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Rufe nach Corona-Aufarbeitung: „Früher oder später wird er ohnehin gezwungen“

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)
Foto: Hannes P. Albert/dpa

Die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie waren teils heftig umstritten. Öffentlich gewordene Beratungsprotokolle entfachen wieder eine Debatte. FDP-Vize Kubicki findet daher deutliche Worte für Gesundheitsminister Lauterbach (SPD).

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat Stellung zu den Spekulation bezogen, das Robert Koch-Institut (RKI) sei in Pandemie-Zeiten extern beeinflusst worden, geäußert. Im Raum steht der Vorwurf, das RKI habe dadurch eine höhere Risikobewertung zur Corona-Lage im März 2020 getätigt.

„Das RKI hat unabhängig von politischer Weisung gearbeitet“, sagte der SPD-Politiker am Montag in Köln zu einem Bericht des Online-Magazins Multipolar, das teils geschwärzte Protokolle des RKI-Krisenstabs von Januar 2020 bis April 2021 veröffentlicht hat. Utopia berichtete. Aus Teilen der Opposition wurden Rufe nach einem Untersuchungsausschuss laut.

Politische Anweisung eines externen Akteurs während der Corona-Pandemie?

In einem Protokoll vom 16. März 2020 ist laut dem Bericht von einer vorbereiteten neuen Gefahreneinschätzung des RKI die Rede: „Es soll diese Woche hochskaliert werden. Die Risikobewertung wird veröffentlicht, sobald (Passage geschwärzt) ein Signal dafür gibt.“ Das Magazin Multipolar leitete daraus ab, dass die Verschärfung der Risikobewertung als Grundlage für spätere Corona-Beschränkungen nicht auf einer fachlichen Einschätzung des Instituts beruht habe, sondern auf der politischen Anweisung eines externen Akteurs. Dessen Name sei im Protokoll geschwärzt.

Lauterbach sagte, der „geschwärzte Mitarbeiter“ sei ein Mitarbeiter des RKI. „Es gab also keine politische Weisung, auf die das RKI hier reagiert hätte.“ Wenn es in den Papieren Schwärzungen gebe, betreffe dies meistens Mitarbeiter, die vor der Öffentlichkeit geschützt werden müssten. Wie das Ministerium erläuterte, machte das RKI am 17. März 2020 die neue Gefahreneinschätzung für die Bevölkerung in einer Pressekonferenz bekannt. Sie wurde von „mäßig“ auf „hoch“ gesetzt.

Lauterbach: Leistung des RKI sei „ausgezeichnet“ gewesen

Zur Begründung war eine sehr starke Zunahme nachgewiesener Infektionen genannt worden – auch wenn es damals insgesamt zunächst weniger Fälle gegeben habe als etwa bei der Grippe, wie es hieß. Zunehmend hätten Gesundheitsämter berichtet, Kontaktpersonen nicht nachverfolgen zu können. Die Lage habe sich je nach Region unterschieden. Das Ministerium wies am Montag darauf hin, dass das RKI eine fachliche Bewertung vorgenommen habe, die im damaligen Zusammenhang zu sehen sei. So habe die Weltgesundheitsorganisation WHO fünf Tage zuvor, am 11. März 2020, die Pandemie ausgerufen. Multipolar schrieb, die Hochstufung sei „ohne jede Andeutung in den vorhergehenden Protokollen“ erfolgt.

Lauterbach betonte, die Leistung des RKI in den frühen Phasen der Pandemie sei „ausgezeichnet“ gewesen. In Deutschland seien sehr viel weniger Leute gestorben als in anderen Ländern mit vergleichbar alter Bevölkerung. Der Minister sprach sich für eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Krisenmanagements beispielsweise in dem gerade beim Kanzleramt eingerichteten Expertenrat „Gesundheit und Resilienz“ aus. Eine politische Debatte, wo kleine Gruppen versuchten, das Thema zu nutzen und damit Politik gegen den Staat zu machen, würde „uns nicht nach vorne bringen“.

Kubicki (FDP): „Früher oder später wird er ohnehin gezwungen werden“

FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki forderte Lauterbach auf, sämtliche Protokolle des RKI-Krisenstabs ohne Schwärzungen zu veröffentlichen. „Früher oder später wird er ohnehin gezwungen werden, entweder gerichtlich oder politisch, dies zu tun“, sagte Kubicki der Deutschen Presse-Agentur. Es werde immer deutlicher, dass das RKI für die Gesundheitspolitik des damaligen Ministers Jens Spahn (CDU) und wohl auch von Lauterbach „als wissenschaftliche Fassade gedient hat“.

Die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht forderten eine parlamentarische Aufklärung. „Eine Enquete-Kommission reicht nicht aus“, sagte Wagenknecht der dpa. „Notwendig ist ein Untersuchungsausschuss, um die Zeit mit den größten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik zu beleuchten.“ Der AfD-Gesundheitspolitiker Martin Sichert rief zu Unterstützung dafür auf, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. „Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, was damals wirklich passierte.“

Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte der dpa: „Besonders die sehr konsequenten Maßnahmen während der ersten Welle, als es noch keine Impfung und zu wenig Schutzausrüstung gab, haben sehr viele Menschenleben gerettet.“ Er wandte sich gegen eine Enquete-Kommission oder einen Untersuchungsausschuss. „Als Arzt und Politiker finde ich es vor dem Hintergrund der unzähligen Opfer falsch, die Aufarbeitung der Pandemie nun für die anstehenden Wahlkämpfe instrumentalisieren zu wollen.“

„Diese Diskussionen spiegeln den offenen wissenschaftlichen Diskurs wider“

Multipolar setzte die Herausgabe der Protokolle nach eigenen Angaben nach einem Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz juristisch durch. Das Portal, das sich selbst auf die Fahne geschrieben hat, unterschiedliche Perspektiven zu gesellschaftlichen und politischen Fragen darzustellen, wird von Kritiker:innen in die Nähe verschwörungserzählerischer Publikationen gerückt.

Das RKI erklärte, die Protokolle seien Zusammenfassungen von Diskussionen und Entscheidungen innerhalb des Krisenstabs. „Diese Diskussionen spiegeln den offenen wissenschaftlichen Diskurs wider, in dem verschiedene Perspektiven angesprochen und abgewogen werden.“ Einzelne Äußerungen spiegelten dabei nicht zwangsläufig die dann abgestimmte Position des RKI wider. Das Institut hatte die Dokumente im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens herausgegeben, wie eine Sprecherin auf dpa-Anfrage sagte. Ob es sich bei den online gestellten Unterlagen, um die Originaldokumente handelt, kann das RKI nach Angaben der Sprecherin „nicht bewerten“.

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