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„Liefer-Sklaven“: Lieferando- und Wolt-Insider erheben schwere Vorwürfe

Lieferando Wolt
Fotos: CC0 / Unsplash - Mika Baumeister

Die SWR-Doku „Liefer-Sklaven“ lässt ehemalige und aktuelle Mitarbeiter von Lieferando und Wolt zu Wort kommen. Die Vorwürfe reichen von verbotenen Überwachungsmaßnahmen über Schwarzarbeit bis hin zur Verweigerung der Lohnauszahlung.

Das SWR-Recherche Format „Vollbild“ hat eine neue Dokumentation mit dem Titel „Liefer-Sklaven: Inside Wolt & Lieferando“ veröffentlicht. Darin erheben aktuelle und ehemalige Mitarbeitende der Lieferservice-Anbieter Lieferando und Wolt schwere Vorwürfe gegen die beiden Unternehmen. Ein Ex-Angestellter, der in der Lieferando-Hauptzentrale tätig war, berichtet von umfangreichen und illegalen Überwachungsmaßnahmen. Bei Wolt steht der Verdacht von Schwarzarbeit im Raum und Mitarbeiter beschweren sich darüber, nicht bezahlt zu werden.

Lieferdienst-Doku: Viel Druck für wenig Geld

Sowohl bei Lieferando als auch bei Wolt kritisiert die Doku, dass die Fahrer:innen für ihren körperlich anstrengenden Job nur schlecht entlohnt würden. Durch Boni sind die Mitarbeitenden zwar imstande mehr als den grundlegenden Mindestlohn zu verdienen. Ein Vollzeit-Lieferando-Kurier, der anonym bleibt und in der Doku als Christoph bezeichnet wird, berichtet zum Beispiel von 240 bis 350 Euro pro Monat. Doch die Zusatzzahlungen seien zu sehr von der Auftragslage abhängig und weniger von der Leistung: „Es nervt. Es ist verlorenes Geld“, beschwert sich Christoph, als er eine halbe Stunde an einer Tankstelle auf einen neuen Auftrag wartet.

Ein Wolt-Fahrer, der in der Doku als „Hassan“ bezeichnet wird, sagt: „Es gibt keine Woche, in der ich keine Angst habe, meinen Job zu verlieren.“ Der Druck bei Wolt ist hoch. In Hassans Arbeitsanweisungen steht: „Bitte beachtet, dass das Nichterreichen von 2,5 Lieferungen pro Stunde für den gesamten Monat zu einer direkten Schließung des Kontos durch Wolt führen kann.“ Eine Quote, die kaum zuverlässig erreicht werden kann. „Jetzt gerade ist es nicht realistisch, weil die Leute im Sommer weniger bestellen. Es liegt überhaupt nicht in meiner Hand.“

Das Bonusmodell würde außerdem zu riskantem Verhalten im Straßenverkehr anregen, heißt es in der Reportage. Zwar sei nicht bewiesen, dass es durch die Bonusmodelle tatsächlich zu mehr Verkehrsunfällen kommt. Doch in den letzten Jahren sei die Zahl der Unfälle durch Lieferdienste laut wissenschaftlichem Dienst des Bundestags stark angestiegen – von 36 im Jahr 2020 über 1.470 im Jahr 2021 bis hin zu 2.956 im Jahr 2022. Allerdings sei den Daten nicht zu entnehmen, bei wie vielen davon es sich um Fahrradkurier:innen handelte.

Ex-Lieferando-Mitarbeiter verrät Überwachungsmaßnahmen

Ein ehemaliger Mitarbeiter der Hauptzentrale von Lieferando, der in der Doku das Pseudonym Felix verwendet, berichtet, dass er früher für die Überwachung der Kurier:innen verantwortlich war. Auf einer Karte konnte er den genauen Standort und die Auftragslage sämtlicher Fahrer:innen genauestens beobachten. Bei Verzögerungen musste Felix die Mitarbeitenden kontaktieren. Mit dem System sei es „möglich, jedem Fahrer im Nacken zu sitzen“.

Der Jurist und Datenschutzexperte Stefan Brink erklärt in der Doku: „Solche vollständigen Überwachungen im Arbeitsverhältnis sind nicht legal. Sie sind arbeitsrechtlich verboten, aber gleichzeitig auch datenschutzwidrig.“

Lieferando widerspricht: „[D]ie Fahrer-App entspricht geltenden Datenschutzbestimmungen“ und werde „nicht für unerlaubte Leistungs- oder Verhaltenskontrolle genutzt“, antwortet der Anbieter dem SWR per Mail.

Wolt-Mitarbeiter: „Kämpfen seit sechs Monaten“

Bei Wolt kritisiert die Doku vor allem die undurchsichtigen Machenschaften von Subunternehmen, die im Auftrag der Lieferservices agieren. Der 37-jährige Muhammed wurde von einem Handyladen, der als Wolt-Subunternehmen agierte, angeheuert – und wartet seit Monaten auf seine Bezahlung. „Wir haben drei Monate für Wolt gearbeitet und wir sind mehr als 100 Fahrer, die nicht bezahlt wurden. Wir kämpfen seit sechs Monaten“, beklagt er.

Zunächst habe sich Muhammad keine Sorgen gemacht, weil er auf den hohen Bekanntheitsgrad von Wolt vertraut hatte und nicht von einem Betrug ausgegangen sei. Später kämpfte er vor dem Arbeitsgericht Berlin mit zwei anderen um die ihnen zustehenden Löhne – in seinem Fall ging es um mehr als 3.000 Euro, wie Hassan sagt.

Im Gerichtssaal kommt es während der Dreharbeiten zu keiner Einigung. Wolt behauptete, Muhammad sei dem Unternehmen nicht als Fahrer bekannt. Die Daten der Wolt-App bestätigten jedoch, dass Muhammed in der besagten Zeit fast 400 Lieferungen ausgeführt hat.

Schwarzarbeit und Einschüchterungen

SWR-Journalist Philipp Reichert hat sich selbst als Interessent für einen Wolt-Job ausgegeben und bei der Whatsapp-Gruppe eines anderen Subunternehmens angefragt. Dabei gab es klare Hinweise auf Schwarzarbeit. So sei ihm ein Minijobvertrag für eine Vollzeitarbeit angeboten worden: „450 Euro aufs Konto, den restlichen Betrag gibt’s cash“, heißt es im Chatverlauf. Als er versuchte, mit einem anderen Subunternehmer persönlich Kontakt aufzunehmen, sei er von einem Mann und einer Frau eingeschüchtert, beschimpft und verfolgt worden.

Wolt selbst schreibt auf Anfrage des SWR in Bezug auf Subunternehmen, es habe „in Einzelfällen Verstöße durch von Wolt beauftragte Unternehmen“ gegeben und „Wolt hat die Zusammenarbeit mit diesen Unternehmen beendet.“

Die vollständige SWR-Doku „Liefer-Sklaven: Inside Wolt & Lieferando“ ist seit dem 31. Oktober 2023 in der ARD-Mediathek abrufbar.

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