nicht auf Drangsalierung aufgebaut ist“, so Kühnert.

„Das ist ein ganz schlimmes Menschenbild, das sie da haben“

Der CDU-Politiker jedoch sieht einen Fehler in einem System, bei dem Menschen mit Sozialhilfe ohne großen Mehraufwand angeblich mehr Geld hätten als erwerbstätige Menschen. Linnemann wirft unter anderem der SPD vor, die Bürger:innen zu vergessen, die das Bürgergeld künftig finanzieren müssen.

Nicht die Erhöhung des Regelsatzes von 449 auf 502 sei Linnemann zufolge das Problem, sondern „dass es keine Anreize mehr gibt zum Arbeiten gibt – für eine Gruppe, die nicht will“. Kühnert hingegen stößt die Sichtweise des CDU-Politikers auf. „Das ist ein ganz schlimmes Menschenbild, das sie da haben“, so der Sozialdemokrat. Für Kipping greift das Problem weiter. Sie ist der Meinung, dass das Steuersystem in Deutschland ungerecht sei. So sollten nicht die Bürger:innen für die Finanzierung des Bürgergelds belastet werden, die ohnehin weniger verdienten. Sondern vielmehr jene Erwerbstätige mit einem sehr hohen Einkommen oder Vermögen.

Die Eckpunkte des Bürgergelds:

Kern der Reform ist ein Systemwechsel: Vor 20 Jahren hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eine Kommission eingesetzt unter der Leitung von Ex-VW-Manager Peter Hartz. Aus deren Reformvorschlägen gegen die damalige Massenarbeitslosigkeit entstanden mehrere Gesetze: Hartz I bis Hartz IV. Der Druck auf Arbeitslose wurde erhöht, was zu Protesten führte und letztendlich in der Abwahl von Schröder gipfelte. Nun soll dieses seit Jahren umstrittene System Hartz IV weg.

Höhere Regelsätze

Der heutige Hartz-IV-Regelsatz von 449 Euro für Alleinstehende soll auf 502 Euro angehoben werden. Dass es mindestens so viel sein muss, ist wegen der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten unstrittig. CDU und CSU hatten vorgeschlagen, die Erhöhung mitzutragen, sie aber aus dem Bürgergeld-Gesetz herauszulösen, damit sie als Einzelmaßnahme zum 1. Januar in Kraft treten kann. Die Ampel lehnt das ab.

„Vertrauenszeit“ und „Karenzzeit“

Zwei der Schlagwörter im Bürgergeld-Gesetz. Man wolle niemanden unter Generalverdacht stellen, heißt es von der Ampel. Deshalb sollen Leistungen in den ersten sechs Monaten des Bürgergeldbezugs („Vertrauenszeit“) nur in Ausnahmefällen gekürzt werden, wenn jemand beharrlich mit dem Jobcenter nicht kooperiert. Für die ersten beiden Jahre („Karenzzeit“) soll zudem niemand sein Vermögen antasten müssen, es sei denn, es ist „erheblich“ und liegt über 60.000 Euro, plus 30.000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied. Auch ein Umzug in eine kleinere Wohnung soll in der Karenzzeit nicht nötig sein.

„Schonvermögen“

Auch nach zwei Jahren Bürgergeldbezug soll mehr Vermögen als bisher unangetastet bleiben. Das betrifft auch Anlagen zur Altersvorsorge oder Eigenheime bis 140 und Eigentumswohnungen bis 130 Quadratmetern. Es gehe nicht um große Villen im Tessin, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). „Es geht um die Frage, dass Leute, die sich im Leben etwas erarbeitet haben, wenn sie in Not geraten, nicht alles auf den Kopf hauen müssen.“

Weiterbildung

Zusätzlich zum Bürgergeld soll es 150 Euro Weiterbildungsgeld pro Monat geben, wenn jemand einen Berufsabschluss nachholt, oder 75 Euro zusätzlich, wenn andere Weiterbildungsmaßnahmen angenommen werden. Ziel soll es künftig nicht mehr sein, Betroffene möglichst schnell in irgendeinen Job zu vermitteln, sondern durch Weiterbildung für eine dauerhafte Tätigkeit vorzubereiten.

Mit Material der dpa

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